Fabian Hinrich redet beziehungsweise jammert sich um Kopf und Kragen und als Beiwerk gibt es entweder Tanz oder Gesang – in „Geht es dir gut?“ auf die Bühne gebracht von den Tänzer*innen der „Flying Steps Academy“ und den Sänger*innen der Afrikan Voices und der Bulgarien Voices Berlin!
„Wir waren weg. Nein, wir waren im Homeoffice.“ Was anfangs lustig klingt, wird schnell zur Klage. Klage über die Pandemie, den Abstand, die verlorene Geliebte, den Krieg, das Leben selbst.
Dann das Taxi. Das Taxi will nicht mehr fahren. Die Scheinwerfer leuchten, aber es bewegt sich nicht mehr. Für einen kurzen Moment sind alle irritiert. Fabian Hinrichs, der Hauptdarsteller des Abends, die Souffleuse in der ersten Reihe, die Bühnenarbeiter, das Publikum. Bestand vor ein paar Minuten die Irritation noch darin, dass Hinrichs unentwegt klagte und dass plötzlich eine riesige Rakete in den ansonsten komplett leeren Bühnenraum geschwebt kam, ist es nun der Umstand, dass drei Bühnenmitarbeiter das Taxi, das eigentlich fahren sollte, an seinen Platz schieben müssen. Vorbei an der Rakete, in die all jene gestiegen waren, die sich dem Pandemie-Irrsinn entziehen, die neu beginnen wollen. Das mit dem Taxi war nicht geplant. Passt aber zum Thema, denn auch die Pandemie, mit allem, was sie uns gebracht und genommen hat, war keinesfalls geplant.
Schon sind wir mittendrin in René Polleschs neuem Stück, aufgeführt an der Volksbühne Berlin und gespielt von Fabian Hinrichs, mit dem Pollesch nicht zum ersten Mal gearbeitet hat. Das Erfolgsrezept des Duos geht auch an diesem Abend auf: Fabian Hinrich redet beziehungsweise jammert sich um Kopf und Kragen und als Beiwerk gibt es entweder Tanz oder Gesang – in „Geht es dir gut?“ auf die Bühne gebracht von den Tänzer*innen der „Flying Steps Academy“ und den Sänger*innen der Afrikan Voices und der Bulgarien Voices Berlin. Das Stück kreist um Hinrichs Monolog, um Jammern auf hohem Niveaus, um Einmeterfünfzig Abstand, der Menschen Lichtjahre voneinander trennt, um all das, was uns als Bürde auferlegt wird – Pandemie, Klimakatastrophe, Trennung, und nun auch noch Krieg. Als wäre es nicht schon genug, sich selbst auszuhalten.
„Ich meine, jetzt kommt ja hoffentlich nächste Woche nicht noch was. Ich meine, was soll denn eigentlich noch kommen? Atomare Bedrohung haben wir, Klimakatastrophe haben wir. Pandemie haben wir – es kann nur noch ein Meteorit, Außerirdische – es kann höchstens Gott zu uns wirklich, persönlich sprechen. Oder du kommst zu mir zurück.
Da würde ich heulen, sofort.
Ja, also weißt du, das mein ich. Das ist doch noch alles drin!“
Geht es dir gut? kann nicht ganz an die Brillanz von Glauben an die Möglichkeit einer völligen Erneuerung der Weltanknüpfen. Während das Publikum damals euphorisch aufgeladen den Saal verließ, bleiben bei Geht es Dir gut? viele Fragezeichen. Sind wir das wirklich? So verjammert? So lamoyriant? So “müüüüüüüüüüde”? So tief in der Selbst- und Globalkrise versunken, das der Schritt von „Ich bin hier drin“ zu „Du bist da draußen“ nicht mehr gelingt?
Natürlich ist das gewollt. Natürlich spiegelt jeder, mit großer Tragik und mit Schmerz vorgetragene Satz Hinrichs unseren Gesellschaftszustand. Da helfen auch keine Chöre und Tänze. Aber vielleicht brauchen wir ja gerade das – einen Jammerbarden, der uns dabei hilft, uns aufzuraffen und all dem was noch on top kommt, mit Kraft zu begegnen. Notfalls mit drei Bühnenmitarbeitern, die anschieben.
Beitragsbild: Geht es dir gut? Von Pollesch/Hinrichs. Zu sehen: Fabian Hinrichs © Thomas Aurin