Johana Střížková wird mit “10316 Days” in der Galerie TZB/ im Tschechischen Zentrum Berlin gezeigt, die Finissage ist am 30. Januar ab 18 Uhr. Die Ausstellung der jungen tschechischen Künstlerin Johana Střížková widmet sich dem genius loci des außergewöhnlichen Gebäudes, in dem sich das Tschechische Zentrum Berlin befindet. Die Reliquie des verstorbenen Systems spiegelt sich in jedem von uns wider. Im zeitlosen Inneren eines Gebäudes, zu keiner Zeit, vielleicht in der nahen Zukunft, entsteht eine neue Einheitlichkeit, die ihre eigenen alten Rituale hervorruft.
Johana Střižková untersucht mit ihrer poetisch-lyrischen Sprache voller Symbolkraft und sich auflösender Bedeutungszusammenhänge insbesondere die Architektur dieses ikonischen Gebäudes im Zusammenspiel mit seinen historischen und aktuellen Kontexten. Die Arbeit 10316 Days bezieht sich dabei auch subjektiv und subtil auf die gesellschaftlichen und politischen Zusammenhänge, die ein Leben vor und hinter einer Mauer ausmachen.
Johana Střížková (geb. 1984) studierte an der Prager Akademie der Bildenden Künste Prag im Atelier von Miloš Šejna, Veronika Bromová und Jiři Příhoda. Sie verbrachte ein Austauschsemester an der Cooper Union School of Art in New York und absolvierte ein Residenzprogramm in Mexico City im Rahmen eines FONCA Stipendiums. Johana Střížkovás Arbeiten versuchen mit unterschiedlichen Medien wie Video, Objekt, Fotografie und Performance die zerbrechliche Körperlichkeit des Menschen sowie der alltäglichen Dinge, die uns umgeben und mit denen wir umgehen, einzufangen. Im Jahre 2016 war Johana Střížková Finalistin des Jindřich-Chalupecký-Preises.
Die Ausstellung ist ein gemeinsames Projekt des Tschechischen Zentrums Berlin und der Jindřich-Chalupecký-Gesellschaft.
Kuratorin: Tereza Jindrová
Produktion Tschechisches Zentrum: Veronika Schneiderová
Produktion Jindřich-Chalupecký-Gesellschaft: Jakub Lerch
Galerie TZB Wilhelmstr. 44 / Eingang Mohrenstr., Tschechisches Zentrum Berlin, B 10117, Öffnungszeit: bis 30.1.2020, Di – Sa 14:00 – 18:00
Finissage: 30.1.2020, 18:00
Eintritt frei
Johana Střížková: 10316 Days
Idee, Konzept, Schnitt, Regie: Johana Střížková
Kamera: Ondřej Belica
Regie-Assistenz, 2. Kamera: Kryštof Zvolánek
Produktion: Ondřej Lukeš
Künstlerische Mitarbeit: Ivana Kanhäuser
Produzent der Video-Installationen: Jakub Wagner / GPO
Licht: Biofilms
Kameratechnik, Postproduktion: Jakub Wagner
Darsteller: Jarmila Gregorová ,Martin Svejkovský, Hana Adam, Ondřej Lukeš, Veronika Schneiderová, Kristýna Šlemínová, Tomáš Křivánek, Kateřina Rafaelová, Václav Miškovský, Lupa
Johanna Střížková setzt in ihren traumartigen und trotzdem irgendwie nüchternen Video-Etüden menschliche und nicht-menschliche Akteure ein – Tiere, Pflanzen und Gegenstände – um in uns Echos eines kollektiven (Un-)Bewusstseins hervorzurufen. Im Fall ihrer aktuellen Ausstellung ist der Hauptdarsteller das Gebäude der Tschechischen Botschaft, in dem sich das Tschechische Zentrum mit seiner Galerie befindet. Das architektonische Werk des Ehepaar Machonin ist so markant, dass es auch den Stil der Wohngebäude in der Umgebung beeinflusst hat.
