Garten der irdischen Freuden im Gropius Bau

Vom 26. Juli bis 1. Dezember 2019 bietet die Ausstellung Garten der irdischen Freuden im Gropius Bau in der Zusammenschau politischer und poetisch-sinnlicher Positionen gleichermaßen Raum für Inspiration und kritische Reflexion: Über 15 internationale Künstler*innen interpretieren das Motiv des Gartens als eine erweiterte Metapher für den Zustand der Welt, um die komplexen Zusammenhänge unserer chaotischen und zunehmend prekären Gegenwart zu erforschen.

Kuratiert von Stephanie Rosenthal mit Clara Meister

Unter anderem mit Arbeiten von Maria Thereza Alves, Korakrit Arunanondchai, Hicham Berrada, John Cage, Tacita Dean, Nathalie Djurberg und Hans Berg, Lungiswa Gqunta, Rashid Johnson, Yayoi Kusama, Louise Lawler, Isabel Lewis, Renato Leotta, Jumana Manna, Uriel Orlow, Heather Phillipson, Prinzessinnengarten, Pipilotti Rist, Taro Shinoda, Zheng Bo sowie einem Gemälde aus der Bosch-Nachfolge.

Seit Jahrhunderten arbeiten Künstler*innen mit dem Motiv des Gartens als Ort der Inspiration und kritischen Reflexion. In der heutigen Zeit, die durch einen radikalen Klimawandel und Migrationsbewegungen bestimmt ist, wird der Garten als poetische Ausdrucksform und Kristallisationspunkt fundamentaler Aspekte menschlicher Existenz zu einem Instrument, um unsere Gegenwart in all ihrer Komplexität und Widersprüchlichkeit zu erkunden.

Neben der klassischen Lesart des Gartens als einem abgeschlossenen und begrenzten Sehnsuchtsort voll meditativer, spiritueller und philosophischer Möglichkeiten, wird er in der Ausstellung als ein Ort der Dualität und des Widerspruchs sowie eine Metapher für einen Zustand des Ausgegrenztseins begriffen: als ein Grenzbereich zwischen Realität und Fantasie, Utopie und Dystopie, Harmonie und Chaos, Eros und Perversion, Natürlichkeit und Künstlichkeit, dem Ausgeschlossen- und dem Teilsein – ein Paradies, dem das bedrohliche Gefühl der Vertreibung innewohnt. Die zahlreichen Perspektiven der Ausstellung spiegeln sich auch in der Auswahl der präsentierten Medien wieder, die Installation, Performance, Film und Sound, Gemälde, Fotografie, Zeichnung und Skulptur umfassen.

Garten der irdischen Freuden reflektiert die Idee des Gartens auch politisch und aus unterschiedlichen kulturellen und philosophischen Blickwinkeln. Durch eine Vielzahl zeitgenössischer künstlerischer Positionen verhandelt die Ausstellung soziale, politische und ökologische Phänomene wie Migration, Kolonialisierung, Globalisierung, Kapitalismus sowie Gentrifizierung und zeigt Strategien, die den Garten subversiv instrumentalisieren und so zum politischen Nährboden formen.

Im Lichthof des Gropius Bau gruppiert Rashid Johnson Topfpflanzen in einem stählernen Gerüst und lässt diese in einen Dialog mit Objekten aus Shea-Butter, Aufnahmen von Johnsons früheren Performances sowie Publikationen zur Geschichte von Schwarzen Communitys in den USA treten. In diesem Kosmos aus Lebewesen, kulturellen Objekten, Klängen und Medien wird nicht nur der Gegensatz von Natur und Kultur untersucht, sondern auch die Frage nach Schwarzer Identität aufgeworfen.
Maria Thereza Alves rückt in ihrer Arbeit wiederum weitgehend unbeachtete Zeugen unserer Geschichte ins Blickfeld – Samen, die als koloniales Raubgut, Ballast für Schiffe oder zur Kultivierung exotischer Nutzpflanzen ihren Weg nach Europa fanden. Die Künstlerin legt aus Samen, die bei Ausgrabungen in Spreenähe in Berlin gefunden wurden, einen Garten an, der als archäologische Untersuchung von Pflanzen und Politik im Außenbereich des Gropius Bau wächst.

Während bei Alves im Gedeihen von Samen Geschichte sichtbar wird, richtet Jumana Manna den Blick in die Zukunft: Ihre Filmarbeit entspinnt sich rund um den Samenspeicher Global Seed Vault, in dem Pflanzensamen für eine Zukunft konserviert werden, die ihnen im Zuge des Klimawandels keinen Lebensraum mehr bietet. Der auf einer Insel im Nordpolarmeer gelegene Speicher erscheint dabei als Ort, an dem sich globale Fragen nach katastrophalen klimatischen Veränderungen, Umweltschutz und Biodiversität in eindringlicher Weise verdichten.

Diese Perspektive wird durch das Projekt des Prinzessinnengartens erweitert, bei dem lokales Engagement und ein verantwortungsvoller Umgang mit Ressourcen im Fokus stehen: Durch eine vor dem Gropius Bau aufgebaute Kompostier-Station und einen Automaten zur Wissensweitergabe sollen die Besucher*innen zu ökologisch bewussten Handeln angeregt werden.

