Kunstleben Berlin Kolumne von den ART BREAKERS. Schon seit 1895 zieht es im zweijährigen Rhythmus die Kunstinteressierten aus der ganzen Welt zur Kunst Biennale nach Venedig, die eine der wichtigsten internationalen Ausstellungen zu zeitgenössischer Kunst ist. Hier kannst du einen Überblick genießen plus an einem ONLINE ART BREAK „Best of Biennale 2024“ teilnehmen.
»Stranieri Ovunque – Fremde überall« lautet der Titel der 60. Kunst-Biennale, die vom 20. April bis zum 24. November 2024 in Venedig stattfindet. Kurator des diesjährigen Kultur-Highlights ist der Brasilianer Adriano Pedrosa, der erste Lateinamerikaner in dieser Position. Mit seinem Titel will er Kunst zeigen, die von Fremdheit bestimmt ist – Ausländer, Immigranten, Expatriates, Emigranten, Exilanten und Flüchtlinge.
29 Nationen in den Giardini
In den Giardini präsentieren 29 Nationen ihre Beiträge in oft von bedeutenden Architekten des 20. Jahrhunderts entworfenen Länderpavillons. Im Jahr 1907 wurde der erste Pavillon erbaut (Belgien), Deutschland ist seit 1909 dabei – als letzter schloss sich Korea 1995 an. Das zentrale Biennale-Gebäude mit der charakteristischen Säulen-Fassade ist in diesem Jahr von einem indigen Künstlerkollektiv farbenfroh gestaltet. Bei strahlendem Sonnenschein waren wir über Pfingsten vor Ort und haben uns selbst ein Bild gemacht.
Unsere Eindrücke aus den Giardini
Vier Pavillons sind in diesem Jahr von den anhaltenden Kriegen und Unruhen besonders geprägt: Russland selbst nimmt zum zweiten Mal in Folge nicht an der Biennale teil, sondern hat seinen Pavillon dem „befreundeten“ Bolivien zur Verfügung gestellt. Im polnischen Pavillon ruft die eindrucksvolle Video-Installation „Repeat after me“ des ukrainischen Künstlerkollektivs Open Group die Besucher:innen zur Interaktion auf. Der ursprünglich geplante Beitrag mit Werken eines PiS-nahen Künstlers wurde abgesagt.
In Österreich teilt die in Leningrad geborene und seit 1989 in Wien lebende Künstlerin Anna Jermolaewa in „A language of resistance“ ihre persönliche Migrationserfahrung und zahlreiche Formen des gewaltlosen Widerstands gegen autoritäre Regime. Und der israelische Pavillon bleibt in diesem Jahr vor dem Hintergrund des Krieges im Gazastreifen geschlossen. Die Kuratorinnen haben sich gemeinsam mit der Künstlerin Ruth Patir entschieden, die Kunst schweigen zu lassen, solange die Waffen sprechen. Ein Schild am Eingang verdeutlicht dies: Solange keine Waffenruhe herrscht und alle Geiseln, die seit Oktober 2023 in der Hand der Hamas sind, befreit sind, bleibt der Pavillon geschlossen.
Den Deutschen Pavillon kuratierte die Architektin Çağla Ilk, die neben der Kunst auch im Theater zuhause ist. Die Architektin aus Istanbul, die im Berlin der Nuller Jahre im Schnittfeld von Kunst und Urbanistik als Kuratorin angefangen hat, repräsentiert auf der großen internationalen Kunstschau eindrucksvoll Deutschland – in einem von den Nazis errichteten Pavillonbau.
Die Künstler:innen Yael Bartana und Ersan Mondtag bespielen unter dem Motto „Thresholds“ (Schwellen) die Räumlichkeiten. In der auf drei Ebenen begehbaren Multimedia-Installation „Monument eines unbekannten Menschen“ führt uns Ersan Mondtag durch die Fragmente eines Lebens: Arbeitswelt, Wohnraum und öffentlicher Raum. In regelmäßigen Performances bewegen sich Figuren durch den Alltag; als Grundlage dient die Biographie von Mondtags Großvater Hasan Aygün. Yael Bartana verabschiedet sich in der Zeremonie „Farewell“ von unserer Welt, feiert die Loslösung von derselben und transportiert uns dann mit dem Generationenschiff „Light to the Nations“ in neue Galaxien und Planeten.
Sehenswerte Länder-Pavillons
Weiterhin sehenswerte Länder-Pavillons in den Giardini, die uns neben der Ausstellung im Hauptpavillon sehr gut gefallen haben:
- USA: Jeffrey Gibson – erstmals ein indigener Künstler, der die USA äußerst farbintensiv repräsentiert.
- Schweiz: „Super Superior Civilisations“ vom schweizerisch-brasilianischen Künstler Guerreiro do Divino Amor – schräg, laut, bunt.
- Ägypten: Wael Shawky gestaltet ein Video über einen anti-kolonialistischen Aufstand in Form einer Oper.
- Gewinner-Pavillon des Goldenen Löwen, Australien: „Kith and Kin“ (Kind und Kegel) – die Wände und Decken des Pavillons zeigen den 65.000 Jahre zurückreichenden Stammbaum von Archie Moore – neben unzähligen Prozessakten gegen First Nation People.
