Galerie Kuckei + Kuckei präsentiert die erste Einzelausstellung von Juno Rothaug in Berlin. Juno Rothaugs Arbeiten entführen die Betrachtenden in einen weitläufigen und rätselhaften Raum, den ein dicht geknüpftes Netz von kunsthistorischen und literarischen Referenzen durchzieht, die die Künstlerin geistreich und mit einem hohen Maß an malerischem Können zueinander in Beziehung setzt, verrätselt und mit neuen Bedeutungen auflädt.
So vermischt Rothaug Motive und Topoi aus verschiedenen Epochen der Kunst- und Literaturgeschichte mit subjektiven Erfahrungen in einem spannenden und stark konzeptualisierten Malprozess, der ihre Reflexionen auf das Verhältnis von Kunstwerk und Tradition sowie von Künstler:in, Werk und Rezipierenden widerspiegelt.
Den Ausgangspunkt bilden Skizzen von historischen Werken, die Rothaug anhand der Originale, aber auch von Reproduktionen anfertigt. Diese Skizzen dienen dann als Vorlage für neue Skizzen, welche wiederum selbst zur Vorlage für weitere werden, bis sie diesen Prozess zum Abschluss bringt und eine letzte Skizze auf die Leinwand aufträgt. Bereits hier vollzieht sich eine produktive Anverwandlung des Urbilds, welche zugleich Umwandlung ist: Indem sie das Original gewissermaßen immer wieder mit ihrer Subjektivität überschreibt, entrückt sie es seinem festen Platz in der Tradition und stellt es in einen neuen Sinnzusammenhang, der vielfältige Deutungsmöglichkeiten eröffnet. Diese produktive Destruktion treibt Rothaug schließlich im eigentlichen Malprozess immer weiter über sich hinaus: Wie eine Spur im Sand von den Gezeiten überspült wird und dabei immer wieder neue Formen und Bedeutungen für die Betrachtenden annimmt, so verschwindet die ursprüngliche Skizze unter den abstrakten Farbflächen, die aufgetragen und verwischt werden. Beim Malen verbindet Rothaug spontane Assoziationen und Empfindungen mit konkreten Gestaltungsideen, so dass in einer komplexen Bewegung ein Spannungsfeld zwischen gegensätzlichen Polen – Bewusstem und Unbewusstem, Chaos und Balance, Spannung und Entspannung, Distanz und Nähe – entsteht.
Diese Dialektik drückt sich unter anderem in den scharfen Kontrasten, dem Gebrauch von Komplementärfarben und bisweilen abrupten Wechseln im Duktus aus, die Rothaugs Arbeiten ihre beinahe magische Anziehungskraft verleihen, welche die Betrachtenden immer wieder dazu anregen, die mannigfaltigen Verwirrungen und Rätsel aufzulösen, ohne dabei doch zu einem Abschluss zu gelangen. Rothaug versteht sich darauf, die Betrachtenden in ihr Verwirrspiel hineinzuziehen und so ein nicht enden wollendes Gespräch zwischen ihnen, den referierten Werken und ihren eigenen Arbeiten zu entfachen, das zu neuen und im besten Sinne abwegigen Fragen an die Kunst einlädt. Dazu tragen auch die Titel der Bilder wie bspw.
Fallen am Strand oder My Husband is a Weightlifter bei, die bewusste Irreführungen und Verschleierungen darstellen und weiteren Gesprächsbedarf erzeugen. Juno Rothaugs Arbeiten sind gewissermaßen Palimpseste, die wir ins Licht halten und immer wieder drehen und wenden müssen, um die Urschrift zu entziffern – und dass wir sie dann auch lesen können, ist noch nicht ausgemacht.
Juno Rothaug (*1999) lebt und arbeitet in Hamburg.
Text: Louis Lysander Kittelmann
Juno Rothaug – Kannst Du mich abholen
09.09.2023 – 21.10.2023