Schlüsselthema Werkverzeichnis: Künstler/innen haben unterschiedliche Verfahrensweisen, ein Werkverzeichnis zu führen. Wenn sie denn eins pflegen. Warum dies so wichtig ist …
Wir alle kennen Werkverzeichnisse als Großprojekte, behandeln wir einen künstlerischen Nachlass oder erforschen eine ganze Sammlung ist diese Arbeit weitaus umfassender. Es ist auch ordentlicher Aufwand, wenn Künstler zu Lebzeiten ein Verzeichnis pflegen. Aber es ist wichtig.
Für Museumsleute und Provenienzforscher sind neben inhaltlichen Fragen zur Gliederung und zum Format der Überblicksdarstellung auch Kenntnisse im Bereich Authentizitätsbestimmung oder der Provenienzrecherche benötigt, ganz abgesehen von den organisatorischen Aspekten der Datensammlung, Bildbeschaffung oder der oft zeitaufwendigen Ermittlung von aktuellen Standorten (Institutionen, Auktionshäuser, Privatsammlungen) und der restauratorischen Inspektion des originalen Werkes. Kunsthistoriker, Händler und Sammler benötigen Werkverzeichnisse für den genauen Überblick zum Schaffen eines Künstlers, zur Dokumentation grundlegender Informationen eines einzelnen Werkes, zur Echtheitsbestimmung oder der Provenienzrecherche. Hierzu gehören auch Geschäftspapiere und Korrespondenzen mit Ausstellungshäusern, Versicherern, Käufern etc.
Durch wessen Hände ist eine künstlerische Arbeit gegangen, wer hatte Interesse signalisiert, wer hat an- und verkauft und letztlich auch: zu welchen der geforderten Preisen? Tiefer gehende Kenntnisse zum Kunstmarkt und seinen Akteuren sind unabdingbar, wenn solche Recherchen initialisiert werden.
De facto sollen bei einem künstlerischen Nachlass nach Angaben von Fachkreisen nur etwa 10 bis 15 Prozent des gesamten Konvoluts erhalten und bewahrt werden. Alles andere – so die Empfehlung – sei zu vernichten. Damit wird natürlich auf meist sehr beschränkte Lagerkapazitäten verwiesen, aber infolgedessen würde nur ein kleiner Teil aus dem Leben und Wirken aufbewahrt werden – die ‘kunsthistorische Schublade’, den einen typischen Strich des Kunstschaffenden. Weil gleichermaßen zur Menschwerdung wie zur Ausbildung bestimmter Fertigkeiten allerdings auch Nebenpfade eines Weges, die Experimentierphasen und Arbeit in Kollektiven usw. wichtig sind, ist dies heikel.
Darum ist es so wichtig, als Künstlerin bzw. Künstler noch zu Lebzeiten selbst zu entscheiden, was in einen Catalogue raisonné gehören sollte und was nicht. Was gehört zum Werkbegriff, was war grundlegend oder einschneidend? Gehört die Tafel, auf der Beuys Theoretisches schrieb, dazu? Die Küchentischzeichnungen, Skizzen, Notizbücher von XY und YY? Wer vermag das nach Ableben eines Künstlers entscheiden?
Nachzulesen ist dies übrigens u.a. in “Was bleibt – Konzepte für den Umgang mit Künstlernachlässen” und “Der künstlerische Nachlass” (von Loretta Würtenberger).
20 Jahre hat das renommierte Schweizer Institut SIK-ISEA für die Forschung und die Erstellung des umfassenden Verzeichnisses zu Ferdinand Hodler aufgewendet! In Museen ist ja selten Zeit zum Forschen.
Königsdisziplin wird geraunt, wenn jemand Werkverzeichnis sagt. Überall finden wir Lücken in der Herkunftsgeschichte eines Œuvre oder in der Biografie eines Kunstwerkes — sei es verursacht durch die Künstler/innen, Erben, Sammler/innen, seitens der Händler/innen, Galeristinnen/Galeristen oder Museen. Sicher spielen Kriege, Kolonialisierung und Enteignung eine wesentliche Rolle, aber eben auch solch (hoffentlich bald aussterbende) tagesaktuelle Praxis, dass Galerien selbst ihren Stammkünstlern nicht die Käufernamen ihrer Werke offenbaren: private collection heißt es dann im Katalog. Zunehmend strömen Kunstwerke auf den Markt; aber auch heute erstellen die wenigsten Kunstschaffenden ein Verzeichnis.
So schaffen wir — aus gutem Grund — relativ neue Berufsfelder, denn Fakt ist, dass die Erstellung eines Werkverzeichnisses ein umfangreicher Prozess ist, der eigentlich nie ganz abgeschlossen sein kann. Immer wieder finden sich neue Erkenntnisse, Schriftstücke oder veranlassen unterschiedliche Aussagen in Katalogen erneute Recherchen zu einem künstlerischen Nachlass. Automatisch wird nämlich zugleich die Vita eines jeden Menschen relevant, der einmal im Besitz des Kunstwerks war.
Erstaunlicherweise wird erst seit Kurzem Provenienzforschung ins kunsthistorische Studium integriert. Das ist sicher dem Fall Gurlitt zu verdanken oder neuerdings auch lauter werdenden Enteignungen in der DDR. Vor allem aber ist es Ergebnis der 20-jährigen Arbeit der AG Provenienzforschung, Verbänden wie dem BKN und der Arbeitsstelle für Provenienzforschung, die 2015 in die Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste mit Sitz in Magdeburg überführt wurde.
