IN DEN UFFIZIEN zeigt die ungebrochene Anziehungskraft des Museums und die Arbeit hinter den Kulissen als eine kollektive Anstrengung, eine nie endende, passionierte Sorge um die Erhaltung jahrhundertealter Meisterwerke bei gleichzeitiger Neuerung.
Die Uffizien in Florenz wurden seit ihrer Eröffnung 1581 zum Vorbild aller Museen. Heute wird die weltweit bedeutendste Sammlung an Renaissancekunst, eine Ikone der italienischen Kultur, von einem deutschen Direktor geleitet. Eike Schmidt wirbt um Sponsoren, gestaltet Räume neu und hat, mit der ihm eigenen Mischung aus Autorität, Aufmerksamkeit und Humor ein eingeschworenes Team um sich geschart.
Die LOLA-Preisträger.innen Corinna Belz (Gerhard Richter Painting) und Enrique Sánchez Lansch (Rhythm is it!) dringen tief ein in den äußerst lebendigen, immer geheimnisvollen Organismus der Uffizien: Eine nie endende, passionierte Sorge um die Erhaltung jahrhundertealter Meisterwerke bei gleichzeitiger Neuerung. Immer wieder taucht die Kamera in die Bildwelten ein und gewährt uns nie gesehene Einblick: Leonardo da Vincis “Anbetung der Könige”, Botticellis “Frühling”, Tizians „Venus von Urbino“, Artemisia Gentileschis “Judith und Holofernes”. Die fallenden Körper im “Engelssturz” von Andrea Commodi erinnern uns schmerzhaft an unsere eigene Hybris und Verletzlichkeit. Wir begegnen einem ungeheuren Überfluss an Schönheit, der politische Machtwechsel, zwei Weltkriege und Seuchen überstand. Am Ende hat nicht Mars, der Kriegsgott, sondern Venus, die Liebe, das letzte Wort.
DIRECTOR’S NOTE
„… Deshalb heisst es, der Mensch besäße kein eigenes und ihm angeborenes Bild, sondern viele, die von außen herstammen und zufälliger Art wären“
– schrieb Pico della Mirandola in „Die Würde des Menschen“, einem Ursprungstext der Renaissance.
Die Uffizien in Florenz haben in den letzten Jahren einen regelrecht explosionsartigen Anstieg an Besucherzahlen erlebt, der erst durch die Corona-Krise vorübergehend abgeebbt ist. Warum ein Film über ein mehr als 500 Jahre altes Bürogebäude? Schon der Name „Uffizi“, Büros, klingt wie eine Räumlichkeit der Postmoderne. Während die Großindustrie zunehmend verschwindet, überlebt das Büro, und sei es in den eigenen vier Wänden. In diesen ab 1560 erbauten florentinischen Büros ist die Kunst zu Hause, das Erbe der Medici und zentrales Bildgedächnis der Renaissance, die wir den Beginn der Neuzeit nennen.
Immer wieder waren wir bei unseren Recherche- und Drehreisen erstaunt über die große Zahl junger Besucher, die sich vor den Bildern und Skulpturen drängten. Wenn sie die Meisterwerke mit offenem Blick betrachteten, war da, trotz der Unruhe um sie herum, oft ein Staunen, manchmal sogar Erschrecken, als würden sie in den Bildern ihren eigenen Sehnsüchten und unbewussten Ängsten begegnen. In solchen Momenten hatte man das Gefühl, dass nicht nur die Betrachter die Bilder anschauten, sondern umgekehrt auch die auf den Bildern dargestellten Menschen die Besucher. Dieser Blickwechsel, wie man ihn aus der Filmmontage kennt, überträgt sich hier jeden Tag in den musealen Raum. Hier ereignet sich seit Jahrhunderten ein Dialog, den die Künstlerin Louise Bourgeois einmal „the thrill of looking and beeing looked at“ genannt hat.
Bei einem Besuch in der Bibliothek fasste es der Leiter Claudio Di Benedetto so zusammen:
„Es ist in gewisser Weise beunruhigend, genau zu wissen, dass die Bilder, mit denen wir uns beschäftigen, uns von oben herab betrachten, vielleicht sogar mit Verachtung. Denn sie sehen, wie wir uns abmühen, gefangen in der Gegenwart.“
Es ist gerade die Kunst, die es uns – so wie es auch das Kino vermag – ermöglicht, uns aus der Gegenwart zu lösen und eine intensive Zeitreise anzutreten. Eben das unterscheidet uns von anderen Lebewesen. Ob gegenständlich oder abstrakt: Kunstwerke geben unseren Phantasien eine Form, Geschichten und eine Projektionsfläche. Das Museum ist eine enge Verbündete des Kinos und nimmt filmische Erzählformen vorweg, wie in den mittelalterlichen Altarbildern in Szenen der Schöpfungsgeschichte bis zur Wiederauferstehung.
Man spürt in den Gängen und Sälen der Uffizien, dass dieses Museum auch eine ständige Provokation und Überforderung für fast jeden Besucher darstellt. In dieser über den Lauf von fünfhundert Jahren gewachsenen Sammlung gibt es eigentlich von allem zu viel: zu viele großartige Künstler, Meisterwerke, Räume, Medici, Jahrhunderte, Schriften, Fragen; zu viele Aufgaben für die Mitarbeiter, die im Hier und Jetzt „den Laden am Laufen halten“.
Ihnen, den Mitarbeitern, ist unser Film gewidmet. Es geht uns unabhängig von hierarchischen Strukturen um die Anstrengung aller. Wir folgen dem Hausmeister, den Architekten, den Führerinnen, der Assistentin, der Restauratorin, den Malermeistern und dem deutschen Direktor Eike Schmidt bei ihren täglichen Aufgaben, wobei wir die ganze Zeit über auch die Betrachter im Blick behalten. Und so mischen wir uns wie der Flaneur der Großstadt immer wieder unter die Besucher und erkunden mit ihrem Blick die Werke von Leonardo da Vinci, Michelangelo, Botticelli, Artemisia Gentileschi oder Caravaggio und Tizian.
Es ist keinesfalls selbstverständlich, wie das Fotoarchiv der Uffizien beweist, und nur einer großen Anstrengung nationaler und internationaler Institutionen sowie dem Mut und der Besonnenheit vieler Einzelner zu verdanken, dass diese unvergleichliche Sammlung der Medici nach all den Kriegen und Machtwechseln überhaupt noch existiert. In Europa herrschte selten Frieden, und auch jetzt befinden wir uns in äußerst unruhigen Zeiten. Mit diesem Porträt des zweitältesten Museums der Welt und seiner Mitarbeiter möchten wir der Hoffnung Ausdruck verleihen, dass trotz Krieg, Seuchen und Ignoranz am Ende nicht Mars, sondern immer wieder Venus das letzte Wort hat.
Corinna Belz und Enrique Sánchez Lansch
IN DEN UFFIZIEN
buch und regie: Corinna Belz und Enrique Sánchez Lansch
editorin: Anne Fabini, musik : Christoph Kaiser, Julian Maas
kamera: Johann Feindt, Thomas Riedelsheimer
produzent: Thomas Kufus
produktion: zero one film in koproduktion mit ZDF/3sat
und Bayerischer Rundfunk, gefördert von BKM; FFA, Film und Medien Stiftung NRW, DFF im verleih der Piffl Medien
verleih gefördert von BKM und FFA, Neustart Kultur