Die Neue Nationalgalerie zeigt zum 75. Geburtstag von Isa Genzken 75 Skulpturen aus allen Schaffensphasen der Künstlerin von den 1970er-Jahren bis heute. Die Ausstellung bietet einen Parcours durch Genzkens Werk von den frühen Hyperbolos der 1970er-Jahre, über die Werke aus Beton der 1990er und bis hin zu den Schauspielern und Skulpturengruppen aus den 2000ern.
Den Auftakt macht die riesige Rosenskulptur (2016/23) auf der Terrasse des Museums. Chronologisch geordnet von 1977 bis 2023 sind die Werke über die gesamte obere Halle verteilt. Jedes einzelne Werk kann dabei vollständig von allen Seiten betrachtet werden und die Betrachter*innen können zwischen ihnen hindurch und um sie herumgehen.
Unter dem Einfluss der US-amerikanischen Minimal Art schuf Isa Genzken (geboren 1948) zwischen 1976 bis 1982 die Werkgruppe der Ellipsoide und Hyperboloide. Die Ellipsoide sind 6-12 Meter lange Holzskulpturen, die an einem Punkt auf dem Boden aufliegen. Die Grundform der Hyperboloide besteht aus einer konkaven Linie und sie berühren den Boden an zwei Punkten. Die Durchmesser und Maße berechnete und zeichnete die Künstlerin am Computer mit einem Physiker der Universität Köln. Im Unterschied zur Minimal Art war Genzken an Assoziationen der Betrachter*innen interessiert, etwa ein Speer, Zahnstocher oder Boot. Mitte der 1980er-Jahre widmete sie sich einem neuen Material: Gips. Sie fertigt kleinere Gipsskulpturen mit Holz, Metall, Papier und Glas. Die improvisierten, höhlenartigen Formen stehen im Gegensatz zur Eleganz und technischen Präzision der hölzernen Ellipsoide und Hyperboloide und wenden sich der Materialität der alltäglichen Welt zu. 1985 schuf Genzken Skulpturen aus Beton, die Weltempfänger mit Antennen verweisen auf die Funktion des gleichzeitigen Sendens und Empfangens.
Genzken setzte sich umfassend mit Architektur und Städtebau auseinander und war besonders von New York und Berlin fasziniert. Ab 1988 entstehen erste Betonskulpturen, die Assoziationen mit dem Städtebau der 1950er- und 1960er-Jahre hervorrufen, wie Le Corbusiers Berliner Bau Unité d’Habitation. 1990 durchbricht sie die Betonskulpturen und entwirft die Werkreihe Fenster. Hier wird der Dialog von Genzkens Kunst mit der gläsernen Architektur Mies van der Rohes im Spiel mit Innenund Außen besonders deutlich. Die Skulptur „X“ (1992) bezieht sich wiederum auf die Fassade des John-Hancock-Gebäudes in Chicago (1965-69), dessen tragende Teile erstmals in der Außenhaut liegen. Die auf der Documenta IX ausgestellte Skulptur verarbeitet die Idee der Stahlskelettkreuze. Zwischen 1994 und 2003 schuf Genzken eine Reihe von Säulen/Stelen aus Epoxidharz. Auch in diesen Werken zeigt sich ihre Faszination für New York. Die collagenartigen Stelen bestehen aus perforiertem Blech auf einer Holzstruktur und sich überlagernden Schichten von aufgeklebten, verspiegelten, holografischen Karten und fotografischen Reproduktionen.
Die Werkserie Empire/Vampire, Who Kills Death (2003) gilt als Paradigmenwechsel in Genzkens Werk. Wie Filmszenen stehen Figurenkonstellationen auf Sockeln, die zu Bühnen absurder und gewalttätiger Erzählungen werden. Den Titel ist vom Empire State Building abgeleitet, Vampire vom Chrysler Building. Spielzeugfiguren erklimmen kriechend oder kletternd übergroße Vasen und Gläser. Das Weinglas ist ein Symbol für Rituale, Feiern und den Rausch. Die Serie Untitled (2006) nimmt diesen erzählerischen Ansatz auf: Kleinkindpuppen sitzen verlassen unter zerfetzten Sonnenschirmen, die keinen Schutz mehr bieten. Menschliche Körper spielen in Isa Genzkens Werk von Beginn an eine wichtige Rolle, etwa in Analogien zur Architektur oder im Verhältnis zum Körper der Betrachter*innen. Seit 2007 nutzt sie zunehmend kommerzielle Schaufensterpuppen. Die industriell gefertigten Puppen haben standardisierte Proportionen, ein begrenztes Repertoire an Posen, teilnahmslose Gesichter und gleichförmige Oberflächen. Ausgestattet mit zu großen Helmen und Kopfbedeckungen sind die Schauspieler nicht auf Empfang, sondern auf Abwehr und Schutz vor der Außenwelt ausgerichtet. Viele der Kleidungsstücke und Accessoires stammen aus Genzkens eigener Garderobe.
„Untitled“ (2018) ist eine der jüngsten Arbeiten in der Ausstellung und zeigt eine Bodencollage aus Zeitschriften, Zeitungen, Einkaufstüten und Fotografien. Bereits zwischen 1989 und 1991 sammelte Genzken Abbildungen aus „Der Spiegel“. Mit dem Fall der Berliner Mauer, dem Ende des Kalten Krieges und der Zeit vor dem ersten Golfkrieg dokumentiert das Werk eine wichtige Periode der deutschen Geschichte.
Am Montag, 27. November 2023 ist das Museum anlässlich des Geburtstags der Künstlerin für eine Sonderöffnung geöffnet.
Kuratiert von Klaus Biesenbach, Direktor Neue Nationalgalerie und Lisa Botti, Assistenzkuratorin, Neue Nationalgalerie.
Zur Ausstellung erscheint im August 2023 ein Katalog im Verlag Walther König.
Zur Ausstellung wird ein Erkundungspass für Kinder und Familien in Form eines kostenlosen Begleitheftes angeboten.
Alle Kunstwerke in dieser Ausstellung wurden per Landtransport transportiert. Dies ist eine kohlenstoffärmere Art, Kunstwerke zu transportieren, da der Transport auf der Straße im Durchschnitt zehnmal kohlenstoffärmer ist als der Transport derselben Objekte per Flugzeug.
Die Ausstellung wird ermöglicht durch die Freunde der Nationalgalerie.
Kulturforum, Neue Nationalgalerie
Potsdamer Straße 50, 10785 Berlin
Di – Mi 10 – 18 Uhr, Do 10 – 20 Uhr, Fr – So 10 – 18 Uhr
Isa Genzken. 75/75
13. Juli – 27. November 2023