Joan Saló in der ersten Einzelausstellung in Berlin: “Dark Matter” bei Taubert Contemporary. In der Astrophysik beschreibt “dark matter” eine Form unsichtbarer Materie, die nur über ihren Einfluss auf das Sichtbare wahrgenommen werden kann. Die Astronomie wäre ohne die mehr als 85 Prozent des Universums ausmachende Materie undenkbar.
Auch den Arbeiten von Saló liegt eine dem astronomischen Pendant entsprechende Form von “dark matter” – nicht sichtbar, dennoch für seine künstlerische Praxis unabdingbar – zugrunde.
In seinem jüngsten Werk reduziert Saló seine Materialien auf nichts als schwarze Acrylfarbe und Leinwand und enthüllt so die entscheidende Relevanz seines vorhergehenden, malerischen Akts. Wenn der Künstler Linie um Linie rhythmisch aufträgt, wird jede Bewegung vom Klang des spitzen Instruments auf rauer Faser begleitet. Jeder Strich folgt dabei den vorgegebenen Spuren auf der Leinwand, während Joan Saló sich langsam über den am Boden ausgebreiteten Stoff bewegt. Auf subtile Weise hebt er die vorhandene Materiallandschaft hervor und wandelt seinen Schaffensprozess in eine spürbare, auf den Betrachter übergreifende Erfahrung um. Nähert man sich der Arbeit, wird der meditative Akt Salós und die daraus hervorgehende unerwartet leichte und dynamische Beschaffenheit des Werkes in der sich abwechselnden Dichte der Linien unmittelbar sichtbar.
Wenn man sich an die Strafe des griechischen Helden Sisyphos erinnert, der einen riesigen Felsen immer wieder den Hügel hinaufrollte, mag Salós immer wiederkehrende Bewegung unendlich und aussichtslos erscheinen. Albert Camus beschreibt diesen Kampf als Verkörperung der Absurdität des menschlichen Lebens, stellt sich Sisyphos jedoch als glücklichen Menschen vor, dessen wiederkehrende Bemühungen vollkommen ausreichen eines jeden Herz zu erfüllen. Ob in der Absurdität einer den Bemühungen des Lebens gleichartigen Sisyphosarbeit oder in den meditativen Qualitäten des greifbaren künstlerischen Schaffensprozesses, der Betrachter findet sich selbst zwischen den Linien von Salòs “dark matter” wieder. (Text: Christian Lübbert)
JOAN SALÓ, 1983 in Igualada, Spanien geboren. Er lebt und arbeitet in Berlin. Er schloss sein Kunststudium 2006 an der Universität von Barcelona ab und setzte seine Ausbildung an der Academia di Belle Arti in Bologna, Italien, fort. Seine Arbeiten wurden in mehreren internationalen Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt. Er hat auch am CCA Andratx Residency Program im Jahr 2018 in Andratx, Mallorca, Spanien, teilgenommen. Die unaufhörliche Bewegung der Linie lässt ein intermittierendes Gemälde entstehen, das Nuancen von Hell und Dunkel, Volumen und Transparenz erzeugt und auf diese Weise eine Räumlichkeit schafft. Die Wiederholung der Geste wird zu einem kontemplativen Akt des Machens und Sehens.
Bild: Joan Saló Untitled (11.07.19), 2019 Acryltusche auf Leinwand, 75 x 50 cm. © Joan Saló & Taubert Contemporary
Datum: 18.01.2020 – 1.03.2020