Kunstleben Berlin Kolumne von Ludwig Graf Westarp.
Ludwig Graf Westarp: Frau von Streng, in der Ausstellung „außer sich – inner ich, part 2“ in der Inselgalerie, die am 10.11.2022 eröffnete und bis zum 7.1.2023 läuft, zeigen Sie ausgewählte Werke der Serie „Limits of PortLand“. Worum geht es darin – und nach welchen Kriterien haben Sie die Auswahl der Werke getroffen?
Rubica von Streng: „Limits of PortLand“ ist der zweite Teil des 2018 begonnenen Zyklus „PortLand“. Der erste Teil, „Towards PortLand“, widmete sich vor allem der von Individualismus und Entfremdung geprägten Gegenwart und der Verwurzelung der Protagonisten zwischen inneren und äußeren Landschaften. In „Limits of PortLand“ geht es dagegen um die unmittelbare Zukunft. Zu sehen sind Portraits der künftigen Erde, Bestandsaufnahmen der Topographie unseres Planeten, dessen Erscheinungsbild das Ergebnis einer jahrhundertelangen Domestikation durch die Menschheit ist. Thematisiert werden der Verlust von Biodiversität, die Zerstörung von Biotopen, Migration und Heimatverlust in Folge von Kriegen oder Katastrophen. Mithilfe eines universellen Formen- und Farbcodes, der wesenhafte Landschaften entstehen lässt, werden sich verändernde Stimmungen sichtbar – inspiriert von der Natur, deren Erhalt und dem Weltgeschehen. Stimmungen, die überdauern und die fest mit dem Land verbunden sind. Bei der Auswahl der Werke für die Ausstellung war es für mich besonders wichtig, den Besucher*innen getreu dem Motto „außer sich – inner ich“ einen imaginären Spiegel vor Augen zu halten und sie zur Reflexion über den Zustand der Welt anzuregen. Etwa bei „Hidden Diversity“: In diesem Werk wird eine verborgene und zugleich zerstreute Vielfalt sichtbar. Ich möchte damit ausdrücken, wie sich Heimatverlust und Zerstörung anfühlen können. Zugleich ist es eine Momentaufnahme des Gefühls der Zugehörigkeit.
Ludwig Graf Westarp: Sie beschäftigen sich in der Kunst mit Themen wie Migration, Verlust der Heimat infolge von Kriegen, Verlust an Biodiversität und Zerstörung von Biotopen. Warum und wie behandeln Sie solche Themen?
Rubica von Streng: Es ist mir wichtig, unterschiedliche Ebenen in ein und demselben Werk „klingen“ zu lassen. Es gibt die Ebene der Landschaft, die zugleich auf eine innere Landschaft verweist. Durch fragmentarische Formen, die teils von realen Landschaften inspiriert sind, aber auch durch die Beschaffenheit von verschiedenen Aggregatzuständen, ist es mir unter anderem möglich, Lebendigkeit und Verfall darzustellen. Ich denke, man muss die drohende Klimakatastrophe und die derzeit durch Kriege in Europa und anderswo hervorgerufene Zerstörung ernst nehmen und sich damit befassen. Als zeitgenössische Künstlerin mache ich mir selbstverständlich Gedanken dazu. Ein weiterer spannender Punkt war für mich, Grenzen auszuloten – wie schon der Titel der Serie sagt: Limits. In manchen Werken werden Bereiche innerhalb der Landschaft und deren Grenzen durch andere Bildelemente so vereinnahmt, dass es einer Eroberung gleichkommt. Und überhaupt – was bedeutet Heimat? Ist Heimat ein Ort oder ein Gefühl? Kann es mehrere Heimaten geben beziehungsweise: Kann aus der Fremde Heimat werden? All das sind Fragen, die mich bei dieser Serie beschäftigt haben.
Ludwig Graf Westarp: Gab es ein Schlüsselerlebnis, das Sie zur Künstlerin werden ließ?
Rubica von Streng: Es gab mehrere Schlüsselerlebnisse. Etwa jenes, als mir bewusst wurde, wie stark sich die Wirkung von Kunstwerken entfaltet. Das war, als ich ein Bild malte, das ich im Anschluss zerstörte, weil es teils unterbewusste Erinnerungen ins Bewusstsein befördert hatte. Es war also ein sehr persönliches Werk; ich hätte es wahrscheinlich nie öffentlich zeigen wollen. Eines Tages wurde mir dann aber bewusst, dass ich als Künstlerin mit meinen Werken viele Menschen erreichen und ihnen wichtige Denkanstöße für eine achtsame Lebensweise geben und sie für Zustände in unserer Gesellschaft sensibilisieren kann. Insofern sehe ich die Kunst als meine Berufung.
Ludwig Graf Westarp: Welche Bedeutung hat für Sie übergreifendes Arbeiten zwischen Kunstsparten?
Rubica von Streng: Für mich ist es essenziell, auch mit anderen Medien zu arbeiten und Vorgänge dadurch auf unterschiedliche Weise auszudrücken und zu komplettieren. Den Blick der Malerin behalte ich dabei trotzdem – die Arbeit mit anderen Medien gibt mir aber die Möglichkeit, ein breiteres Umfeld zu beleuchten und bestimmte Aspekte auszudrücken, die in der Malerei nicht möglich sind. Sie nehmen allerdings oft Bezug auf die Gemälde. So zum Beispiel bei dem Schildkrötenpanzer in „Limits of PortLand“, der als abgeformtes Unikat einer einst lebenden Köhlerschildkröte als Malgrund fungierte. Die Bedeutungsverwandtschaft dieses Vorgangs und die Retuschearbeit, das Abbild so echt wie möglich nachzubilden, mündeten in einen langen Schaffensprozess, bei dem ich vieles beobachten konnte – etwa, dass die vermeintlich widerstandsfähigsten Hornplatten des Panzers tatsächlich sehr fragil sind. Das ist ein schönes Sinnbild. In der Malerei können solche physikalischen Grenzen auf unterschiedliche Weise überwunden werden. Bei der Plastik funktioniert das nicht.
Ludwig Graf Westarp: Künstliche Intelligenz (KI) und Kunst: Wie sehen Sie das Verhältnis?
Rubica von Streng: KI-Systeme werden von Menschen gespeist. Sie erhalten das, was wir ihnen geben. Sie können zwar lernen, man spricht ja auch von „machine learning“, aber das ist zurzeit alles noch begrenzt und berechenbar – und ganz sicher keine Kunst. Die Systeme häufen autonom Wissen an, sammeln Informationen und treffen Entscheidungen. Man wird sehen, was am Ende herauskommt – darüber kann man heute bestenfalls Vermutungen anstellen. Ob KI-Systeme jemals imstande sein werden, kreativ und intuitiv zu handeln, also künstlerisch zu arbeiten, ist schwer zu sagen. Wie wollen Sie diesen Systemen zum Beispiel Stimmungen und Seinszustände erklären, für die es ohnehin wenige bis gar keine Worte gibt? KI ist in meinen Augen ein Experimentierfeld, über das ich hin und wieder staunen kann. Letztendlich wird dadurch die Kunst aber nicht besonders bereichert.
Beitragsbild: Portraitfoto: Rubica von Streng, von Frank Lassak