Nicht-Tun: Peter und Luise Hager-Preis 2022

Nicht-Tun: Peter und Luise Hager-Preis 2022

Die Saarländische Galerie in Berlin präsentiert zum sechsten Mal junge Kunst von den Finalist*innen eines Preises, der seit 2012 von der Peter und Luise Hager-Stiftung gemeinsam mit der Hochschule der Bildenden Künste Saar ausgelobt wird. Die diesjährige inhaltliche Vorgabe zum Wettbewerb des Peter und Luise Hager-Preises lautete NichtTun. Allein der Blick auf die Synonyme – verzichten, unterlassen, sich verweigern, etwas bleiben lassen, von etwas die Finger lassen, gar nicht erst versuchen – zeigt die Bandbreite an möglichen Bedeutungen und Assoziationen. Vom trägen Passiv-Sein über ein „Das tut man nicht“-Verbot reicht das Spektrum bis hin zur Haltung des Geschehen Lassens, des „Wu Wei“ im Taoismus.

Ist, etwas nicht tun, unpolitisch angesichts von Ungerechtigkeit? Mit dieser Frage beschäftigt sich Jihoon Jung (1. Preis) in seiner Stop-Motion-Animation DEAF und den dazugehörigen Zeichnungen. Die düstere, drängende Musik, die die Abfolge der Bilder unterlegt, besteht aus einer Tonvariation der Noten d, e, a, f (= taub). Sie gibt das Thema vor: es geht in Jungs Arbeit um den passiv beobachtenden Einwohner und die Medien, die sich angesichts der Proteste der Demokratiebewegung gegen die Pekingnahe Regierung in Hongkong von 2019 taub gestellt haben. Die einzelnen Szenen verweisen symbolisch auf das Geschehen: Eine digitale Uhr zeigt 20:19, seitdem steht die Zeit still. In einem Gefängnis dringt ein rotierendes Leuchten albtraumartig in die Gefängniszellen, ein Gehirn ist hinter Gittern gefangen. “Sie tun nichts, sie wollen nur spielen!” verbindet im gleichnamigen Video von Sarah Niecke (2. Preis) Mensch und Hund. Die Künstler*in hält das eine Ende des Hundespielzeugs im Mund, der Hund das andere. Die Spannung der Kette ist manchmal ausgeglichen, manchmal gerät das Seil in Disbalance, dann ist entweder der Mensch oder der Hund wieder am Zug. In diesem ernsten Spiel agieren beide auf einer Ebene. Aber: Wird der Hund dem Menschen auch wirklich „nichts tun“, wenn die Kräfteverhältnisse ausgehandelt werden? Wie groß ist das Vertrauen, das Misstrauen? Die Arbeit hinterfragt die Störungen im Tier-Mensch-Verhältnis, die auf der Jahrhunderte alten Annahme beruht, dass der Mensch eine Sonder- und Höherstellung innerhalb der Lebewesen einnimmt.

Im Corona-Jahr 2020 hat die Bundesregierung im Lockdown mit Videos für das Zu-Hause-Bleiben geworben, in dem sie Nichtstuer auf der Couch zu Helden erklärte. Ein eindrückliches Bild für die Würdigung und Anerkennung dieses Verhaltens, das durch bewusstes Unterlassen von Begegnungen eine Verbreitung des Virus verhindert hat, hat Irina Schulze (3. Preis) in ihrer Arbeit gefunden: Eine Krone aus negativen Schnelltests, präsentiert wie eine Kaiserkrone auf üppigem blauem Samt. Die Schnelltests stammen aus einer Schule, in der Tag für Tag, Kinder, Lehrerinnen und Lehrer sich bemüht haben, sich nicht zu nahe zu kommen und sich dem nervigen Ritual des Testens unterzogen haben.

