Kolumne: Sonne und Beton der Film von Felix Lobrecht

Über Sonne und Beton von Felix Lobrecht in einer Kunstleben Berlin Kolumne von Jeannette Hagen

Eine Kunstleben Berlin Kolumne von Jeannette Hagen. Es gibt Filme, die sich auf einem schmalen Grat bewegen. Bei ihnen hat man schon im Vorfeld Sorge, dass das Potential, was in der Geschichte steckt, nicht auserzählt werden kann. Dass die Handlung abrutscht. Entweder, weil sie allzu klischeehaft dargestellt wird oder weil alles insgesamt zu bemüht daherkommt. Möglicherweise auch, weil der Stoff doch nicht so zündet, wie gedacht. Unterm Strich hätte bei Sonne und Beton all das eintreten können, was gerade, wenn eine Biografie hinter der Story steckt, tragisch gewesen wäre. Noch tragischer, wenn der Autor der Geschichte so bekannt ist, wie Felix Lobrecht.

Um es vorwegzunehmen, bei Sonne und Beton ist die Gratwanderung gelungen. Felix Lobrecht, dem man die Aufregung in seinem Podcast „Gemischtes Hack“ schon Monate vor dem Kinostart anmerken konnte, kann sich glücklich schätzen. Sonne und Beton wird bei denen, die ihn gesehen haben, im Gedächtnis bleiben. Aber nicht nur das. In meiner Twitter-Community schrieb jemand:

„Guckt bitte #SonneundBeton. Auch als einen guten Hinweis darauf, was Problem im Wort Problemviertel tatsächlich bedeutet, bevor Politik, Medien und breite Öffentlichkeit ihre Interpretation drüber bügeln.“

Er hat recht. Der Film zeigt etwas, das in Debatten meist verlorengeht: dass es immer um Menschen geht. Und dass jede*r von ihnen eine Vergangenheit und eine Gegenwart hat, die meist eng verwoben sind. Und dass es verdammt schwer ist, sich daraus zu lösen.

Aber ist es nun die Biografie von Felix Lobrecht, die wir da sehen? Oder ist, wie im Vorspann gesagt, eventuell ja auch alles frei erfunden? Wer weiß das schon? Die treuen Hörer*innen von „Gemischtes Hack“, die Hackies, wissen sicher ein bisschen mehr, erkennen Felix, der im Film Lukas heißt und mit seinem alleinerziehenden Vater in Gropiusstadt wohnt, wieder. Lukas, der gleich zu Beginn von Dealern verprügelt und dazu verdonnert wird, 500 Euro Schutzgeld zu bezahlen, sonst droht die nächste Tracht Prügel oder Schlimmeres. Eigentlich spielt es keine Rolle, ob es die Geschichte eines Star-Comedian ist, der drei Tage hintereinander Stadien mit seinem Programm füllt. Das ist auch eine Stärke des Filmes – dass er sich mit jeder Minute von der Figur Lobrecht löst und aufzeigt, dass die Herausforderungen für alle dieselben sind und die Chancen, diesem Milieu zu entkommen, für alle Protagonist*innen gleich schlecht stehen. Aus Tätern werden Opfer und umgekehrt.

Wie der Film selbst, bewegt sich auch Lukas‘ Leben auf einem schmalen Grat. Jeder Fehltritt wäre fatal, nur weiß er im Vorfeld eben leider nicht, was zum Fehltritt wird oder werden könnte. Schlagen oder sich schlagen lassen? Agieren oder reagieren? Sich wehren oder aushalten? Wie löst man die vielen Dilemmas, wenn das eigene Leben als festzementierter Weg erscheint, aus dem es irgendwie kein Entrinnen gibt – egal, wie man es dreht, egal wie man es wendet, egal eben.

Selten habe ich ein Kino so aufgewühlt verlassen. Die Enge, die Lukas kraft seiner Herkunft einschnürt, die Hitze der Stadt, das Testosteron, die toxische Männlichkeit, der aufgeheizte Beton – all das überträgt sich Dank gekonnt gesetzter Perspektiven, schneller Schnitte, Kameraführung und Musik. Ähnlich wie bei Nora Findtscheidts „Systemsprenger“ hatte ich immer wieder das Gefühl, mit in dem Käfig zu sitzen, der enger wird, desto fester man an den Stäben rüttelt. Man ahnt und fürchtet, dass sich die aufgestaute Energie irgendwann zwangsläufig entladen muss. Wer den Lebensweg von Lobrechts verfolgt hat, weiß allerdings, dass es Hoffnung gibt und dass Familie, Freundschaft und Resilienz mehr als schöne Worte sind. Sonne und Beton ist jedenfalls ein unglaublich gelungener Film und ich schließe mich den Worten meines Twitter-Freundes an: „Guckt bitte #SonneundBeton.

Zum Filminhalt:

„Berlin-Gropiusstadt im Rekordsommer 2003. In den Parks stinkt es nach Hundescheiße, überall Scherben, in den Ecken stehen Dealer. Wer hier lebt, ist Gangster oder Opfer. Lukas (Levy Rico Arcos), Gino (Rafael Luis Klein-Heßling) und Julius (Vincent Wiemer) sind solche Opfer. Kein Geld fürs Schwimmbad, kein Glück in der Liebe und nur Stress zu Hause. Als sie im Park Gras kaufen wollen, geraten sie zwischen rivalisierende Dealer. Die verprügeln Lukas und wollen 500 Euro Schutzgeld. Wie soll Lukas das Geld auftreiben? Sein neuer Klassenkamerad Sanchez (Aaron Maldonado-Morales) hat eine Idee: Einfach in die Schule einbrechen, die neuen Computer aus dem Lager schleppen und verkaufen. Dann sind sie alle Geldsorgen los. Der Plan gelingt. Fast.“

"

Veröffentlicht am: 06.04.2023 | Kategorie: Kino & TV, Kolumne Jeannette Hagen,

Eine Meinung zu “Kolumne: Sonne und Beton der Film von Felix Lobrecht

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert