Kunstleben Berlin Kolumne von Jeannette Hagen. Culterim – Die sinnvolle Zwischennutzung von Räumen. In Berlin Künstler*in zu sein, war lange Zeit cool. Es gab haufenweise ungenutzte Räume, in denen Gleichgesinnte sich trafen, wo man selbst Kunst produzieren oder ausstellen konnte. Nun wollen wir Berlin im hier und jetzt seine Coolness keinesfalls absprechen, aber das mit den Räumen für Künstler*innen hat sich verändert. Gravierend. Und nein, nicht im Sinne der Künstler*innen. Eine Gruppe von Freischaffenden wollte das nicht so hinnehmen und kreierte ein passendes Konzept: Warum bringen wir nicht jene, die Räume haben und die vielleicht gerade leer stehen mit denen zusammen, die sie brauchen? So ist Culterim geboren und mittlerweile zu einem Unternehmen gewachsen, das eine schmerzhafte Lücke füllt. Jeannette Hagen hat den Geschäftsführer Dennis Gegenfurtner für Kunstleben Berlin befragt.
Lieber Dennis. Vielleicht erzählst Du uns vorab, wie alles angefangen hat.
Die Initiative und das Unternehmen Culterim haben wir vor zwei Jahren bzw. im November 2021 gegründet. Als Teil des Berliner Kunstvereins „Studio Huette eV“ waren wir wie viele andere Kunstvereine und Künstler*innen auf der Suche nach Orten, um uns zu verwirklichen, um zu arbeiten und einfach auch zusammen sein zu können. Leider hat das nicht funktioniert. Entweder, weil die Räume zu teuer oder die Räumlichkeiten zu klein waren. Mehr oder weniger durch einen Zufall ist uns der Gutshof in Dahlewitz „zugeflogen. Zunächst haben wir angefangen, dort zu arbeiten und erst im zweiten Schritt haben wir Veranstaltungen wie Filmabende oder ähnliches durchgeführt.
Und plötzlich – allein dadurch, dass wir vor Ort waren –, hat sich in dem Dorf bzw. in dem Stadtkern von Dahlewitz einiges getan. Die Nachbarn wurden neugierig und kamen vorbei, um zu schauen, was wir da machen. Es war für beide Seiten ein Gewinn – für uns als Kunstverein und auch für die Nachbarschaft.
Und natürlich für die Eigentümer, weil die Immobilie durch unsere Nutzung ein bisschen instandgehalten wurde. Die Rohrleitungen wurden benutzt, es gab keine illegale Müllablagerung und vieles mehr. Und so entstand die Idee, daraus ein Konzept zu entwickeln. Das war 2021, als ich überlegt habe, das Ganze zu professionalisieren. Ich habe gedacht, dass es sicher viele Immobilieneigentümer oder Immobilienunternehmen gibt, die so wie die Räume in Dahlewitz, leerstehende Flächen im Portfolio haben. Die Vermutung war richtig und darum entwickeln wir seither kulturelle Zwischennutzungskonzepte für leerstehende Immobilien. In der Regel sind das Atelierflächen, Ausstellungsräume und Räume für begleitende Artists in Residence Programme – je nach Immobilie. Das sind dann Studios und teilweise auch Wohnflächen für Künstler*innen, die meistens im Sommer (weil wir in den meisten Gebäuden keine Heizung haben), für fünf Monate dort arbeiten und leben. Damit schaffen wir eine Art Künstler*innen-Community, die mit einem Mentoring Programm von uns begleitet wird.
Wir haben auch Studio Flächen und kreieren Ausstellungsflächen in leerstehenden Gebäuden. Meist sind das speziellere Einheiten, also zum Beispiel ein Kellergewölbe in Charlottenburg, das wir für Ausstellungen genutzt haben. Mittlerweile gibt es ein neues Projekt am Gesundbrunnen in der Brunnenstraße 107, das ist eine alte Rossmann Filiale, ein alter Handyshop und ein Backshop, der jetzt zu Ausstellungsflächen umgebaut wurde.
Für alle Möglichkeiten, die es bei uns gibt – also seien es die Artists in Residence Programme, Studios oder Ausstellungsflächen – gibt es immer öffentliche Ausschreibungen, sogenannte Open Calls. Zusätzlich kooperieren wir mit den Universitäten. Also mit der UdK und mit Weißensee. Wir hatten aber auch schon Kooperationsprojekte mit der HfbK Hamburg. Das Ziel ist, junge, aufstrebende Künstlerinnen zu unterstützen und zu supporten, indem wir die Flächen, die wir bekommen, sehr, sehr kostengünstig weitergeben, sodass sie sich eigentlich jede*r leisten kann.
Super zusammengefasst. Wie bewirbt man sich auf die Open Calls?
Die Open Calls veröffentlichen wir zum einen bei uns im Newsletter, dann über unsere Social-Media-Kanäle und auf diversen Plattformen. In der Ausschreibung steht dann konkret drin, worum es geht und wie das Prozedere abläuft.
Ich hatte ja schon erwähnt, dass wir mit den Artists in Residence Programmen eine Community schaffen. Das erfordert aber, dass diese Community auch funktioniert. Dementsprechend versuchen wir bei der Auswahl der Künstler*innen darauf zu achten, dass die Charaktere zusammenpassen. Wer sich bewirbt, schickt ein Motivationsschreiben, einen CV und ein Portfolio. Und dann führen wir kleine Bewerbungsverfahren mit einem Interview durch. Für ein Studio reichen allerdings ein CV und ein Portfolio. Für Ausstellungsflächen brauchen wir ein Konzept und den CV. Mittlerweile sind wir zu viert im Team. Wir screenen gemeinsam die Bewerbungen, führen die Interviews durch und vermitteln dann die leerstehende Fläche.
Das klingt nach viel Arbeit. Wie finanziert Ihr euch? Durch die Ausstellungen, durch Verkäufe oder durch Spenden?
Aktuell ist es leider noch so, dass wir die Flächen, die wir anbieten, nicht kostenfrei abgeben können. Wir gründen aber gerade noch einen gemeinnützigen Verein, mit dem wir uns für Förderungen bewerben werden. So lange das noch nicht funktioniert, müssen wir, um kostendeckend zu sein, von den Künstler*innen einen kleinen Obolus nehmen. Unterm Strich sind wir damit günstiger als die Studios aus dem Atelierprogramm des Senats. Das Ganze trägt sich über die Masse. Allein in diesem Jahr haben wir im Sommer knapp 35 Residence Plätze, dazu kommen die Studios – wahrscheinlich so 30-40. Reine Ausstellungsflächen haben wir aktuell drei, wobei da auch sicher noch zwei bis drei weitere dazukommen. Neben der Vermittlung von Räumen ist eine weitere Säule unserer Arbeit die Vermittlung von Kunstwerken der Künstler:innen, die Teil unserer Konzepte sind.
Wie ist die Resonanz auf die Angebote? Gibt es mehr Bewerber*innen als Plätze?
Ja, auf jeden Fall. Auf die 35 Residence Plätze, die wir im Sommer anbieten, gab es eine überwältigende Resonanz und deutlich mehr Bewerbungen als Plätze.
Also ist der Bedarf einfach riesig groß.
Das kann man so sagen. Man muss auch sehen, dass es natürlich viele Künstler*innen gibt, die schon ein Studio oder Flächen haben oder die in den Universitäten die Studios nutzen können. Trotzdem ist unser Angebot interessant, weil viele vielleicht nur temporär, also für zwei bis drei Monate einen größeren Raum benötigen. Des Weiteren ist unser Vorteil, dass wir keine Hürden im Bewerbungsverfahren haben. Man muss bei uns nicht in der Künstlersozialkasse sein oder ein abgeschlossenes Studium vorweisen. Jede*r kann sich bei uns bewerben, ganz gleich in welchem Stadium der künstlerischen Laufbahn sich die Person befindet.
Wie genau kommt Ihr denn an die Flächen? Bist Du wie ein Scout, der scannend durch die Stadt geht?
Ja. Irgendwie schon. Zum einen hat sich tatsächlich mein Blick sehr verändert, wenn ich durch die Stadt gehe. Ich achte darauf, ob ich irgendwo leerstehende Flächen sehe und versuche dann auch explizit, an die Eigentümer heranzukommen und sie anzusprechen. Daneben unterstützt uns mein Bruder, der in einem Immobilienunternehmen in Berlin arbeitet. Über ihn sind die ersten Kontakte entstanden. Das war damals ein bisschen wie „der Fuß in der Tür“ zu haben. Danach hat sich eigentlich alles weitere so mehr oder weniger entwickelt. Übrigens auch über Mund zu Mund Propaganda. Dazu haben wir im Herbst 2022 eine Akquise-Kampagne gestartet, also eine Kaltakquise, bei der wir einfach zu Immobilienunternehmen gegangen sind und ihnen unser Konzept vorgestellt haben. Und zur Unterstützung des Ganzen haben wir noch einen Imagefilm gedreht.
Und was sind die Befürchtungen, die die Vermieter oder Eigentümer haben? Ich kann mir vorstellen, dass es da einige gibt.
In der Regel sind diese Befürchtungen tatsächlich sehr gering. Sie befürchten manchmal, dass es ein Problem wird, weil durch die Künstler*innen ja noch ein Extra-Partner ins Spiel kommt, mit dem sie planen müssen. Aber das nehmen wir ihnen ja ab.
Oder sie sagen: „Na ja, wir haben jetzt eigentlich nur ein halbes Jahr Leerstand. Macht das dann für euch Sinn?“ Ja, natürlich. Manchmal schließen wir dann einen Vertrag über diesen Zeitraum und noch während der Nutzung stellt sich dann heraus, dass sich etwas verzögert oder das Ganze doch länger dauert, weil vielleicht der Bauantrag noch nicht bewilligt ist, etc.
Zusammengefasst: Mehrarbeit und weniger Flexibilität sind die Befürchtungen. Beide Befürchtungen können wir mit unserer Umsetzungsweise relativeren.
Denkst du, dass seitens des Senats viel mehr getan werden könnte? Also im Sinne von, dass man ressortübergreifend arbeitet, eben so dass Zwischennutzung auch auf Bauämtern ein Thema ist?
Es gibt ja schon ein bisschen was, aber diese Projekte sind auf mittel- bis langfristige Nutzung fokussiert. Das Thema der Zwischennutzung fällt tatsächlich hinten runter. Da würde ich mir schon mehr Engagement wünschen. Es ist ja so: Wird ein Gebäude von einer Firma gekauft, dann gehen die in die Projektentwicklung und bis der Bauantrag durch und alles geklärt ist, vergehen meistens ein bis zwei Jahre, in denen einfach Leerstand herrscht und wo nichts passiert. Da eine Schnittstelle zu schaffen, wäre für den Kunst- und Kulturbereich gut.
Eine andere Frage an Dich persönlich: Warum ist Kunst wichtig, gerade jetzt in dieser Zeit?
Kunst spielt für mich eine große Rolle und ich glaube, sie ist einfach grundsätzlich für die Gesellschaft wichtig. Kunst ist ja – ganz banal gesagt – auch Ablenkung, also etwas, das man konsumieren kann. Das brauchen wir. Darüber hinaus spiegelt Kunst den Zustand der Gesellschaft. Sie hilft, sich zu erinnern, man kann sich mit ihr identifizieren oder sich über sie definieren.
Mich ärgert, dass wir ja eigentlich alle wissen, wie wichtig Kunst und Kultur sind und dass dieser Bereich trotzdem dauerhaft auf Förderungen angewiesen ist. Es gibt einfach viele Künstler*innen, die ohne Förderungen gar keine Ausstellungen bewältigen könnten. Das ist doch paradox – wir haben so ein wichtiges Gut für die Gesellschaft und das läuft nur, weil es subventioniert wird.
Ja, das ist irgendwie schräg.
Ich habe dafür auch noch nicht die richtige Lösung gefunden. Vielleicht muss man eine spezielle Kunststeuer einführen. Es muss neue, andere Wege geben als die, die wir momentan beschreiten. Vielleicht geht es ja auch darum, das Bewusstsein für Kunst und Kultur und die Bedürfnisse der Künstler*innen zu verbessern. Warum bekommen zum Beispiel Künstler*innen, die eine Ausstellung machen, keine Honorare, sondern müssen darauf hoffen, dass ein Kunstwerk verkauft wird?
Ja, das stimmt. Wenn ich einen Text schreibe, kriege ich den ja auch bezahlt, wenn er irgendwo erscheint. Ich glaube, im Kunstbereich sitzt immer noch der Gedanke fest: „Ach, denen macht das doch Spaß.“
Ja definitiv ist das ein Punkt. Aber wir arbeiten ja mit Culterim auch daran, das zu verändern.
Gibt es eine Vision für Culterim?
Uns ist am wichtigsten, dass wir den Leerstand reduzieren und damit Flächen für wirklich jede Person im Kunst- und Kulturbereich zur Verfügung zu stellen können. Wir wollen dafür sorgen, dass es für jede*n finanzierbar ist, eine Fläche zum Arbeiten oder Ausstellen zu haben. Ich würde mir wünschen, dass das unabhängig von Förderungen auch unterstützt wird.
Wir nehmen in regelmäßigen Abständen Kunstwerke, die im Kontext von Culterim entstanden sind, mit in unser Portfolio auf und verkaufen diese Werke. Und was vielleicht noch nicht so richtig klar rübergekommen ist: Wenn Menschen über uns ein Kunstwerk kaufen, dann geht der Großteil des Geldes an die Künstler*innen. Der kleine Teil, also der, der an uns geht, der fließt nicht in ein gewinnorientiertes, kapitalistisches Unternehmen, sondern in ein soziales Unternehmen. Und sobald wir den gemeinnützigen Verein haben, wird immer ein bestimmter Prozentsatz, den wir mit dem Unternehmen erwirtschaften, automatisch in den gemeinnützigen Verein fließen, mit dem wir dann wiederum Stipendien ermöglichen und verteilen wollen.
Das klingt gut! Vielen Dank für das Gespräch!