Berlin war immer ein Eldorado für Street Art Künstler*innen und Street Art Liebhaber*innen. Leider verändert sich das gerade. Durch Neubauten, Lückenbebauung, Wärmedämmung und Vernachlässigung verschwinden viele Wandgemälde oder bröckeln einfach ab. Wie gut, dass es jemanden gibt, der sie alle fotografiert und damit ein Stück Kunstgeschichte bewahrt hat: Norbert Martins…
Norbert Martins
Seit 1975 ist er auf der Pirsch, fotografierte sein erstes Wandbild. Es war Ben Wagins “Weltbaum I – Grün ist das Leben” – ein Bild, das 1975 gemalt, 2018 durch einen Neubau verdeckt wurde. Aber damals weckte es Martins Leidenschaft, er wurde neugierig, entdeckte weitere und schuf über die Jahre ein Archiv, das mit Geld kaum aufzuwiegen ist: Auf rund 20.500 Fotos hat er die Geschichte der Berliner Giebelmalerei und Street Art festgehalten, hat sowohl kleine als auch riesige Wandbilder fotografiert, einige davon gibt es längst nicht mehr. Martins hat ihre Entstehung und ihren Verfall dokumentiert, mit Künstler*innen gesprochen, ihre Arbeit mit der Kamera begleitet. Jetzt ist er 75 Jahre und wundert sich nicht nur darüber, dass Berlin diesen Kunstschatz an den Wänden der Stadt nicht angemessen würdigt, sondern auch darüber, dass die Stadt sein wertvolles Archiv nicht übernehmen will. “Berlin, Berlin…”, will man da sagen. Einmal mehr behandelst du deine Künstler*innen und den Schatz, der dich zu dem macht, was du bist, wenig wertschätzend.
Gert Neuhaus
Aber zurück zu Norbert Martins. Der hat schon immer sehr gern fotografiert, hat sein erstes eigenes Geld in eine Kamera investiert und wenn man ihn fragt, warum es ihm nun ausgerechnet die Giebelbilder und die Street Art angetan haben, antwortet er, dass es die Größe ist, die ihn fasziniert. Die Größe und damit verbunden die Frage danach, wie Künstler*innen es schaffen, so gigantisch große Bilder an Wände zu malen. Fast im selben Atemzug nennt er einen Namen: Gert Neuhaus. Würde man in Berlin eine Umfrage starten, könnten wahrscheinlich nur wenige Menschen mit seinem Namen etwas anfangen. Würde man jedoch nach dem Giebelbild mit dem geschnürten Turnschuh (“Verschnürung”), dem gigantischen Ozeandampfer (“Phönix”) in Charlottenburg oder nach der “Gebrochenen Fassade” in der Obentrautstraße fragen, gäbe es zustimmendes Kopfnicken. Kaum ein Maler hat die Brand- und Giebelwände Berlins so geprägt, wie Gert Neuhaus. Martins hat all seine Bilder mit der Kamera eingefangen, hat Neuhaus bei seiner Arbeit begleitet und mittlerweile verbindet die beiden Männer eine langjährige Freundschaft.
Einblick in eine einzigartige Geschichte
Wer sich mit Norbert Martins unterhält, bekommt einen unglaublich lebendigen Einblick in die einzigartige Geschichte der Wand- und Giebelmalerei Berlins. Detailreich kann er Entstehungsprozesse bebildern und erzählen, dazu kennt er Anekdoten, wie die vom “Phönix” oder dem “Renaissance Portal”. “Damals gab es in der Sömmeringstraße, wo der Ozeandampfer von der Fassade quasi in die Straße fährt, noch eine kleine Verkehrsinsel mit Straßenschildern”, erzählt er. “Die wurden allerdings regelmäßig umgefahren, weil die Autofahrer*innen wohl mehr auf das Bild als auf die Straße geachtet haben.” Noch schlimmer traf es einen Radfahrer, der das “Renaissance Portal” – auch gemalt von Neuhaus – in einem Spandauer Innenhof für echt hielt, frontal dagegen fuhr und sich schwer verletzte.
