Was wir (jetzt) von Künstlern lernen können – den Werkzeugkasten der Kreativen nutzen

Von Künstlern lernen, Jeannette Hagen für Kunstleben Berlin

Wie gehen wir mit den noch viel größeren Veränderungen nach der Pandemie um, wie dem Klimawandel oder der fortschreitenden Digitalisierung? Indem wir von Künstlern lernen und den Werkzeugkasten der Kreativen nutzen…

Die Maßnahmen, mit denen die Regierung die Ausbreitung der Pandemie verhindern will, sind zuweilen schwer nachzuvollziehen. Warum soll zum Beispiel die Gefahr, sich in einem Buchladen anzustecken, größer sein, als die in einem Lebensmittelladen? Warum sind Theater, wo ausgefeilte Lüftungs- und Sitzkonzepte Ansteckung verhindern, geschlossen, während wir uns im Bus, der uns zur Arbeit bringt, nach wie vor dicht drängen?

Fragen über Fragen, deren widersprüchliche Antworten nicht befriedigen. Ein Jahr nach Beginn der Pandemie stehen wir immer noch vor einem Berg voller Komplexität und das, wo doch unser Gehirn eigentlich alles gern in leicht verdaulichen Häppchen vorgesetzt bekommt.

Vieles von dem, was wir derzeit erleben, ist neu für uns. Es fordert uns heraus, lässt unsere Synapsen glühen, bringt uns hin und wieder um den Verstand. Jeder weiß, wie schwer es uns Menschen fällt, Gewohnheiten aufzugeben oder Neues zu lernen – jetzt sind wir auf verschiedenen Ebenen dazu gezwungen und das treibt viele an ihre Grenzen. Dabei ist das erst der Anfang. Das Vorspiel wesentlich größerer Veränderungen, nämlich jener, die der Klimawandel und die fortschreitende Digitalisierung uns bescheren werden. Bald werden wir auch in diesem Zusammenhang Antworten darauf brauchen, wie wir mit all dem umgehen – nicht nur technisch oder ökonomisch betrachtet, sondern mental und seelisch.

Was wir dazu benötigen, ist ein innerer Werkzeugkasten, der aus verschiedenen Bausteinen zusammengesetzt ist: Vertrauen gehört hinein, Zuversicht, Selbstwirksamkeit, Selbstsicherheit, Besonnenheit, die Fähigkeit loszulassen, Offenheit, die Fähigkeit Ängste zu überwinden und Grenzen zu verschieben, die Fähigkeit zu kommunizieren. Das ist längst nicht alles, aber eine wichtige Auswahl.

Wenn ein Maler oder eine Malerin vor einer weißen Wand steht oder Schriftsteller*innen vor dem leeren Papier sitzen, benutzen sie genau jenen gerade beschriebenen Werkzeugkasten. Und nicht nur sie benutzen ihn, sondern eigentlich jeder, der in einen kreativen Prozess einsteigt, indem es darum geht, den nächsten Schritt zu machen. Wie seltsam ist es doch aber, dass angesichts dieser simplen Wahrheit gerade die Kunst und das kreative Tun in unserer Gesellschaft nach wie vor so stiefmütterlich behandelt werden? Und das nicht erst, seit Corona über die Länder hinwegfegt.

Meine Gedanken dazu bringen mich immer wieder zu dem Schluss, dass es die Gefühle sind, die Kunst und kreatives Tun in manchen Köpfen suspekt werden lassen. Jeder, der schon mal gemalt, geschrieben, gesungen, als Schauspieler*in auf einer Bühne gestanden hat, weiß, wie sehr es unser Innerstes in Wallung bringt. Das sind wir nicht gewohnt. Das macht Angst. Das provoziert Abwehr. Und wie überwinden wir sie? Indem wir die Gefühle nicht unterbrechen, sie nicht wegdrücken, sondern als Teil des Prozesses verstehen, annehmen und integrieren. Herzklopfen ist super, es zeigt uns, dass wir lebendig sind. Lebendiger als Maschinen, die uns vielleicht irgendwann mal komplett das Denken abnehmen, aber wohl nie Freudensprünge machen werden, weil sie nie erfahren, wie es ist, sich etwas getraut zu haben.

Wir brauchen die Kunst. Wir brauchen die Kreativität. Wenn uns etwas in die Zukunft führen wird, dann all jene Fähigkeiten, die wir beim kreativen Gestalten einsetzen und die wir intuitiv heranziehen, wenn wir uns mit Kunst auseinandersetzen. Sie als Stiefkind zu behandeln, ist fatal und kann uns im wahrsten Sinne des Wortes das Leben kosten.

Veröffentlicht am: 25.02.2021 | Kategorie: Kolumne Jeannette Hagen, Kunst, Redaktion-Tipp,

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