Die zweite Biennale-Location – Arsenale: Die Hallen einer ehemaligen Schiffswerft, in der eine Großausstellung sowie weitere Länderpavillons zu sehen sind. Man kann mühelos ganze Tage in den Giardini und auf dem Arsenale-Gelände verbringen.
Unsere Favoriten aus dem Arsenale
Eine kleine Auswahl unserer Favoriten wollen wir hier auflisten: Direkt zu Beginn begrüsst uns das neuseeländische Künstlerkollektiv Mataaho Collective mit der beeindruckenden immersiven Installation “Takapau“ – zurecht einen Löwen verdient. Die französisch-marokkanische Künstlerin Bouchra Khalili zeigt im „The Mapping Journey Project“ eindrucksvoll mit einfachen Mitteln die persönlichen Geschichten von Flüchtlingen aus Nord- und Ost-Afrika, dem Mittleren Osten und Asien entlang ihrer Routen im Mittelmeerraum – unserer Meinung nach die beste Umsetzung des Mottos „Fremde überall“.
Im „Disobedience Archive“ werden Videos zum Thema ziviler Ungehorsam aus aller Welt und über 50 Jahren gezeigt. Mit sehr modernen Mitteln wartet der Pavillon von Malta auf – „I will follow the ship“ regt die Besucher über QR-Codes an selbst interaktiv tätig zu werden. Im mexikanischen Pavillon zeigt Erick Meyenberg – ein mexikanischer Künstler mit deutschen und libanesischen Wurzeln – raumgreifende Videos eines Festes einer albanischer Immigranten-Familie auf dem Land in Italien. Mehr „Stranieri“ in einem Beitrag sind kaum möglich und zeigen wie Traditionen und Familie fern der Heimat neue Identitäten schaffen und alte erhalten können.
Vor dem Eingang des Arsenale erwartet den Besucher ein ganz besonderes „Collaterali“: Der äthiopische Künstler Elias Sime, der bereits 2022 auf der Biennale vertreten war, zeigt in seiner Solo-Ausstellung „Dichotomy“ neue Werke und Skulpturen aus Materialien, die das Rückgrat digitaler Kommunikation bilden. Organisiert durch den Kunstpalast Düsseldorf – dort wird 2025 eine umfassende Sime-Schau stattfinden.
Sehenswerte Sonder-Ausstellungen und Collaterali
Natürlich haben wir uns noch weitere der unzähligen offiziellen und inoffiziellen, die Biennale flankierenden Sonder-Ausstellungen angesehen, die im gesamten Stadtgebiet verteilt sind. Wer alles, was die Biennale bietet sehen will (und FOMO-gefährdet ist) muss locker 10-12 Tage in der Lagunenstadt verbringen – und gutes Schuhwerk mitbringen. Uns haben besonders beeindruckt:
- Vatikan: Wer schon immer einmal ein Gefängnis von innen sehen wollte, hat im Rahmen der Biennale Gelegenheit dazu – vorausgesetzt man ergattert eines der wenigen und sehr begehrten Tickets! Lohnt sich aber auch von außen, die Füße von Maurizio Cattelan sind es wert. Und ein Aperitif in der Abendsonne auf der Guidecca lässt sich perfekt anschließen.
- Lion of God: Walton Ford’s erste Solo-Ausstellung in Italien zeigt eine Serie von beeindruckenden Werken mit historischem Bezug zum Löwen in Tintorettos „The Apparition of the Virgin to St. Jerome“ (der in der 1. Etage zu sehen ist).
- Number 207: Reza Aramesh nutzt 207 lebensgroße Herrenunterhosen, die aus Carrara-Marmor gemeißelt und in gleichmäßiger Formation über den Boden der San Fantin Kirche verteilt sind, um die Illusion verlassener Kleidungsstücke zu erzeugen – die auf Haftanstalten verweisen, in denen sich die Insassen entkleiden müssen. Ein wahnsinnig guter Kontrast in beeindruckender Location mit überlebensgroßen Skulpturen!
- Ebenfalls sehenswert sind die beiden Ausstellungen der Pinault Collection: Pierre Huyghe’s „Liminal“ in der Punta della Dogana und Julie Mehretu’s „Ensemble“ im Palazzo Grassi – hier unbedingt den Film über die Künstlerin anschauen, der ihre faszinierende Arbeitsweise erklärt.
Unsere Top 3
Wir waren mit ART BREAKERS und acht kunstbegeisterten Teilnehmer:innen aus ganz Deutschland in diesem Jahr in Venedig – und haben unsere Gruppe ihre Highlights wählen lassen… hier die Top 3:
- Lion of God – Walton Ford
- Number 207 – Reza Aramesh
- The Mapping Journey Project – Bouchra Khalili
ONLINE ART BREAK
Wer dabei sein möchte, wenn wir unsere Eindrücke von der Biennale online teilen oder Inspirationen für den eigenen Aufenthalt in Venedig sucht: Am 27. Mai 2024 findet ab 19:00 Uhr eine ONLINE ART BREAK „Best of Biennale 2024“ via Zoom statt. Anmeldungen sind über unsere Website möglich.