«Die Geschichte beginnt mit den „Gesammelten Holzschnitten von Albrecht Dürer“ (herausgegeben von Willi Kurth). Dieses Buch, beinahe vollständig mit Bildern gefüllt, hat mich nicht losgelassen, ich wollte damit etwas machen.
Sie endete mit „Die verkehrte Welt“, einem anonymen Holzschnitt aus Deutschland, der vermutlich aus dem 16. Jahrhundert stammt. Sie zeigt einen Fisch, der mit einer Angel einen nackten Mann aus einem Teich fischt, während im Hintergrund ein Vogel mit einer Flinte auf einen weiteren Mann zielt, der in einem Baum sitzt. Ich begann, die schwarz umrandeten Weißflächen nach dem Zufallsprinzip mit Farben aus der Farbpalette meines Computers auszufüllen – ich habe daraus übrigens später einen Aushang für meine Lehrtätigkeit an der Villa Arson gemacht – die Idee war absolut völlig albern; so wie man eben beginnt, die Os eines Textes oder eines Formulars auszufüllen; oder wie ein Kind, das ohne Skrupel ein Ausmalheft mit eben den Farben koloriert, die ihm gerade in die Finger kommen.
Der erste Druck, bei dem ich dieses Verfahren angewendet habe, war Dürers Melancholie, um mir dieses faszinierende Werk unter unterschiedlichen Gesichtspunkten anzueignen: Mich interessierte die Haltung, der androgyner Blick, ebenso wie der misstrauischer dreinblickende Windhund, der zusammengerollt zu den Füßen dieses in schweres Gewand gekleideten Engel liegt. Der zweigeteilte Hintergrund zeigt links eine Meerlandschaft nach dem Regen, die von durch eine Regenbogen fliegenden Kometen durchkreuzt wird. Der Regenbogen berührt leicht den Rand des Druckes. Darunter schwebt eine Chimäre, halb Fledermaus, halb Eidechse die ein Spruchband hält, auf dem „Melencholia No 1“ zu lesen ist, af36 einem Aufruf gleich, auf den mich sogleich stürzte! Auf der rechten Seite ist eine Art Blockhaus sehen, ein geradezu anachronistische, nicht eindeutig zu definierende Architektur ohne jegliche Öffnungen, die die Sicht versperrt und gleichzeitig als Hintergrund für ein allegorisches Sammelsurium dient: Das Magische Quadrat, Glocke und Sanduhr, Waage, ein schreibendes Engelchen als kleineres Pendant der reiferen Engels, hier in einer ungewöhnlichen Position als auf einem Mühlstein sitzender Buchalter, direkt neben dem Polyeder mit seinen geschliffenen Seiten. Gleichsam zum Abflug bereit liegt er am Fuße einer Leiter, die durch ihre leichte Diagonale die gesamt Komposition dynamisiert.
Übrigens, ganz im Ernst: Vor ein paar Jahren habe ich mein Badezimmer renoviert. Ich verteilte die farbigen Kacheln und freute mich auf den Moment, wo ich die Fugen schließen würde; jener besondere Augenblick, in dem die sich Formen abzeichnen, den Farben ihre Gebiete zugewiesen werden. Das ist auch der Moment, indem die Vorstellung ihre Form findet, wie eine Art Filter: Die Zeichnung der Druckplatte wird zur Maschrabiyya, wie ein dekorative Fenstergitter in der arabischen Architektur, durch die der Blick seinen Ausdruck selbst findet.» Frédéric Clavère, 2016
Farben hinter Türen
12. März bis 9. April 2016
Galerie Dukan
Spinnereistraße 7, Halle 18.I
04179 Leipzig