FRANZISKA KLOTZ & JAN MUCHE: Das jüngste Gerücht

FRANZISKA KLOTZ & JAN MUCHE: Das jüngste Gerücht

Unter dem Titel „Das jüngste Gerücht“, der einem Kabarettprogramm von Wolfgang Neuss aus dem Jahr 1963 entlehnt ist, treten Gemälde von Franziska Klotz erstmals in einen Dialog mit Bildern und Skulpturen von Jan Muche. Die beiden Künstler*innen vereint, dass sie sich von Bildern anregen lassen, die ihnen aufgefallen sind. Das können Dokumentationen oder Abbildungen historischer Ereignisse und Kunstwerke sein, aber auch digitale oder analoge Bilder, die das aktuelle Zeitgeschehen illustrieren.

Ihre Werke sind gegenständlich, beide arbeiten aber oft mit Strukturen, die ihre Bilder und Skulpturen fast abstrakt wirken lassen. Kunst ist bei ihnen ein Mittel, um sich zur Welt, in der wir leben, zu verhalten, sich mit ihr auseinanderzusetzen und sie zu hinterfragen. In ihren Werken greifen sie daher Themen auf, die sie aus ganz persönlichen Gründen bewegen, die ihnen aber auch deshalb darstellenswert erscheinen, weil sie etwas erzählen über die Welt – die, in der wir leben, aber auch die, in der wir vielleicht gerne leben würden. Gleichzeitig ist ein Bild, ist eine Skulptur für beide immer auch ein Medium, das seinen eigenen, kunstimmanenten Gesetzen folgt und mit Farbe, Form, Struktur, Linie, Fläche und Raum arbeitet. Ein Werk von Franziska Klotz oder von Jan Muche wird das gewählte Thema formal immer so umsetzen, dass wir angeregt werden, über das im Kunstwerk Dargestellte und damit letztlich über die uns umgebende Welt nachzudenken.

Die neuen Bilder von Franziska Klotz zeigen Teenagermädchen, alleine oder in kleinen Gruppen, aber auch Stühle in einer Raumecke, Alltagsgegenstände wie einen Eiswürfel oder eine Wärmflasche, eine Seebrücke, zerbrochene und zersplitterte Scheiben oder einen Riss in einer Straße. Allen Werken gemeinsam ist, dass Strukturen einerseits betont werden, diese aber vor allem in den unterschiedlichen Objekten aus der Ordnung geraten sind. Chaos und Zusammenbruch finden sich überall: die Seebrücke neigt sich ächzend zur Seite, im Eiswürfel sind verwelkende Blumen eingeschlossen, die Risse in den Scheiben bilden wundervoll chaotische, eine geheimnisvolle neue Ordnung bildende Netz- und Gitterstrukturen, die Stühle sind wahllos übereinander gestapelt, in der Mitte der Straße klafft ein breiter Spalt, der ehemals glatte Beton wird rissig, und auch die schützende Hülle der Wärmflasche wird nur notdürftig von drei breiten Bändern zusammengehalten.

Fragil scheinen auch die Teenager, deren Arme und Beine komplizierte Muster bilden, die mal abwehrend, mal einladend sind. Gelegentlich umfassen sie wie ein Rahmen bestimmte Partien des Bildes, die so herausgehoben und betont werden. Als „schmerzende Chiffren der Krise in einer Lebensphase zwischen allen Stühlen“, so Ingeborg Ruthe, zeigen diese Bilder „Mädchen, wie sie sich auf diversen Social-Media-Plattformen bewegen. Jede für sich, aber alle verbunden durch dieselben Ängste, Zweifel, Unsicherheiten.“ Geeint durch die „virtuellen Fluchtorte, in denen das Verhältnis der Mädchen zu ihrem Körper analog zum sozialen Gefüge steht – zugleich in- und extrovertiert.“

In beiden Werkgruppen, den leblosen Gegenständen ebenso wie den Teenagermädchen, zeigt sich die Faszination der Künstlerin für das Ungeordnete und Chaotische. Das Vage und Ambivalente, das Dunkle und das Unergründliche oder nur schwer zu Ergründende sind ihr Thema. Wer mag, kann ihre Bilder daher als Kommentar zu einer Zeit lesen, in der sich bestehende Ordnungen und alte Gewissheiten auflösen und es immer schwieriger wird, herauszufinden, was wahr ist und was nur Fake News.