„Schatten“ von Céline Gieseler ist eine digitale Collage, die durch Überlagerung von zehn Fotografien aus einer aufgelassenen Schuhfabrik entstanden ist. Die Einzel-Fotos dokumentieren, was passiert, wenn der arbeitende Betrieb nichts mehr tut: Vogelkot auf Schuhen, Rost auf Werkzeugen. In der Überlagerung verschwimmt alles zu einem „Schatten“ der Erinnerung. Das Video „contemplation concentration“ von Ivan Labalestra zeigt den Künstler, wie er immer wieder anhebt, eine Dose zu öffnen, diese Aktion aber nie zu Ende bringt. Wechselnde Perspektiven auf die immer selbe Aktion und das gleichmäßige Klacken der Lasche bauen eine Spannung auf, die sich nicht entlädt.

Carlos Molinas Installation „Grundsteine“ entwirft aus verkohlten Holzklötzchen das Modell einer zerstörten Stadt-Landschaft, die auch eine innere Landschaft ist. Sie ist als Metapher für den ruinösen Zustand unserer Gesellschaft zu lesen.

Joohee Oh entlarvt in ihrer Arbeit „How to not get the visa“ auf lakonische, witzige Art und Weise, die absurden Seiten der Bürokratie. Ihre schriftliche Anweisung besteht aus der Negierung der Aktionen, die man vorzunehmen hat, um in Deutschland einen Visum-Antrag zu stellen.

Marika Pyrszels Arbeit „MU“ zeigt uns, dass das Umfeld eines „nicht-tuenden“ Subjektes, in diesem Fall eines abgestorbenen Bäumchens, ständig auf es einwirkt. Der Baum ist kaum hörbaren Klangwellen ausgesetzt, die seine Blätter zum Erzittern bringen.

„Das tut man nicht“ von Sandra Romina Pölger verweist nicht nur im Titel sondern auch in der Farbwahl auf eine der Verbots- und Droh-Fibeln deutscher autoritärer Kindererziehung: den „Struwwelpeter“ von 1844. Das Bild veranschaulicht den Widerstand gegen diese auf Gehorsam ausgerichteten Erziehung: eine Porzellanfigur, die ein quengelndes Kind in den Fängen eines Elternteils darstellt, wird von einer Kinderhand energisch vom Tisch gestoßen.

Die Stop-Motion Animation von Yining Tang ruft neben Szenen aus dem Alltag starke poetische Bilder auf, um die Angst vor dem „unerträglichen Leerstand“, vor dem Nichts-Tun, der Passivität vor Augen zu führen: Eine Spinne umwebt die Figur im Video solange mit ihren Fäden, bis sie zu einer Mumie wird.

Mit dem Peter und Luise Hager-Preis, den die Peter und Luise Hager-Stiftung gemeinsam mit der Hochschule der Bildenden Künste Saar auslobt, werden studentische Arbeiten und Positionen ausgezeichnet, die künstlerisch und gestalterisch hochwertig die sinnliche Erfahrbarkeit und Vermittlung von technischen, sozialen und kulturellen Prozessen thematisieren. Die 2010 gegründete gemeinnützige Stiftung unterstützt Projekte zur Förderung von Erziehung und Bildung, Kunst und Kultur, Umweltschutz, Wissenschaft und Forschung und Sozialem. Die Peter und Luise Hager-Stiftung konzentriert sich dabei auf die Förderung nachhaltiger Projekte vor allem in Ländern und Regionen, in denen die Hager Group mit ihrem Angebot präsent ist. Ausstellung in Kooperation mit der Peter und Luise Hager-Stiftung und der Galerie der HBKsaar, verantwortlich: Prof. Dr. Matthias Winzen. Es erscheint eine Publikation mit Abbildungen und Informationen zu den Arbeiten der zehn Finalist*innen.

Nicht-Tun: Peter und Luise Hager-Preis 2022

17.3.2022 – 9.4.2022

Saarländische Galerie

Veröffentlicht am: 29.03.2022 | Kategorie: Ausstellungen, Kunst,

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert