Die Galerie Michael Janssen präsentiert die erste Einzelausstellung von Louis Cameron in ihren Räumen. „Louis Cameron“ zeigt die neuesten Arbeiten des Künstlers aus den Serien „Collage Paintings“ und „Last Words“. Die Ausstellung eröffnet am Freitag, den 18. Februar und wird bis zum 16. April zu sehen sein. Im Interview mit Dr. Tiffany E. Barber kommentiert der Künstler die Ausstellung.
Dr. Tiffany E. Barber – Sie nutzen in Ihrem künstlerischen Schaffen ein breites Spektrum von Formaten – angefangen bei der Malerei über Drucktechniken, Fotografie, Skulptur, Assemblage, bis hin zu Video oder Plakatkunst… wobei ein Großteil Ihrer bisherigen Arbeiten abstrakte bis konzeptuell geprägte Objekte waren. In den USA sind Sie besonders für Ihre abstrakten Gemälde und Videoarbeiten bekannt, in denen Sie die Farbgebung im Produktdesign bekannter Konsumentenmarken aufgreifen, darunter Heineken-Bier, Tide-Waschmittel und Hershey‘s-Schokoladenriegel. In jüngerer Zeit haben Sie sich hingegen mit Fragen der Überwachung auf der einen und des digitalen Aktivismus auf der anderen Seite beschäftigt. Wie hat sich Ihre Arbeit im Laufe der Jahre und auch in Abhängigkeit von Ihrem jeweiligen geografischen Lebensmittelpunkt verändert?
Louis Cameron – Ich war am 11. September 2001 in New York City. Wie viele andere Menschen, die zu dieser Zeit in der Stadt waren, haben mich die Ereignisse veranlasst, bestimmte Aspekte meines Lebens – und damit auch meiner Arbeit als Künstler – in Frage zu stellen. In der Folge habe ich mich noch stärker der Abstraktion zugewandt, einer Abstraktion, die sich jedoch intensiv mit den Realitäten um uns herum auseinandersetzt. So habe ich mich während meiner Zeit als Artist in Residence am Studio Museum in Harlem von 2002 bis 2003 intensiv mit den Farben beschäftigt, die ich in meiner unmittelbaren Umgebung vorfand – und dies waren oft die Farben von Produkten in meinem Atelier oder in meiner Wohnung. Später arbeitete ich gezielt mit Farben, die eine spezifische kulturelle Konnotation aufwiesen, wie in The African American Flag Project. Jetzt sind es die Farben, die ich bei meinen Spaziergängen durch Berlin finde.
Dr. Tiffany E. Barber – Die aktuelle Ausstellung, Ihre erste in der Galerie Michael Janssen, baut auf den Fragestellungen auf, mit denen Sie sich im Laufe der 22 Jahre Ihrer künstlerischen Arbeit auseinandergesetzt haben – in Bezug auf Farbe, Oberfläche, Text oder die Aktivierung des öffentlichen und privaten Raums, sei es physisch oder online. Was sind die Ideen und Konzepte, die Sie Sie in diesen Arbeiten untersuchen?
Louis Cameron – Die Ausstellung zeigt zwei Gruppen von Arbeiten. Die erste Gruppe sind die Collage Paintings – collagierte Poster mit Fotos von Farben und Texturen, die ich in überall in Berlin aufnehme und dann in Form von Patchwork-Mustern in der Tradition der afroamerikanischen Quilts wie beispielsweise jener aus Gee’s Bend auf Leinwand collagiere. In diesen Arbeiten geht es damit um die gezielte Erkundung von Farbe und Ort. Die zweite Gruppe ist die Serie Last Words. Jede dieser Arbeiten ist eine Sequenz von Vinylflächen in Postergröße, die jeweils nur einen Buchstaben darstellen und – zusammen gelesen – Zitate von afroamerikanischen US-Bürgern wiedergeben, die durch Polizeigewalt oder Selbstjustiz bzw. Vigilantismus getötet wurden. Es sind Arbeiten, in denen es um Trauer, Gedenken und Ausdrucksformen von Menschlichkeit geht.
Dr. Tiffany E. Barber – Würden Sie sagen – als afroamerikanischer Künstler, der in den Vereinigten Staaten geboren und aufgewachsen ist und heute in Berlin lebt – dass Identität in Ihrer Arbeit eine Rolle spielt?
Louis Cameron – Ich würde sagen, sie spielt in dem Sinne eine Rolle, dass ich stärker spüre, wie amerikanisch/afroamerikanisch ich bin, wenn ich außerhalb der Vereinigten Staaten lebe. Dieses Bewusstsein ist in den Arbeiten von Last Words sehr präsent. In den Collage Paintings bin ich jedoch mehr an der afroamerikanischen Kultur insgesamt bzw. den afrikanischen Einflüssen innerhalb der amerikanischen Kultur interessiert.
Dr. Tiffany E. Barber – Die Collage Paintings wie auch die Last Words stehen im Kontext mit Ihrer Online-Initiative The Poster Project, in der Sie sich selbst und andere zu einer politisch und sozial stärker engagierten Kunst aufrufen. Die Black Lives Matter-Aufstände des Jahres 2020 und die COVID-19-Pandemie haben die Diskussionen über Gewalt gegen Schwarze, über Möglichkeiten und Grenzen des Protests und über unsere Beziehungen zueinander insgesamt intensiviert. Mit Last Words setzen Sie sich direkt mit dem politischen und kulturellen Klima von heute auseinander, indem Sie ein den Betrachter involvierendes Mahnmal für schwarze Menschen schaffen, die durch Polizeigewalt oder durch Selbstjustiz und Vigilantismus ums Leben gekommen sind. Inwiefern haben die vorgenannten Ereignisse und Entwicklungen Ihre Arbeit beeinflusst?