Strukturen stehen auch im Zentrum der Bilder und Skulpturen von Jan Muche. Schon lange ist der Künstler fasziniert von Motiven vergangener (Kunst)Epochen, allen voran den Abstraktionen der russischen Konstruktivisten. In seinen aktuellen Werken aber beginnen die scheinbar architektonischen Strukturen zu tanzen. Man könnte an ein außer Rand und Band geratenes Bild von Fernand Leger oder ein psychedelisch verfremdetes Werk von Willi Baumeister denken. Und auch der konstruktive Vassily Kandinsky ist manchmal nicht weit. Diese kunsthistorischen Referenzen betreffen aber wohl nur das Formenvokabular. Die Farben, und auch sein Duktus, die Art also, wie der Künstler seine Farben aufträgt, sind klar zeitgenössisch und immer eindeutig als Jan Muche erkennbar.

Das gilt auch für Jan Muches figürliche Bilder. In der kleinen Leinwand „Gesellen“, einer schmutzigen Pop Art-Version eines Propagandabildes für den Heroismus harter, industrieller Arbeit, verbindet der Künstler spielerisch die historische Vorstellung eines künstlerischen Aufbruchs zu neuen, bislang nie betretenen Ufern mit den handfesten politischen Forderungen nach einem neuen Menschen in einer freien Gesellschaft. Eine nicht nur nostalgische Faszination für die Formen und Ideen dieser vergangenen Epoche ist charakeristisch für das Schaffen von Jan Muche. Auch seine Skulpturen, die wie Modelle utopischer, erst noch zu realisierender Bauten wirken, sind geleitet von der Vorstellung, dass Kunst mehr sein muss als nur ein dekoratives Element im Raum.

„Das jüngste Gerücht“ um Franziska Klotz und Jan Muche besagt, dass die Werke von zwei Künstler*innen aus Berlin, die scheinbar sehr ähnlich arbeiten, in einen fruchtbaren Dialog eintreten. In ihrer Darstellung dessen, was war und was ist, widersetzen sich die Werke der beiden der Negierung von Bedeutung auf wunderbare Weise.

Franziska Klotz (*1979 in Dresden) wurde mit dem Max-Ernst-Stipendium der Stadt Brühl ausgezeichnet und arbeitete auf Einladung des Goethe-Institutes 2015 und 2018 für mehrere Monate als Stipendiatin der Deutschen Kulturakademie Tarabya in Istanbul. Ihre Werke werden weltweit ausgestellt, u.a. beim 56. Oktober-Salon in Belgrad (2016), im Fanø Art Museum in Dänemark (2017), im Hamburger Bahnhof (2018), im Kulturforum Schorndorf (2019) oder im Kunstraum Kreuzberg (2021).

Nach einer Ausbildung als Lithograf war Jan Muche (*1975 in Herford) Meisterschüler von K. H. Hödicke an der Universität der Künste in Berlin. Seine Werke sind weltweit Ausstellungen zu sehen, so u.a. im Marta Herford (2020), dem Torrance Art Museum in Kalifornien (USA, 2020), dem Haus am Lützowplatz in Berlin (2017) oder dem Wuhan Art Museum in China (2009).

FRANZISKA KLOTZ & JAN MUCHE: Das jüngste Gerücht

21. Juni – 24. August 2024

KORNFELD Galerie

Veröffentlicht am: 27.06.2024 | Kategorie: Ausstellungen, Kultur, Kunst,

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