Obwohl Galerien wieder geöffnet sind, die Museen bald folgen, liegt der Kulturbetrieb in unserer Stadt und in der gesamten Republik weitestgehend lahm. Theater und Kinos sind nach wie vor geschlossen, Konzerte, Lesungen und Aufführungen auf unbestimmte Zeit verlegt. Während die einen Angst davor haben, dass wir mit der Öffnung eine zweite Welle auslösen, ist für die anderen die Absicherung der Existenz momentan die größte Herausforderung…
Rettungs- und Hilfsprogramme gab und gibt es – nur leider greifen diese nicht für alle Kulturschaffende. Viele Solokünstler*innen, Schauspieler*innen oder Maler*innen gehen leer aus, ebenso wie viele Veranstaltungen, die geplant waren, nicht mehr realisiert werden können. Dass damit eine einzigartige kulturelle Vielfalt gerade dabei ist, zu sterben, scheint vielen Verantwortlichen immer noch nicht bewusst zu sein. Vielleicht liegt es ja daran, dass wir eine Kanzlerin haben, die ihr Herz erst der Wissenschaft und dann der Politik geschenkt hat, sodass da für Kunst und Kultur einfach nicht mehr viel übrig ist.
Es ist eigentlich auch völlig absurd, darüber zu diskutieren, Fußballspiele wieder stattfinden zu lassen, Autohäuser wieder zu öffnen und die Anliegen der Kulturbranche einfach zur Seite zu schieben, obwohl weitaus mehr Menschen ins Theater gehen, als zum Fußball. An der Stelle wäre es wohl dringend angebracht, die Frage, was denn systemrelevant ist, neu zu denken. Die Kunst- und Kulturbranche spielte im Jahr 2018 rund 168 Milliarden Euro ein. Nur zum Vergleich: Der Umsatz von Neuwagen lag im selben Jahr bei 107 Milliarden Euro.
Einer, der sich in Berlin gerade mit viel Engagement gegen die offensichtliche Ungleichbehandlung auflehnt, ist Didi Hallervorden. Als Intendant des Berliner Schlosspark Theaters und der Berliner Wühlmäuse hat er einen offenen Brief geschrieben, in dem er nicht einfach nur die Umstände beklagt, wie viele andere, sondern ganz konkrete Vorschläge macht, unter welchen Bedingungen man Theater öffnen könnte. Hier seine Anregungen:
- Im Zuschauerraum bleibt jede 2. Reihe frei.
- In den zum Verkauf angebotenen Reihen bleiben zwischen zwei Besuchern jeweils 2 Plätze frei.
- Das Theater wird vor jeder Vorstellung von einem Spezialteam desinfiziert.
- Der Einlass erfolgt einzeln mit aufgestocktem Vorderhauspersonal. Es werden dabei Mund- /Nasenschutzmasken verteilt.
- Die Gastronomie bleibt geschlossen.
- Die Theaterstücke werden ohne Pause gespielt.
- Die Schauspieler bekommen Anleitungen fürs Selbstschminken. Notwendige Kostümwechsel werden von den Schauspielern ohne fremde Hilfe bewerkstelligt.
- Inszenierungen werden unter Beachtung der Abstandsregelung ggf. abgeändert.
Alles kein Hexenwerk, alles realisierbar. Übrigens auch für Kinos. Dass das nach wie vor auf taube Ohren stößt, ist ein Armutszeugnis der Politik und ein Schlag ins Gesicht für 140 Millionen Menschen, die jährlich Kulturveranstaltungen in Deutschland besuchen. Natürlich müssen wir Leben schützen. Aber doch nicht über die Leichen jener, die von Kunst und Kultur leben. Was es braucht, sind gut durchdachte Konzepte und mit ein bisschen Erfindergeist und Mut wären die auch zu finden und zu realisieren. Ich denke, dass die meisten Menschen Verständnis für die drastischen Maßnahmen hatten. Nun ist es jedoch an der Zeit, nachzujustieren.
Während man das im Bund verschläft, „vergeht in Berlin kein Tag, an dem wir nicht an Hilfe für geschlossene Bühnen, Clubs, Theater und Kinos arbeiten.“ Das jedenfalls sagt Kultursenator Klaus Lederer heute in einem Gastbeitrag im Berliner Tagesspiegel. Und weiter: „Bis im Kulturbereich die ersten Säle wieder öffnen, erste Festivals wieder stattfinden können, wird noch Zeit ins Land gehen. Das schmerzt mich, weil ich weiß, wie sehr das Publikum und sein Applaus, der unmittelbare Kontakt, Triebkraft für alle Kunstschaffenden ist.“ Schön gesagt und doch trifft es nicht den Kern. Im Gegenteil, seine Aussage bedient das immerwährende Klischees des Künstlers, der von Applaus, Luft und Liebe lebt. Berlin hat mit seinem Rettungsschirm schnell und unbürokratisch reagiert, das muss man loben. Das darf aber nicht alles gewesen sein.