Die Kunstgeschichte sowie der Zweitmarkt (Auktionen), aber auch Privatsammler und Galeristen entwickeln aus den Daten und Belegen eine gewisse Prominenz des Kunstwerks oder des gesamten Werkkonvoluts und somit einen gesicherteren Wert. Was steht in einem Werkverzeichnis? Es ist die Indexierung aller nachweislich existenten Werke und den Daten zu einzelnen Kunstwerken: Vom derzeitigen Standort und allen Besitzerwechseln (Provenienzen) über Maße und Entstehungsjahr bis hin zu Wachsdublierungen, neuen Aufspannungen, Firnis, Restauration, ja, sogar für Fälschungen können Verzeichnisse angelegt werden. Ernsthaft berechtigten Verdacht zu Fälschungen nimmt übrigens das LKA entgegen.
Wichtige Indikatoren beherbergen auch die Rahmungen: Entweder hat ein Künstler seine Arbeiten immer in einem bestimmten Stil rahmen lassen oder wir bekommen einen Rahmen und wissen ihn heute direkt einer Sammlung zuzuordnen.
Angaben zur Maltechnik, bspw. Öl auf Leinwand, werden selten hinterfragt: Ab wann ist denn nicht mehr von Öl, sondern von ölhaltigem Malmittel auf dem Gewebebildträger zu sprechen? Kunsttechnologische Untersuchungen können selten privat finanziert werden. Hier sollten Bearbeiterinnen aber zumindest ihre Zweifel kennzeichnen und nicht stumpf Informationen aus alten Büchern übernehmen. Zu verwechseln ist ein Werkverzeichnis allerdings nicht mit einem rechtskräftigen Gutachten.
Und das Wichtigste: Wir sollten beginnen, die Grundlagenforschung mit den neuen medialen Möglichkeiten zu verknüpfen und Verzeichnisse künftig digital-dynamisch, einheitlich standardisiert publizieren. Dies durfte ich auf der Gründungsveranstaltung des Arbeitskreises Werkverzeichnis am 3. November 2018 in der Hamburger Kunsthalle erfahren, wo sich bedeutende Institutionen sowie zahlreiche Einzelkämpfer/innen zusammenschlossen. Denn es gibt bemerkenswerte Privatinitiativen von Kunstsammlern und Erben, die Provenienzgeschichte recherchieren lassen.
Das prägnanteste Merkmal der Arbeit an einem Werkverzeichnis nach Ableben der/s Kunstschaffende/n ist Vertrauen: Vertrauen seitens der Urheberschaftsgemeinschaft als Auftraggeber/innen, Vertrauen von Galeristinnen und Galeristen, Auktionshäusern und Museen sowie den wissenschaftlichen Kolleginnen und Kollegen. Zu unterscheiden sind Werkverzeichnisse von Museumsverzeichnissen (CIDOC CRM [ICOM], WissKi basierend auf Drupal, Daphne für Archive u.v.m.), Sammlungsverzeichnissen, Kultur- und Wissenschaftsportalen wie Europeana, Prometheus oder die Deutsche Digitale Bibliothek (Linked Open Data), dann gibt es noch das Wissensmanagement und die Objektdokumentationen, Bildanalysen und -annotationen sowie Datenbanken.
Um diese vormals ausschließlich museal-wissenschaftliche Arbeit sichtbarer und zugänglicher zu machen, aber vor allem privaten Sammler/innen wie auch zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern Hilfestellung zu geben, wenn sie sich für ein eigenes Verzeichnis interessieren, ist die Seite Sammlungsforschung ein guter Ansprechpartner (mit Kunsthistorikern, Juristen und Sammlungsexperte). Andere Plattformen bieten verschiedene Software an, u.a. Art Plus von MuseumPlus, Artëia, von Taittinger initiiert, interessant auch ob der Kooperation mit Cahier d’Art, Art Butler oder Art Assistant des Sammlers Frank Wojda (Österreich).
Schlüsselthema Werkverzeichnis: Schreibt uns gerne in die Kommentare, wie und womit ihr ein Verzeichnis pflegt (Excel oder Plattformen wie ArtButler)? Oder: Wenn nicht, warum nicht?
Bild © Kevin Laminto, Text © Jana M. Noritsch
Guten Tag,
ich habe eine eigene künstlerische Laufbahn hinter mir und betreue inzwischen mehrere Künstler hinsichtlich ihrer organisatorischen Arbeit. Das Thema Werkverzeichnis kam mir aus verschiedenen Gründen immer wieder unter, so dass ich mich schließlich selbst daran gemacht habe, eine Web-App zu entwickeln. Die App selbst stelle ich interessierten Künstlern kostenlos zur verfügung, biete aber Leistungen hinsichtlich Betreuung und Organisation an. Für Interessierte: kunstservice.net.
Ein sehr guter Artikel. Danke. Und wichtiges Thema. Und man kann da auch ganz klein anfangen. Wir haben zu Beginn unserer Arbeit bei den Künstlernachlässen Mannheim einfach mit excel gearbeitet. Das hat prima funktioniert. Inzwischen haben wir ein System, in dem wir dann auch Dinge zu der Arbeit erfassen/ hinterlegen, z. Bsp. Zeitungsartikel oder Notizen des Künstlers zur Arbeit. Mit all diesen Informationen kann man viele Geschichten erzählen …