Noch bis zum 19.06. können Sie sich die Ausstellung ARTIFACTS FROM THE AGE OF ACCELERATION mit Arbeiten von Lilly Lulay in der Galerie KUCKEI + KUCKEI anschauen. Das Smartphone hat unseren Alltag in den letzten Jahren radikal verändert. Immer in griffbereiter Nähe, um uns mit der Welt zu verbinden hat es unsere Kommunikationskultur und unsere Vorstellung des Hier und Jetzt neu definiert. Die neuen Arbeiten von Lilly Lulay werfen einen Blick auf das, was sich hinter den Kulissen unserer Touchscreens abspielt und blicken dazu sowohl geografisch als auch zeitlich weit zurück.
Ein Foto um die Welt zu schicken ist heute eine Angelegenheit von Sekunden und wenigen Klicks. „At Your Fingertips, Uncovering Histories of Information Transmission“ ist ein wachsendes Archiv, in dem Lulay Abbildungen von Personen, Kulturtechniken und Rohstoffen versammelt, die an der Bildübertragung per Smartphone beteiligt sind bzw. waren. In ihrem Archiv treffen Datencenter auf Abakusse, Hieroglyphen auf Emojis und Blaupausen zur fotografischen Erfassung biometrischer Daten von 1840 auf KI gesteuerte Gesichtserkennungssoftware von heute. Präsentiert wird diese Bilderflut auf schmalen Aluminiumrohren, die wie futuristische Versionen jener Staffeln und Schriftrollen anmuten, die in frühen Kulturen verwendet wurden, um Informationen von A nach B zu überliefern. Über metallische Strukturen deren Formen an Puzzleteile oder Schriftzeichen erinnern, werden die Staffeln miteinander verknüpft.
„Early Digital Tech, Artifacts from The Age of Acceleration“ versammelt digitale Unterhaltungselektronik, Speicher- und Übertragungsmedien aus den letzten drei Jahrzehnten. Hierfür verwendet Lulay die Technik der Stickerei. Seit Jahrtausenden werden mit Hilfe dieser Kulturtechnik Informationen gespeichert und weiter getragen.
Ähnlich einem digitalen Foto baut Lilly Lulay die Bilder von Taschenrechnern, Digitaluhren, Tamagotchis und Mobiltelefonen Zelle für Zelle aus einzelnen Knoten auf. Technische Geräte, die normalerweise in Massenproduktion gefertigt werden und aus glattem Plastik oder kaltem Metall beschaffen sind, erhalten hierdurch eine weiche, anschmiegsame Haptik.
Die Baumwollfasern der Stickereien können mehrere Jahrhunderte überdauern. Ob sich dann noch jemand daran erinnern kann mit welchen Ritualen und Praktiken diese Reliquien unserer digitalen Kultur verbunden waren? Im Hintergrund der Stickereien finden sich Schaltpläne von elektronischen Kleinstbauteilen, wie sie im Inneren digitaler Geräte zum Einsatz kommen. Sie steuern ob ein elektrischer Impuls weitergegeben wird oder nicht.
In der Serie „Lesson I: The Algorithmic Gaze“ arbeitet Lilly Lulay mit anonymen Fotos der 60 / 70er Jahre, einer Zeit also in der private Fotos sorgsam in Familienalben archiviert wurden, anstatt per Smartphone versendet oder online gepostet zu werden. Lulay scannt die analogen Fotos und interpretiert sie, als wäre sie selbst ein Algorithmus: ausgewählte Elemente hebt sie hervor – der Rest des Bildes verschwindet im Dunkeln. Mit Hilfe einer schwarzen Platte, die an eine Schultafel erinnert, filtert sie Farben und Formen aus dem gefundenen Foto und verwandelt es so in eine abstrakte Komposition, die von chaotischen Zahlen und Pfeilen durchkreuzt wird. Ihre Zeichnungen sind eine spielerische und zugleich kritische Illustration dessen, wie Algorithmen auf Fotografien „schauen“. Sie visualisieren die zugrundeliegenden mathematischen Prozesse der Abstraktion und Mustererkennung, die der algorithmischen Bildverarbeitung zu Grunde liegen. Als Titel der einzelnen Arbeiten verwendet sie die handschriftlichen Notizen, die der Vorbesitzer akribisch auf jedes Foto aufgebracht hatte. Diese analoge Form der Metadaten erinnert uns an die menschliche Arbeit, die einst nötig war, um Fotografien Kontext und Bedeutung zuzuweisen. Unsere digitalen Geräte haben uns von solchen Aufgaben bereits befreit. Doch auf Basis welcher mathematischen Gesetze und abstrakten Konzepte „helfen“ uns Algorithmen, die Informationsflut des digitalen Zeitalters zu bewältigen? Wie gehen wir damit um, dass KI-Systeme zunehmend als Kuratoren von Informationen agieren, die kontrollieren und zensieren, was wir zu sehen bekommen?
Lilly Lulay
Lilly Lulay, 1985 in Frankfurt geboren, studierte Fotografie, Bildhauerei und Mediensoziologie in Deutschland und Frankreich. Für ihre Arbeit erhielt Lilly Lulay mehrfach Preise und Stipendien darunter: 2019 Stipendium der Stiftung Kunstfonds, 2018 Foam Talents Programm, 2017 Olympus recommended Stipendium in Kooperation mit Foam Amsterdam, Deichtorhallen Hamburg, Fotografie Forum Frankfurt, 2015 IEPA Residenzstipendium, 2013 Künstlerhilfe Frankfurt Stipendium und 2012 Deutsche Börse-HfG Offenbach Fotografiepreis. Lulay’s Arbeiten befinden sich in privaten und öffentlichen Sammlungen wie dem George Eastman Museum Rochester, der Fondazione Fotografia Modena, dem Foam Amsterdam, der Deutsche Börse Photography Foundation Frankfurt, der Kunststiftung DZ Bank Frankfurt sowie den Artothèques in Pessac, Pau und Limoge, Frankreich. Ihre Arbeiten wurden in diesen Institutionen sowie u.a. bei Aperture New York, Die Ecke Santiago de Chile, Ballarat Foto Biennale Australien, Beaconsfield London, Foam Next Door Amsterdam, Festival Circulations Paris, Benaki Museum Athen und Museum für Konkrete Kunst Ingolstadt gezeigt. Lilly Lulay lebt und arbeitet in Frankfurt am Main und Brüssel.
LILLY LULAY: ARTIFACTS FROM THE AGE OF ACCELERATION
29.04.2021 – 19.06.2021