Střížková zielt aber nicht nur auf den kulturell-künstlerischen Wert des Hauses, sondern auch auf das „historische Gedächtnis“, das aufgrund der bisher noch nicht erfolgten Rekonstruktion immer noch gut in vielen ursprünglichen Elementen des Inneren wahrnehmbar ist. Das wahrscheinlich prägnanteste Element im Inneren dieses brutalistischen Gebäudes sind die hölzernen Wandvertäfelungen, die unter anderem die Gestaltung des architektonischen Hauptelements der Ausstellung inspiriert haben: eine Wand aus recycelten, groben Holzplanken. Diese trennt die Galerie in zwei Teile: Ein Teil ist für die Besucher zugänglich, befindet sich im Halbdunkel und blickt mittels einer Dreikanalprojektion quasi introspektiv in das Innere des Hauses. Der beleuchtete Teil der Galerie ist dagegen für die Besucher nicht zugänglich, kommuniziert aber über ein großes Schaufenster mit der Außenwelt. Hier befinden sich keine audiovisuellen Aufnahmen sondern physische Requisiten Überbleibsel des Lebens, die die Betrachter aber (im Gegensatz zum detaillierten Bild des Videos) nicht näher oder gründlicher untersuchen können, sondern nur durch die unregelmäßigen Spalten in der hölzernen Wand sehen. Es entsteht eine Dynamik des Inneren und Äußeren, der Welt vor und hinter der Mauer, dessen, was uns zugänglich ist und was uns verschlossen bleibt.
Střížková ruft also im übertragenen Sinn die Geschichte des Botschaftsgebäudes hervor, das in der Zeit der sogenannten Normalisierung nach der Niederschlagung des Prager Frühlings gebaut wurde und das sich im östlichen Teil des geteilten Berlins befand. Die Inneneinrichtung lässt sich zwar als herausragendes Beispiel des damaligen vom Regime genehmigten Designs charakterisieren, durch den Gesamtcharakter zählt es aber zu den wenigen modernen und gleichzeitig architektonisch komplexen Gebäuden in diesem Teil der Stadt. Das Gebäude an sich spiegelt somit die Paradoxe der Zeit wider, in der es entstanden ist, und gleichzeitig ist es für die Künstlerin ein Ort der Zeitlosigkeit, wo die Vergangenheit in die Zukunft fließt. Die Figuren in Johana Střížkovás Video sind wie eingekapselt in ihrem abgeschlossenen Universum, in dem ihre sich wiederholenden Handlungen gewissermaßen eines weiteren Kontextes entbehren und damit auch eines tieferen Sinns. Ihre Uniformen können ein Memento der erzwungenen Uniformität sein, wie sie im vergangenen Regime erlebt wurde, oder auch ein Vorbote der Zukunft. Denn auch unsere Zeit hat ihre Paradoxe: eine Tendenz zur Homogenisierung der Gesellschaft im globalen Maße verläuft parallel mit einer Zunahme der Unterschiede und einer „sich öffnenden Schere“.
Das Symbol der Wand, das in der Ausstellung so greifbar ist, einschließlich seiner realen beschränkenden Auswirkungen auf den Betrachter, ist im Berliner Kontext aussagekräftig genug. In den vergangenen Tagen haben wir sowohl an den Fall der Berliner Mauer (die am 9.11.1989 nach tausenddreihundertsechzehn Tagen fiel) als auch an den Kollaps des kommunistischen Regimes in der Tschechoslowakei erinnert. Mauern – tatsächliche und symbolische – sind aber auch in unserer heutigen Welt vorhanden, viele neue kommen dazu. So erhält der vermeintlich einfache Imperativ, darauf zu achten, auf welcher Seite der Mauer wir uns befinden, oder ob es nicht gerade an der Zeit ist, gemeinsam eine der
Mauern niederzureißen, immer wieder eine aktuelle Bedeutung. (Text: Tereza Jindrová)
Datum: 28.11.2019 – 31.01.2020
Galerie TZB
Bitte: ART-Videos für Behinderte, Kranke oder Abseitslebende, öffentlich zugänglich realisieren. Galerien, Theater, Konzerthäuser locken trotz Veröffentlichungen von Mitschnitten m Netz als Begegnungsorte.