Neben dezidiert politischen Positionen stehen in Garten der irdischen Freuden Arbeiten, die den Garten auch in seiner sinnlichen Dimension erfahrbar machen – etwa in einer immersiven Installation Hicham Berradas, die den Rhythmus von Tag und Nacht verkehrt. Durch die Abdunklung des Ausstellungsraums verströmt Nachtjasmin seinen intensiven Geruch und führt die Besucher*innen in eine Traumwelt, die jedem zeitlichen Kontext enthoben ist.

Pipilotti Rist lädt dazu ein, sich in einer paradiesischen Vision des Gartens voll satter Farben und atmosphärischer Klänge zu verlieren; in ihrer Videoarbeit entwirft sie eine unbedrohte Utopie, in der sich zwei Frauen lustvoll der Erkundung einer unendlich scheinenden Naturfülle und ihrer eigenen Körperlichkeit hingeben.

Eine neue Arbeit Nathalie Djurbergs und Hans Bergs lenkt den Blick wiederum auf die Fragilität des paradiesischen Zustands: Mit Virtual-Reality-Headsets können die Besucher*innen visuell zwischen Himmel und Hölle wandern, die fließend ineinander übergehen und je nach Blickrichtung das Erleben der Installation dominieren.

Die Nähe von Utopie und Dystopie, Freude und Furcht reflektiert auch Yayoi Kusama; die Besucher*innen können sich zwischen drei überlebensgroßen Tulpen in einem Raum bewegen, der vollständig mit den für die Arbeiten der Künstlerin charakteristischen Punkten bedeckt ist. Durch die Auflösung von räumlichen Dimensionen und vertrauten Perspektiven verwandelt sich das zunächst freundlich-verspielt wirkende Szenario in eine zunehmend bedrohliche Umgebung, die in ihrer Verzerrung Züge des Wahnhaften trägt.

In der Zusammenführung vom Katastrophischen und Paradiesischen zeigt sich die Ausstellung von Hieronymus Boschs Triptychon Garten der Lüste aus dem 15. Jahrhundert inspiriert, auf das auch der Titel Bezug nimmt. Für sein Werk wählte Bosch einen konzeptionell polaren Ansatz, in dem Himmel und Hölle, Freude und Schmerz eng miteinander verbunden sind. Die in der Nachfolge Boschs im Zeitraum von 1535 bis 1550 entstandene Version des Garten der Lüste bildet daher einen Ausgangspunkt der Ausstellung und führt die Besucher*innen in die inneren Widersprüche des Gartens in der christlichen Tradition ein. Ergänzt und kontrastiert wird diese Perspektive durch einen persischen Gartenteppich aus dem späten 18. Jahrhundert, der im selben Raum zu sehen ist. Dieser verdeutlicht das Konzept des Paradieses als umwalltem Raum (pairidaeza), dessen innere Logik und Harmonie durch den Schutz einer umgebenden Mauer gewährleistet werden.

Gleichzeitig rückt in der Ausstellung auch die philosophische Rolle ins Blickfeld, die der Garten in vielen asiatischen Kulturen spielt. So ruft Taro Shinoda das Bild traditioneller japanischer Gärten auf, die aus Arrangements von Steinen bestehen und nur von einem bestimmten Punkt aus betrachtet werden dürfen. In seiner speziell für die Ausstellung neu entstehenden Arbeit bildet er diese Steine anhand von Fotografien aus Marmor nach – einem Material, das stark mit westlicher Kultur verbunden ist. Die den Betrachter*innen im japanischen Garten abgewandte Seite der Steine gestaltet Shinoda dabei als glatte Rundungen ohne Strukturen. Obwohl sich die Besucher*innen im Gropius Bau frei zwischen den Repliken bewegen können, bleibt so jederzeit bewusst, dass Shinodas Rekonstruktion nur das Bild eines Gartens ist.

„Bei dieser Ausstellung bietet die Lage des Gropius Bau eine zusätzliche Ebene der Reflexion: Im Zuge der wechselhaften Geschichte Berlins befanden sich in der Umgebung des Hauses zeitweise Felder und Brachen. Der Tiergarten, der in unmittelbarer Nähe liegt und als öffentlicher Lustgarten im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört wurde, konnte in der Nachkriegszeit von den Berliner Bürger*innen zur Subsistenzlandwirtschaft genutzt werden. Ab 1949 wurde er wieder als Park bepflanzt.“ – Stephanie Rosenthal

Als Vorausblick auf Garten der irdischen Freuden ist das Gemälde aus der Nachfolge Boschs bereits vor der Ausstellungseröffnung an den Wochenenden im Zeitraum vom 27. April bis 19. Mai 2019 im Gropius Bau zu sehen. Am 4. und 5. Mai 2019 präsentiert Isabel Lewis außerdem eine neue choreografische Arbeit, die in Kooperation mit LABOUR entstanden ist und die dramaturgische Struktur des Triptychons aufgreift. Durch performative Elemente und algorithmische Klangkompositionen entwickelt die Künstlerin und Choreografin einen zeitgenössischen Zugang zu Boschs berühmtem Gemälde.

Garten der irdischen Freuden im Gropius Bau

26.07.2019 – 1.12.2019

Martin-Gropius-Bau

Beitragsbild: 

Pipilotti Rist, Homo sapiens sapiens, 2005. Audio-Video-Installation (Videostill)

© Pipilotti Rist, Courtesy: Pipilotti Rist, Hauser & Wirth und Luhring Augustine

Veröffentlicht am: 14.07.2019 | Kategorie: Ausstellungen, | Tag: Martin Gropius Bau,

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