Eine Kolumne von André Lindhorst. Der Kunst im öffentlichen Raum (= KiöR) begegnet man auf Schritt und Tritt – in den Straßen und auf den Plätzen, in den Parks, vor bedeutenden Architekturen oder in den U-Bahnstationen. Die KiöR erzählt von wichtigen Strömungen in der Kunst ebenso wie vom schnelllebigen Zeitgeist und vom rasch wechselnden Kunstgeschmack. Sie ist Teil des Charismas der Stadt. Wir leben mit ihr, doch zumeist nehmen wir kaum Notiz und schlendern achtlos an ihr vorbei.
Dabei ist das Angebot von KiöR Berlins außergewöhnlich und selbst im Vergleich zu Metropolen wie New York, Paris oder London einzigartig. Die Stadt spielt nicht nur beim Thema Graffiti/Urban Art mit in der obersten Liga der großen Metropolen. Was die Objektkunst anbelangt, sprechen Insider sogar von Berlin als Skulpturenhauptstadt. Der Kunsthistoriker Jörg Johnen schrieb:
„Es gibt wohl kaum eine Stadt, die so ein Riesenangebot an extrem konträren öffentlichen Skulpturen zu bieten hat, wie Berlin“.
Ob Kinetik, Klang- und Lichtkunst, ob expressive, minimalistische Postionen oder architekturbezogene Kunst – in der KiöR der Stadt sind nahezu alle Tendenzen und avantgardistische Positionen der Gegenwartskunst vertreten. Ein Who Is Who der Weltkunst ab den 1950er Jahren bilden die vielen Namen der beteiligten Künstler: Hans Arp, Max Bill, Alexander Calder, Alexander Camaro, Jochen Gerz, Hans Haacke, Alfred Hrdlicka, Ellsworth Kelly, Per Kirkeby Alf Lechner, Markus Lüpertz, Heinz Mack, Henry Moore, Neo Rauch, Michael Schoenholtz, Richard Serra, Jean Tinguely, Günther Uecker, Hans Uhlmann.
Natürlich – einige der öffentlichen Skulpturen kennt jeder, wie beispielsweise Eduardo Chillidas Stahlskulptur „Berlin“ vor dem Bundeskanzleramt, Matschinsky-Denninghoffs vierarmiges „Chromnickelstahlmonster“ „Berlin“ auf dem Mittelstreifen des Kudamms zwischen Gedächtniskirche und KaDeWe, oder Peter Eisenmans Denkmal für die ermordeten Juden Europas – oder auch die Wolf Vostell-Skulptur „Beton-Cadillacs“ am oberen Kurfürstendamm.
Aber was ist mit all den vielen anderen Werken, die überall in der Stadt verstreut sind? Sie liegen oft versteckt und sind nicht immer leicht aufzufinden? Ein schnell verfügbares, vielleicht sogar hochkarätiges Gesamtverzeichnis einschließlich einer Standortkarte existiert nicht. Niemand weiß überhaupt, wie viele Open-Air-Objekte es in der Stadt gibt. Nicht alle Bezirke haben Verzeichnisse ihrer Open Air Kunst aufgestellt. Pankow listet 433 Objekte, Charlottenburg-Wilmersdorf 128 und Spandau 161. Solche Indexe sind für diejenigen, die sich für Open Air Kunst begeistern allerdings wenig empfehlenswert. Denn oft finden sich neben tatsächlich kunstwürdigem die unverwüstlichen Buddy-Bären, schlichte Gedenksteine, sogar Sonnenuhren oder Banales von unbekannten Akteuren.
Dem Kunstflaneur wird es nicht leicht gemacht.
Das Gros der Internetplattformen bietet wenig Nützliches. Mit zwei drei Mausklicks ist es nicht getan. Eine schnell verfügbare hochkarätige Übersicht aller Objekte findet sich nicht. Immerhin bei einigem Zeitaufwand gerät man auf der Suche schließlich aber doch an ein paar hilfreiche Plattformen.
Eine gute Einführung mit wichtigen Informationen und guten Abbildungen zur KiöR Berlins findet sich beispielsweise auf der Webseite von Welt der Form. Empfehlenswert ist auch die Webside „Das Museum der 1000 Orte“, die 207 Kunstwerke im öffentlichen Raum verzeichnet.
Für Künstler interessant ist besonders das Portal des BBK, der ein Büro für KiöR unterhält. Unter https://www.bbk-kulturwerk.de zu finden sind auch Hinweise über Wettbewerbe zur KiöR und der BBK hält auch regelmäßig Veranstaltungen zum Thema ab. Lesenswert zum Thema ist die Buch-Dokumentation „70 Jahre Kunst am Bau in Deutschland“, Hrg. Bundesministerium des Inneren, München 2020, in der auch viele Kunstwerke in Berlin aufgeführt sind.
Fazit
Für Kunstflaneure die sich auf „Streifzug“ begeben wollen, bleibt es kompliziert, Berlins KiöR zu erkunden. Ärgerlich, dass bei all dem was sich an positivem entwickelt hat, es immer noch kein qualitatives Gesamtverzeichnis gibt noch klug durchdachte Exkursionsangebote, wie man sie z.B. übers Smartphone abrufen kann.
Natürlich – es müssen nicht immer Tourenvorschläge sein. Auch Erkundungen auf eigene Faust können spannende Kunsterlebnisse bereiten. So etwa durch den Besuch der Hotspots von Graffiti bzw. Urban Art in Kreuzberg, Neukölln oder Berlin-Friedrichshain. Neue junge originelle Talente sich dort immer zu entdecken. Ein Beispiel ist der Street Art Künstlers CMYK Dots mit seinen pointierten Setzungen künstlerischer Objekte an Hauswänden, Brücken, Strommasten, U-Bahnstationen und sogar auf Hausdächern. Ganz frisch und fast fertiggestellt findet der Flaneur ein Wandgemälde des international bekannten Berliner Street Art Künstlers Jim Avignon in Berlin-Friedrichshain an der Ecke Warschauer Straße/Revaler Straße.
Gerne hätte man zu all den Highlights der Berliner KiöR mehr Hintergrundinformationen. Was die systematische Vermittlung von KiöR anbelangt, so ist nicht zu verstehen, dass die Zuständigen sich noch immer nicht durchgerungen haben beispielweise QR-Codes an KiöR-Objekten anzubringen. Dabei steht der Vorschlag von QR-Markierungen schon lange im Raum. Es wäre doch für den Kunst Fan so einfach, die Codes abzuscannen und Informationen über eine App abzurufen. Aber getan hat sich auch hier allzu wenig.
Noch ärgerlicher ist der Zustand einzelner von Vandalismus, Zerstörung oder vom Zahn der Zeit gezeichneter Kunstobjekte im öffentlichen Raum, die mehr und mehr verwahrlosen. Ein Beispiel eines solchen respektlosen Umgangs mit der Kunst ist die Wolf-Vostell-Skulptur „Beton-Cadillacs“.
Beitragsbild: Seit Jahren vernachlässigt! Die Skulptur des Bildhauers Wolf Vostell „Beton-Cadillacs“ (1987) am oberen Kurfürstendamm (Rathenauplatz). Foto: André Lindhorst