Louis Cameron – Diese Ereignisse mitzuerleben – gerade aus der Ferne – war in einem Maße traumatisierend, dass ich die Serie Last Words schaffen musste, um die verlorenen Leben zu betrauern und ihrer zu gedenken. Die Bilder der Gewalt, die diesen Menschen angetan wurde, sind wohl Teil unseres kollektiven Gedächtnisses geworden. Mich haben aber besonders auch diese letzten Worte der Menschen tief berührt.
Dr. Tiffany E. Barber – Lassen Sie uns mehr über die formalen und ästhetischen Innovationen in Ihren Arbeiten sprechen. Wie Last Words greifen auch die Collage Paintings auf das Format des Posters zurück. Sie blicken auf die Geschichte der Abstraktion und des amerikanischen Modernismus durch den Filter einer afroamerikanisch geprägten Ästhetik, die aus der Collage und dem Quilten stammt – eine kulturelle Besonderheit, die Sie jetzt zum ersten Mal im Laufe Ihrer Karriere thematisieren. Wie modulieren Sie Formales und Geschichtliches in diesen Arbeiten – und was hoffen Sie, wird der Betrachter aus dieser Ausstellung mitnehmen?
Louis Cameron – Bei den Collage Paintings ging es mir darum, selbstgenähte Quilts – als authentisch afroamerikanische Ausdrucksform, die von schwarzen Frauen parallel zur amerikanischen Moderne entwickelt wurde – in einen Dialog mit der Malerei zu stellen. Meine Hoffnung ist, dass der Betrachter dieser Arbeiten die Ausstellung mit einer gesteigerten Sensibilität für die Farben und Texturen von Berlin und die sich daraus ergebende Bereicherung verlässt. Last Words funktioniert in gewisser Weise ähnlich. Die Serie ist als Kritik an der Tradition der konzeptuellen, textbasierten Kunst angelegt; zugleich auch als deren Erweiterung, in die ich eine dezidiert schwarze Stimme und kulturelle Perspektive einbringe. Das Hauptanliegen dieser Arbeiten ist jedoch die Schaffung oder Verstärkung von Empathie.
Louis Cameron
Louis Cameron wurde in Columbus (Ohio, USA) geboren. Heute lebt und arbeitet er in Berlin. Einzelausstellungen hatte er bereits im Contemporary Art Museum St. Louis, The Kitchen (New York), The Armory Show (New York) sowie im Saint Louis Art Museum. Außerdem waren seine Arbeiten in Gruppenausstellungen sowohl innerhalb als auch außerhalb der Vereinigten Staaten zu sehen, darunter in der Albright-Knox Art Gallery (Buffalo), im Contemporary Art Museum Houston, im Studio Museum in Harlem (New York), im BALTIC Centre for Contemporary Art (Gateshead, Vereinigtes Königreich), auf der Paris Photo und der Dakar Biennale (Senegal).
Dr. Tiffany E. Barber
Dr. Tiffany E. Barber ist eine international renommierte Wissenschaftlerin, Kuratorin und Kritikerin, deren Schriften und Fachkommentare in führenden akademischen Zeitschriften ebenso wie in populären Medien und preisgekrönten Dokumentarfilmen erschienen sind. Ihre Arbeit, die sich mit Abstraktion, Tanz, Mode, Feminismus und der Ethik der Repräsentation befasst, konzentriert sich auf Künstler und Künstlerinnen der Afrikanischen Diaspora, die in den Vereinigten Staaten, der Karibik und Südamerika arbeiten. Ihr jüngstes kuratorisches Projekt ist eine virtuelle, multimediale Ausstellung für Google Arts and Culture, die den Wert des Afrofuturismus in Zeiten der Krise untersucht.
Dr. Barber ist Lehrbeauftragte für Africana Studies und Kunstgeschichte an der University of Delaware sowie Kuratorin am Delaware Contemporary. Sie war Stipendiatin von ArtTable, dem Delaware Art Museum und dem Carter G. Woodson Institute for African-American and African Studies der University of Virginia. Derzeit stellt sie als Postdoctoral Fellow am Getty Research Institute ihr erstes Buch fertig.
Beitragsbild: Louis Cameron „Collage paintings”, 2021 Paper auf Leinwand,Collage, Installationsaufnahme in der Galerie Michael Janssen Foto:Studio Lepkowski
Louis Cameron
19 Februar – 16 April 2022
Vernissage: Freitag 18 Februar 18–21 Uhr
Artist Talk: Louis Cameron im Gespräch mit Savannah Jade Thümler
13.03.2022 (Sonntag) um 15 Uhr
Savannah Thümler (geb.1995) ist eine Kuratorische Assistentin mit deutschen und amerikanischen Wurzeln, die u.a. mit Kunsthalle Baden-Baden und transmediale 2021/22 zusammen arbeitet. Ihrer Schwerpunkt liegt auf der Schnittstelle zwischen künstlerischen und sozio-politischen Themen.