Kunstleben Berlin Kolumne von André Lindhorst. „Der Künstler muss jeden Auftrag zurückweisen, der ihm nicht seine völlige Ausdrucksfreiheit lässt. Er muss die Mitarbeit an allen politischen und kommerziellen Unternehmungen verweigern, die die Kunst nur als ein Mittel betrachten. Dies gilt natürlich auch für jede Art von Propagandatätigkeit, wofür auch immer sie einträte…[…]“ (1)
Um das Freihalten der Kunst von Einflüssen – kommerziellen ebenso wie politischen – ging es dem Surrealisten Wolfgang Paalen, der diese Sätze 1944 schrieb. Geradezu paradox klingt sein Statement heute gegenüber unserer Gegenwart, in der die Kunst längst mit Lifestyle und Mode verquickt ist und verstärkt kommerziellen Interessen ausgesetzt ist. Aktuell erleben wir eine weitgehend politisierte und moralisierte Kunst, die allzu oft den pädagogischen Zeigefinger hebt.
Lassen sich Künstler und Ausstellungsmacher zu sehr in die moralische Pflicht nehmen? Meint man nur noch jene Themen bedienen zu müssen, die schon die Printmedien, das Fernsehen oder Social Media beherrschen? Lange nicht mehr sah man soviel moralische Appelle, so viele Aufgüsse von Altbekanntem und so viel Belangloses in Ausstellungen. Wo bleiben sie, die spannenden und originellen Strategien künstlerischer Individualität? Oder sind inzwischen alle Kunststile zu Tode zitiert, alle Themen zum x-ten Mal praktiziert?
Viel Kritik kommt derzeit von Kunstkritikern und -freunden, Museumsmenschen und von Sammlern sowie den Kunstschaffenden selbst.
“Wo ist er, jener Mut, das wirklich Neue zu wagen, in Gefilde aufzubrechen, die unbekannt sind?“ fragt Karlheinz Schmid, Chefredakteur und exzellenter Kunstkenner in der allerletzten Ausgabe der „Kunstzeitung“ (Juni/Juli 23) und fordert ein neues Selbstverständnis von den Kunstschaffenden. „Überall Duckmäuserei und runternudeln des einmal angeeigneten Repertoires […] Wo ist sie, die Bereitschaft, Terrain zu erobern, das – ob besetzt oder unbesetzt – einer neuen Wahrnehmung zugeführt werden kann […] Wo ist diese Haltung, dieses Selbstverständnis der Künstlerinnen und Künstler?“
Bernhard Schulz, Kunstexperte und Redakteur im Kulturressort des Tagesspiegels, sieht die Kunst vor allem verstrickt in Abhängigkeiten: „Wenn Kuratoren Konflikte vermeiden, um ihren Job zu behalten, wenn Künstler sich ihrer Autonomie berauben lassen, um ihre Galeristen, ihre Sammler nicht vor den Kopf zu stoßen, dann gerät die Kunst ohne Not in den Mainstream. Wenn Gremien, Institutionen, Behörden anfangen, der Kunst den Weg zu weisen, ist Wachsamkeit geboten!“(2)
Vor allem der jungen Künstlergeneration stellen sich drängende Fragen: Wie operieren, ästhetisch und inhaltlich, in einer multikulturellen und von Diversität geprägten Gesellschaft? Wie den Begehrlichkeiten kommerzieller Interessen widerstehen, wenn die eigene Existenz auf dem Spiel steht? Wie den eigenen Anspruch behaupten in Zeiten, in denen die Kunst bedrängt wird von widersprüchlichem Einflüssen? Und wie agieren auf den zunehmenden Einfluss neuer Kunstformen wie der Künstlichen Intelligenz?
Seine künstlerische Autonomie in diesen gerade auch für die Kunst unruhigen Zeiten zu erhalten bei all den Härten und Unwägbarkeiten, den das moderne Kunstgeschäft mit sich bringt, ist ganz sicher keine leichte Angelegenheit. Ist die Kunst also ein geschundener Gaul – am Ende seiner Kraft? Oder ist sie auf dem Weg zu einem neuen, die Kunstwelt begeisternden Konstrukt in einer von Diversität geprägten Gesellschaft? André Lindhorst, August 2023
(1) Der Surrealismus, Band 21, Weltgeschichte der Malerei, Edition Rencontre Lausanne, Lausanne 1966, S. 115
(2) Bernhard Schulz, Tagesspiegel, 18.02.2023.
Beitragsbild: KI – Prompt by Peter Drimal. Selbstbildnis des Künstlers
Auf solch einen Beitrag habe ich schon lange gewartet. Wie schön, dass es noch Menschen gibt die klare Worte sprechen und kein angepasstes, artiges Geplauder.
Vielen Dank dafür!