Wandkunst der DDR war anders
Die gesammelten Geschichten und Bilder veröffentlichte Martins 1989 erstmalig in einem Buch, “Giebelphantasien” – so der Titel. Mittlerweile gibt es drei verschiedene Publikationen, die letzte 2020 veröffentlicht. Alle zu bestellen über die gängigen Online-Portale oder bei Martins auf der Homepage. Mit dem Fall der Mauer 1989 öffnete sich für Dokumentar und Archivar noch einmal eine ganz neue Welt, denn auch in der ehemaligen DDR gab es Fassadenmalerei. Mehr noch: Drei Prozent jeder Bausumme waren in der DDR für Kunst reserviert, noch dazu wurde alles archiviert. Die Wandkunst der DDR war jedoch anders, auf ihre Art propagandistisch und auf den ersten Blick nicht so politisch im Sinne des Aufbegehrens gegen Zustände. Es gab keine Hausbesetzerszene, keine demokratische Absprache mit Mieter*innen. Auf den zweiten Blick ließ sich allerdings doch einiges an Protest oder zumindest an Ironie entdecken. So unter anderem in dem Bild von Professor Dieter Gantz “Pankower Marktleben” – ein Bild, das DDR-Alltag zeigen sollte, zu dem man Bananen, die auch zu sehen sind, wohl eher nicht zählen konnte.
Natürlich hat sich die Giebelmalerei über die Jahrzehnte verändert. In der ehemaligen DDR hat man mit einer kleinen Anzahl von Mischfarben gemalt, heute kommen überwiegend Spraydosen zum Einsatz. Zog sich die Fertigstellung eines Wandgemäldes früher über ein bis zwei Monate, so dauert es heute vielleicht zehn Tage, bis das fertige Bild von der Fassade leuchtet. Heute lädt man seltener DEN oder DIE Künstler*in ein, sondern es finden internationale Festivals statt, die namhafte Künstler*innen anziehen. Die Gefahr dabei ist, dass Bilder entstehen, die wenig Bezug zum Leben in der Stadt oder zu den Bewohner*innen haben. Es schwingt keine Melancholie in Martins Stimme mit, wenn er davon erzählt. Eher hat man den Eindruck, dass er mit der Zeit geht, sich für die moderne Art der Fassadenmalerei, für die modernen Illusionen und die meist zweideutigen Abbildungen ebenso erwärmen kann, wie für die Bilder aus den 80-er und 90-er Jahren. Schmerzen und Ärger bereitet ihm nur der stiefmütterliche Umgang Berlins mit seinem Street Art Archiv.
Wer Norbert Martins und sein Werk kennenlernen will, dem empfehlen wir von Kunstleben Berlin einen Besuch auf seiner Homepage, über die man ihn auch kontaktieren und Führungen buchen kann.
http://www.norbert-martins-wandbilder-berlin.de/index.html
Gert Neuhaus: http://www.giebelmalerei.de/index2.htm
Beitragsbild: Street Art Künstler Ben Wagin. Foto von Norbert Martins
Herzlichen Dank, Prof. Roland W. Schulze und Werner Brunner für Ihre bereichernden Kommentare, die das Geschriebene unterstreichen. Hoffen wir, dass es bald eine Lösung gibt.
Werner Brunner, ehem. Architekt, nun Autor und Maler, Hauptstr. 18, D-10827 Berlin,
Tel.: 0049 (0) 30 / 781 26 99, 0176 627 63 328
e-mail: wbrunnerberlin2@gmail.com / werner-brunner-kunst.com
Berlin, Okt: 2016, überarbeitet 2022
Hidden Wandbilder
Als Autor der 1996 und 2011 veröffentlichten Forschungsarbeiten über Wandbilder im Wohn- und Geschäftshaus um 1900 und als praktizierender Wandmaler der 1980er und 1990er Jahre betrifft mich die stadtpolitische Gleichgültigkeit gegenüber dem Verschwinden vieler Berliner Wandbilder und ich hoffe immer noch, dass diese Wandbildkultur, legal oder illegal, endlich ernsthaft und künstlerisch als schützenswert in den Blick genommen wird. Vieles wird achtlos der Werbung und Wärmedämmung oder dem Neubau geopfert. Auch unkontrollierter Baum- und Sträucherwildwuchs lässt Wandbilder verschwinden, macht sie zu hidden murals.
Ben Wagin´s Wandbild in Ehren, allgemein aber herrscht in den hierfür zuständigen Berliner Behörden und scheinbar auch bei Hausbesitzern weitgehendes Desinteresse gegenüber dem was ganz wesentlich zum Berliner Image und zur Stadtidentifikation beitragen kann. Nicht alles ist rettbar. Nicht jedes Wandbild kann unverbaut bleiben. Nicht jedes Wandbild hält künstlerisch, mal- und farbtechnisch den Unbilden der Zeit stand.
