Wie schon bei seinen vergangenen Werkgruppen AFTERMATH und LOOP ist Jörn Vanhöfen auf Reisen gegangen. Die Galerie Kuckei + Kuckei zeigt aktuell seine Arbeiten aus der Serie TALMID. Für diese Arbeit ist Jörn Vanhöfen dem Tagebuch eines 28jährigen jungen Mannes aus dem Jahre 1873 in den Nahen Osten gefolgt.
Im September 1873 startete der 28jährige Ignaz Goldziher in Budapest seine fünfmonatige Reise in den Orient. Er war jung, sprachgewandt, wissbegierig, mutig und als gläubiger Jude gebildet in den Schriften des Judentums und des Islam. Die wissenschaftlichen Ziele seiner Reise waren die Bibliotheken und Kulturstätten des Islam in Damaskus und Kairo sowie die jüdischen Stätten in Israel, Damaskus und Konstantinopel. Er suchte nach historischen Schriften, erforschte die islamische Lehre und die arabische Sprache und war der erste Nichtmuslim, welchem die Erlaubnis erteilt wurde, an der Al Azhar Universität in Kairo zu studieren.
Sein persönliches Tagebuch von dieser Reise zeugt von Freude und Traurigkeit, Leidenschaft und Neugierde, sowie Ablehnung und Arroganz; also dem vielschichtigen Bild eines 28jährigen jungen Mannes, der sehnsüchtig und in voller Erwartung die Welt erlebt.
Ignaz Goldziher gilt mit seinem Lebenswerk als Begründer der modernen Islamwissenschaft. Er lehrte an verschiedenen europäischen Universitäten und wurde 1905 als erster Jude zum Professor auf Lebenszeit in Budapest ernannt. Am 13. November 2021 jährt sich der Todestag von Ignaz Goldziher zum 100. Mal.
Fast 150 Jahre später folgte Jörn Vanhöfen diesem sehr emotionalen Tagebuch und bereiste eine Region, die geprägt ist durch den arabischen Frühling, die politisch-religiösen Konflikte, sowie die Auswirkungen des Krieges in Syrien. Entstanden sind wieder Bilder von Schönheit und Schrecken, somit eine Fortführung seiner Arbeiten aus AFTERMATH, 2011, und LOOP, 2015, jedoch nun in einem kultur-historischen Zusammenhang.
Parallel zur Ausstellung erscheint ein Künstlerbuch in einer Auflage von 10 Exemplaren, welches 36 Photographien dieser Reisen beinhaltet sowie einen Text von Navid Kermani. Dazu entsteht ein zweites Buch mit den Originalhandschriften aus dem Tagebuch Goldziher’s, sowie den Transkriptionen. Beide Bücher sind als Giclee Druck auf japanischem Washi Papier produziert.
TALMID bildet den Abschluss Vanhöfens dokumentarischer Reihe zum Thema Schönheit und Schrecken.
Jörn Vanhöfen, geboren 1961 in Dinslaken, studierte Fotografie an der Folkwangschule Essen sowie an der HGB Leipzig, welche er mit dem Abschluss des Meisterschülers 1993 verließ. Er arbeitete als Auftragsfotograf, Kurator, Dozent und seit dem Jahr 2000 ausschließlich an eigenen Projekten. Erschienene Bücher: Aftermath im Hatje Cantz Verlag (2011), HeimatFront mit Charles Simic im Verlag Thomas Reche (2013), LOOP im Eigenverlag (2015) sowie Herzwort und Kopfwort mit Herta Müller im Verlag Thomas Reche (2016).
Beitragsbild: Hagia Sophia # 392, 2019, c-print, 70 x 90 cm
Jörn Vanhöfen – TALMID
29.10.2021 – 4.12.2021