Kolumne von Jeannette Hagen. Das Grundgesetz garantiert im Artikel 5 die Freiheit der Kunst sowohl für das Werk selbst, als auch für das Wirken. Kunst muss uns oder dem Staat nicht gefallen. Kunst darf auch gern mal wehtun, oder Missstände aufzeigen und Kunst darf sich auch gegen Institutionen oder Regeln richten. Darf Kunst deshalb alles?
Vor ein paar Wochen ging es an dieser Stelle um den Umgang mit der Kunst der DDR, speziell auch jener, die dieses System verherrlicht hat, das nicht nur für den Tod von Menschen, sondern generell für Freiheitsbeschränkung und Repression stand. Ich möchte das Thema – also wie umzugehen ist mit der unbequemen Vergangenheit – noch einmal aufgreifen, denn in letzter Zeit gab es Entwicklungen, die ich persönlich sehr befremdlich finde und die uns grundsätzlich aufhorchen lassen sollten.
Fangen wir bei unserem Grundgesetz an. Dieses garantiert im Artikel 5 die Freiheit der Kunst sowohl für das Werk selbst, als auch für das Wirken. Kunst muss uns oder dem Staat nicht gefallen. Kunst darf auch gern mal wehtun, oder Missstände aufzeigen und Kunst darf sich auch gegen Institutionen oder Regeln richten. Schaut man in der Geschichte zurück, dann waren es oft Künstler*innen, die wichtige gesellschaftliche Veränderungen angestoßen haben oder den Blick der Öffentlichkeit auf etwas gelenkt haben, das fragwürdig, überholt oder in alten Denkmustern verhaftet geblieben ist.
Darf Kunst deshalb alles? Nein. Es gibt Grenzen – wo diese liegen, ist allerdings immer eine Frage der Auslegung und genau diese Auslegung sorgt in letzter Zeit nicht nur bei mir zunehmend für Irritationen. Für mich begann es damit, dass das Künstler*innen-Kollektiv „Zentrum für Politische Schönheit“ 16 Monate lang als kriminelle Vereinigung eingestuft wurde. Auslöser war unter anderem eine Miniaturausgabe des Holocaust-Denkmals auf dem Nachbargrundstück von Björn Höcke. Grundlage der Verfolgung war §219 des StGB – kurz zusammengefasst sammeln sich unter diesem Paragrafen all jene, die vorhaben, unserem Rechtsstaat zu schaden, unter anderem auch der Gruppierungen des IS. Allein das ist schon so absurd, dass man aus dem Kopfschütteln nicht mehr herauskommt.
Aber das Absurditätenkabinett hat noch mehr zu bieten:
Der Münchener Künstler Wolfram P. Kastner rückt mit seinen Aktionen beständig immer wieder ins Licht, wie viele Orte es noch gibt, an denen die Verehrung von Nationalsozialisten überdauert hat. Unter anderem Grabstätten, die zu Pilgerstätten von Neonazis werden, wie das seit 1953 existierende Ehrenkreuz des Nazi-Generals und Hauptkriegsverbrechers Jodl auf dem Klosterfriedhof Frauenchiemsee. Das wäre allerdings „privates Eigentum“, welches Kastner laut eines aktuellen Gerichtsbeschlusses mit seiner Kunst beschädigen würde. Verurteilt wurde er deshalb zu 150 Tagessätzen. Liest man das Urteil, dann scheint es so, als seien Kastners antifaschistische Kunstaktionen deutlich verachtungswürdiger, als die Tatsache, dass seit 68 Jahren eines NS-Kriegsverbrechers gedacht wird, der unzählige Menschenleben auf dem Gewissen hat.
Und es geht weiter: Du erinnerst Dich sicher, dass im Zuge der Black Lives Matter Demonstrationen zahlreiche Denkmäler, die direkt oder indirekt mit der Kolonialzeit in Verbindung standen, beschädigt wurden. Diese Aktionen haben eine Kontroverse darüber ausgelöst, wie mit diesem Erbe umzugehen ist. Im Juni 2020 – also nach den Protesten, hat das Künstler*innen-Kollektiv Peng! unter dem Aufruf „Tear down this shit“ eine Karte ins Netz gestellt, auf der Straßen, Orte und Denkmäler verzeichnet sind, die diese Kolonialzeit allein durch ihre Existenz schlichtweg normalisieren. Die Staatsanwaltschaft sieht das nun als Aufruf zur Straftat und hat aktuell Hausdurchsuchungen bei Mitgliedern von Peng! durchgeführt.
Statt also zu hinterfragen und angeregt darüber zu debattieren, wie angemessen es ist, überkommende Relikte einer Zeit, die unglaubliches Leid verursacht hat und auch heute noch verursacht, zu hofieren, wird die Kunst, die das thematisiert, kriminalisiert. Das wirft für mich die Frage auf, ob wir wieder an einem Punkt angelangt sind, wo es offensichtlich legitim ist, gegen politisch engagierte Künstler*innen vorzugehen, weil dem Staat die Botschaft nicht passt, weil man sich nicht mit seiner Geschichte auseinandersetzen will, weil Wahrheiten vielleicht unbequem sind. Ich persönlich empfinde das als Warnsignal, denn genauso wie die politische Kunst Wegbereiter für Veränderungen ist, ist ihre Kriminalisierung ein Anzeichen dafür, dass die Hegemonie des Staates die eigenen verfassungsrechtlich gesetzten Grenzen überschreitet.
Mehr zu Peng!:
Mehr zum Zentrum für Politische Schönheit: politicalbeauty.de
Mehr zu Wolfram P. Kastner: ikufo.de
Das ist ein schleichende Prozess, der schon vor Jahren begann, bzw nie aufgehört hat. So z. B. Kuenstlerinnen, langjährige engagierte Mitglieder und Mitarbeiterinnen, die nicht der Meinung des Vorstands der GEDOK-Künstlerinnen-Vereinigung in Karlsruhe sind und die dortigen Zustände, Machtverhältnisse und – Missbrauch kritisieren und oder kuenstlerisch reflektieren (angeblich ein Schmaehgedicht) , werden aus dem Verein ausgeschlossen – ohne Anhörung. Kunstschaffende, die der Vorsitzenden widersprechen, werden gemobbt und seelisch vernichtet. Das Kulturamt schaut weg, die Vorsitzende wurde sogar für die Staufer-Medaille und Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen und hat beides bekommen.