Aber, dass dem 1979 entstandenem Wandbild „Sanierungsbaum“ der „Künstlergruppe Ratgeb“ in Moabit bedenkenlos eine Reihe Pappeln davor gepflanzt wurden, ist unverständlich und schwer hinnehmbar. Es ist das Wandbild in der Pritzwalker Str. 16, das im Auftrag des Bausenats und in Zusammenarbeit mit dem Sanierungs-Betroffenenrat entstanden ist. Mittlerweilen ist es durch den brandwandhohen Baumwuchs uneinsehbar geworden.
Ein weiteres Wandbild vom „Atelier Oranienstr. 19a“ befindet sich in der Flughafenstr. 71. Es nimmt mit der Fotovorlage Rosinenbomber von Henry Ries Bezug auf den nahe gelegenen Flughafen Tempelhof und ist 1989 mit einer öffentlich/privaten Mischfinanzierung ermöglicht worden. Auch hier macht ein ungepflegter Wildwuchs von Sträuchern und Bäumen das Wandbild fast unsichtbar.
Ein 1980 öffentlich beauftragtes und finanziertes Wandbild von der „Künstlergruppe Ratgeb“ befindet sich an einer großen Brandwand im Hinterhof Richardstr. 99. Es thematisiert die Ansiedlung böhmisch-hussitischer Glaubensflüchtlinge in dem dafür geschaffenen Dorf Böhmisch-Rixdorf in Neukölln. Leider erschwert heute ein im Hof errichteter Neubau die Gesamtsicht auf das Wandbild.
Aber auch ein vor dem Wandbild Donaustr. 94-95 errichteter Supermarkt mit aufgesetzter Parkpalette entwertet den freien Blick auf ein ebenfalls mit öffentlichen Mitteln finanziertes monumentales Gemälde. 1986 vom Bezirk Neukölln hinsichtlich der 750-Jahrfeier von Berlin beauftragt, schildert es in einem breiten Panoramablick vom Mammut bis zur Urbanisierung mit dem alten Karstadtgebäude die Entwicklung Neuköllns.
Das Problem ist weitreichend, aber hier soll an wenigstens zwei weitere Wandbilder erinnert werden, die Opfer stadtpolitischer Geringschätzigkeit und Gleichgültigkeit geworden sind.
Das 1979 in Ostberlin, Warschauer Str. 9, entstandene Wandbild von Lutz Brandt war Beleg dafür, dass in der DDR nicht nur ideologisch programmierte Kunst entstanden ist. Es nahm in wundervoll perspektivisch konstruierter Weise die Linien des davor liegenden Gebäudes in die bunten Bauklötze des Wandbildes auf und ließ daraus eine mit seiner Umgebung korrespondierende Komposition entstehen. Nur leider musste es, gemäß unserer Neuen Zeit, einer profitableren, wechselnden Werbebemalung geopfert werden. Bezieh-ungslos inflationär zu diesem Ort wechselt nun eine Streetart nach der anderen diese Wand.
Vergessen sollte man auch die monumentale Architekturillusion von Hans-Dieter Wohlmann in der Ohlauer Str. 12-14 nicht. Mir ist nicht ganz nachvollziehbar, warum dieses Wandbild nun den Blicken entzogen wurde – somit eine Art Hidden-Wandbild ist. 1981 aus einem vom Bausenat initiierten Wettbewerb für Wandbilder an Brandwänden hervor gegangen, hatte es in dieser Straße und für das Schulgebäude eine starke, dauerhafte Präsenzwirkung, bis, Jemand glaubte darauf verzichten zu können
Zu bedauern und kritisierenswert ist, dass diese nun in die Tage gekommenen Wandbilder wohl kaum vermisst werden und keine stadtpolitische Initiative besteht sie als wesentliche Stadtzeichen bewahren zu wollen. In der französischen Stadt Lyon denkt man weiter, schätzt den kulturgeschichtlichen Wert und organisiert Stadtreisen zu den zahlreichen Wandbildern der Stadt. Lyoner Wandmalgruppen wurden weitreichend bekannt und waren auch in Berlin engagiert.
