Post aus Lesbos – so der Titel der Ausstellung der Fotografin Alea Horst, die eigentlich am 16. November hätte eröffnet werden sollen. Es kamen auch Gäste, allerdings nur einige, weil bedingt durch die Pandemie natürlich gar keine offizielle Eröffnung stattfinden durfte. Schreiben will ich über die Ausstellung trotzdem – zu wichtig ist das Thema, zu dringend der Handlungsbedarf.
Der Ausstellungsort hätte nicht besser gewählt sein können. Die Malzfabrik – ein Hort für Start-up-Unternehmen, für Menschen, die nicht darauf warten, das irgendetwas passiert, sondern selbst Wege suchen, um Veränderungen anzustoßen. Menschen, die proaktiv handeln, so wie Alea Horst, die immer wieder nach Lesbos gereist ist, nicht nur um die Zustände dort in Bildern festzuhalten, sondern auch um zu helfen. Ihr Blick auf die Menschen und das, was dort mit ihnen geschieht, ist packend und berührend zugleich. Als Betrachter kann man sich nicht entziehen, man müsste die Augen schließen, um die Emotionen abzuschalten. Und selbst dann bleibt der stumme Schrei all der Ungerechtigkeiten, der Rechtsbrüche, die an den Toren Europas begangen werden, präsent. Das ist eine Stärke dieser Ausstellung – sie nimmt die Besucher*innen wirklich mit. Nicht nur nach Lesbos, sondern auch in das völlig zerbombte Aleppo, in die Slums von Bangladesch, nach Namibia, wo Kinder für einen winzigen Lohn von morgens bis abends schuften und nach Israel, dorthin, wo Terror ein ständiger Begleiter ist. So bekommt man nicht nur einen Eindruck davon, wie Menschen in einem europäischen Flüchtlingslager hausen und ihrer Rechte beraubt werden, sondern man sieht auch gleich, warum Menschen fliehen. Dass sie das nicht machen, weil es „woanders schöner ist“ oder um „Reichtum zu erwirtschaften“. Sie fliehen, um zu überleben.
Eine andere Stärke der Fotografien ist das Zeugnis der Resilienz derer, die so viel Traumatisches erlebt haben und doch noch lächeln, freundlich, ja sogar Gastgeber sind, obwohl ihnen selbst kaum etwas bleibt. Angesichts des vielen Elends fragt man sich natürlich, wie jene das aushalten, die nach einem Tag oder einer Woche wieder abreisen dürfen, weil sie einen Pass haben. Wie man es verkraftet, der Not so nahe zu kommen, ohne selbst in Not zu sein. Alea Horst beschreibt es selbst einige Male auf den Texttafeln, die unter den meisten Bildern sind. Sie schreibt, dass sie Kraft aus den Momenten schöpft, wo sie Kinder einfach unbekümmert spielen sieht, wo ihr ein Tee angeboten wird und die Menschen sich öffnen.
Post aus Lesbos ist ein kraftvoller und zugleich mahnender Blick auf Zustände, die so nicht sein müssten, wenn es eine solidarische Gemeinschaft geben würde, die den Werten, die sie selbst aufgestellt und ratifiziert hat, folgen würde. Es ist ein berührender Blick auf unsere Verletzlichkeit und unsere Hoffnungen. Und es ist ein Ausblick darauf, dass wir es in der Hand haben, die Zustände zu verändern. Am Ende der Ausstellung liegen Umschläge, Briefe aus Lesbos, die man mitnehmen kann. Geschrieben von Menschen für Menschen. Wir sollten antworten.
Nach Anmeldung kann man sich durch die Ausstellung führen lassen. Offiziell startet sie im Frühjahr 2021, am 5. April.