Ich will nicht. Ich kann nicht. Ich darf nicht! Nicht jetzt. Vielleicht morgen wieder. Ständig müssen wir aufschieben, was wir wollen würden, tun müssten, wünschen könnten. Das Handeln hat sich lange nicht mehr so angefühlt wie eine ungewisse Tätigkeit, die gerade jetzt mutmaßlich unangebracht ist und übermorgen vielleicht ebenso.
Vielleicht ist man zu Hause. Vielleicht gehen einem die Kinder auf den Wecker. Vielleicht sitzt man alleine in der Galerie und hat keine Ahnung, was wirklich zu planen ist. Vielleicht bekommt man auch gar keine Antworten mehr auf seine Emails, weil die Leute irgendwo verschwunden sind im Off. Inselleben. Und im Innern beginnen die Gedanken an der gleichen Stelle hocken zu bleiben, wo sie gestern schon hockten, und man verscheucht die Spinnweben zwischen ihnen. KOW zeigt Sophie Gogl. Ihre erste Ausstellung bei KOW, zum Gallery Weekend 2021. Wir telefonieren. Es werden 13 Tondi sein, die zu hängen sind. Natürlich werde sie zur Hängung aus Wien nach Berlin kommen. Tondi sind kreisrunde Leinwände, in diesem Fall beidseitig bemalt und also werden sie von der Decke herabhängen statt an die Wände geschraubt zu sein, wie es üblicher ist für Malerei.
Sie habe Epistulaphobie, sagt sie am Telefon und ich frage, ob das ein Virus sei. Nein, sagt sie. Das bedeutet, dass man Angst vor Briefen hat. Ich kann sie einfach nicht öffnen, sagt Sophie und ich denke: Ja. Schlechte Nachrichten. Meistens geht es um Geld. Ich schiebe dauernd so viele Sachen vor mir her, sagt sie, und ich nicke innerlich. Und dann machst du den Kühlschrank auf und nimmst ein Glas Marmelade heraus, schraubst es auf und steckst dein Messer in ein Beet aus grünem Schimmel, sagt Sophie, weil die Marmelade da seit Monaten unbeachtet stand und jetzt nicht mehr kann und auch nicht mehr will, und so hat sie ihr Eigenleben begonnen.
Die Vorderseiten ihrer Tondi, die 90 Zentimeter messen, sind säuberlich wiedergegebene Deckel von Marmeladen- und Honiggläsern. Als erstes kam die „Bonne Maman“ mit diesem simulierten Karo-Textil auf dem Deckel, sagt Sophie Gogl. Als hätte Mutti die Konfitüre frisch gemacht und hübsch häuslich ein Stoffdeckchen darübergestülpt. Das ist so ein Fake. Und dann sollst du, denkst du, selber die Bonne Maman sein, die tolle Mutter, und deinem Kind das Brot schmieren, deinem Kind, das dich in Wahrheit gerade nervt, und eigentlich würdest du lieber sagen: Jetzt nicht. Marmeladenbrote gibt es morgen wieder. Falls wir dann noch intakte Marmelade haben.
Malerei ist so ähnlich, sagt sie. Da ist dauernd die Forderung, alles gut und richtig zu machen, getrieben von dem Versprechen auf eine zuckersüße Welt auf Leinwand. Ein Versprechen, das sich eh nie erfüllt, und irgendwann hat man auch keine Lust mehr, dieser alten Verpflichtung nachzukommen. Und als Betrachter, ergänze ich, sagt mein Blick auf das Bild erbittert: Los, zeig mir die Welt! Und die Malerei sagt: Leck mich am Arsch, lass uns das auf Morgen verschieben. Was dann bleibt, sind Oberflächen aus Honigschmelz und nasser Zuckerwatte, die, knabbert man sie an, bitter schmecken.
Es ist ein Dilemma, sagt Sophie Gogl. Ich will ja malen, aber wir sind eh schon überreizt. Hängen am Tropf so vieler visueller Sachen, die uns eh nervös machen, und dann drehst du das schmucke Marmeladenglas auf, und auf der Innenseite des Deckels ist die Welt ungenießbar. Vorne ist alles Sahne und hinten ist alles Mist, schon vorbei oder auf irgendwann vertagt, oder da ist eine Übersprungshandlung, die mit der Sache gar nichts zu tun hat. Ich scrolle am Telefon die Rückseiten der Tondi durch. Nudeln kleben in der ungepflegten Spüle, irgendwas hat mit Comics und Kindheit zu tun, ein Golfplatz in Nintendo-Ästhetik. Immer gerne genommen, sagt Sophie. Computer spielen ist eine tolle Ersatzhandlung, um anderes zu prokrastinieren. Ich scrolle weiter und sehe Buchstaben, die aus Trockenmoos und Plastikblümchen zusammengesetzt sind. Ein N, ein O, ein T, …
Und kOder Gewinn. Soll, muss, will ich das jetzt wirklich tun oder sehen? Drohen Schimmel, Depression und Scheitern, wenn ich mich, mein Handeln, meinen Blick vertage? Ist das schon Anarchie, jetzt gerade Nein zu sagen zu den Anforderungsprofilen der Welt? Oder ist das Alltag? „Not Now“, das ist die Kurzformel, die eine Lektüre der Bilder von Sophie Gogl in der Zusammenschau, Buchstabe für Buchstabe, für uns bereithält. Und dabei sagt, was wir längst wissen: Dass grad nicht viel geht?
Nein. Gogls „Jetzt nicht“ ist keine Corona-Malerei für ein ohnehin ungewisses Publikum. Und es ist auch nicht die eher philosophische Verweigerungsformel „I would prefer not to“ des Melvilleschen Bartleby. Was ich meine, sagt sie am Telefon, ist doch viel plumper. Muss ich das jetzt wirklich machen? Kann ich das verschieben? Kann ich auch was anderes tun? Dann, wenn ich das sage, entstehen wieder unbestimmte Zeiten und Zwischenräume. Und in denen lässt sich malen.
Text: Alexander Koch
Sophie Gogl – Jars
1.05.2021 – 12.06.2021
KOW