Ich selbst, praktizierender Wandmaler, Autor und Flaneur in dieser Sache, bedauere natürlich diese Berliner Gleichgültigkeit gegenüber einem, immerhin mit meist öffentlichen Mitteln finanziertem Kulturgut.
Werner Brunner, Auswahl von Publikationen:
Verblichene Idyllen – Wandbilder im Berliner Mietshaus der Jahrhundertwende (um 1900), Berlin 1996 Gebr. Mann Verlag;
Wandbilder der Belle Époque in europäischen Wohn- und Geschäftshäusern, Berlin-München 2011 Deutscher Kunstverlag;
Einführung in: Norbert u. Melanie Martins, Hauswände statt Leinwände – Berliner Wandbilder, Berlin 2012
Herr Martins kümmert sich schon seit Jahren um die Wandgemälde in der Stadt und archiviert diese höchst professionell, bearbeitet die Fotos und archiviert diese. Hochachtung, denn von den Wandgemälden aus den letzten 50 Jahren sind inzwischen schon viele verschwunden, übermalt worden, von Wärme-Isolierungsmaßnahmen verdeckt worden, oder einige Häuser mit Gemälden sind schon längst abgerissen worden.
Liebe Berliner Kunst-und Kulturbehörde, wer in der Hauptstadt fühlt sich den eigentlich zuständig oder verantwortlich für das sogenannte „kollektive Gedächtnis“ der Bürger dieser Stadt?
Wenn Herr Martins nicht diese Stadtkunstwerke fotografiert und archiviert hätte, ständen sie den folgenden Generationen nicht mehr zur Verfügung, denn „was weg ist – ist weg – für immer und für jeden!
Jede Stadt finanziert diverse Institutionen, welche diese Aufgabe eigentlich wahrnehmen müssten. Aber sie tun es nicht, zwischen diesen Institutionen git es keinen Daten- und Kommunikationsaustausch und wenn überhaupt Stadtkunst archiviert wird, dann nur, wenn diese von „Kunsthochschul-studierten Künstlern“ angefertigt wurde. Kreative und international anerkannte, aber eben nicht-studierte Künstler, also routinierten und kreativen Autodidakten und deren Werke werden nicht berücksichtigt von jeglichem Archivierungsbestreben.
Als Kultursoziologe, Hochschullehrer und Buchautor, wohnhaft in Bremen, kenne ich das auch, denn unser Kunst-und Kultursenat handelt genauso wie der Berliner Senat. Ich habe gerade ein Buch über die Bremer Wandgemälde und auch Wandgemälde an WW2-Bunkern im Standgebiet geschrieben. Das war von 1973-2009 ein bundesweit kopierter Bremer Modellversuch und „Kunst am Bau“ wurde zu „Kunst im öffentlichen Raum“! Der Titel unseres Buches lautet „Bremens schmucke Wände – Bunker und Hausbemalungen in der Hansestadt“. Hier in Bremen haben auch ca. 50 Institutionen den Auftrag, für das „kollektive Gedächtnis“ alle künstlerischen und kommunikativen Ereignisse der Stadt zu archivieren!
Unsere Recherche-Resultate zum Buch waren traurig: selbst die offizielle Datenbank „Kunst im öffenlichen Raum der Stadt Bremen“ ist höchst unvollständig und fehlerhaft und niemand fand sich bereit, unsere herausgefundenen Fehlerhinweise zu bearbeiten!
Fazit: die Situation in Berlin gleicht der in Bremen zu 100%: Getoppt wird die Stadtkunst nur noch von Kiel. Beim bemalten ILTIS-Bunker in der Innenstadt Kiels lösen sich größere Fassadenteile, weil der Künstler und seine ABM-Truppe weder geeignete Vorarbeit, noch geeignete Farben einsetzten. Der Streit in der Stadtverwaltung, wer denn die Renovierungsarbeiten tragen sollte, wurde vom Denkmalschützer gestoppt. Dieser Denkmalsschutz stoppte ab jetzt alle Ideen und Aktivitäten zu Renovierung und jetzt dürfen die Bürger zuschauen, wie sich unter Denkmalschutz die Fassade auflöst – Schilda lässt grüßen!
Wenn schon Stadtkunst mit öffentlichen Geldern finanziert wird, gehört dazu auch die Pflege und die Archivierung dieser Kunstwerke, nicht nur in Berlin und in Bremen, sondern überall!
gez. Prof. Roland W. Schulze, Bremen den 20. Mai 2022
rschulze@diva-systems.de