Valentina Murabito – La donna del mare
Valentina Murabito entführt bei 68projects by KORNFELD in eine faszinierende Welt, in der Mythologie, Natur und Fotografie auf außergewöhnliche Weise verschmelzen.
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Unser Weltverständnis wird zunehmend auf eine harte Probe gestellt – Erfahrungen, Zusammenhänge, Prozesse verunklären sich und einsinnige Lösungen sind im Schlamm aus Halbwahrheiten, Interessen, Ideologien, Versprechungen nicht mehr zu haben. Genau diese Undurchsichtig klingt bereits im Titel der Ausstellung von Claudia Chaseling an. Dass aber aus solchen verstörenden Eintrübungen einsichtige Form und Schönheit herausgeschlagen werden kann, ist das Rätsel der Kunst.
Claudia Chaselings oft raumgreifende Malerei agiert in dem komplexen Feld von Ästhetik als Widerstand und Auflehnung, Verwandlung und Distanzsetzung zu der erlebten oder medial vermittelten Wirklichkeit: Bannung und Freisetzung zugleich. Diese Bilder sind keine theoretisch entworfenen Pamphlete. Der jeweils gewählte thematische Ausgangspunkt, die Recherche der brisanten Fakten, verändern sich in ihrer Umsetzung, werden im Malprozess lebendig, ziehen immer weitere Kreise, die das Thema umrahmen, öffnen, ausweiten, es mitunter sogar fragwürdig werden lassen. Ganz aus der Malerei entwickelt halten die Bilder doch in jedem Augenblick, gleichsam subkutan, die Beziehung zur kritischen Reflexion präsent, führen hinein in die Kunst, in ihren Imaginationsraum, der noch etwas nie Dagewesenes zur Anschauung bringt und zugleich hin zu der Welt: Diese Bilder sind Begegnung mit der Welt und Forderung, in der Welt zu sein, teilzunehmen, zu sehen, sich selbst ein Bild zu machen – in einer bilderüberschwemmten und doch merkwürdig bildlosen/imaginationslosen Welt. Mit ihrer trudelnden Dynamik, mit den Verschlingungen von Linien und Farbflächen, erzeugen diese Bilder eine unauflösbare Oszillation zwischen Sichtbarkeit und Ahnung, zwischen prägnanter Form und einem Etwas, das sich der Form, der Formung entzieht. Worte fallen scheinwerfend ein, sind zugleich Zeichnung, Verweis und Enigma. Diese Bildgebilde werden zu einer Bühne, auf der sich die Widersprüche, die grundsätzlichen Ambivalenzen unserer Weltverfasstheit erspielen und austragen.
In gewisser Weise vermessen Claudia Chaselings Bilder-Räume noch einmal den Weg von der Utopie zur Dystopie und befragen damit auch unsere Wünsche, Ängste, Träume und den totalitären Anspruch der Utopie einer besseren Zukunft auf Kosten der Natur. Dystopien bewegen uns jetzt zum Handeln, Utopien zum Warten auf bessere Zeiten. Auf sehr eigenwilliger Weise verschwistern sich in dieser Malerei Hoffnung und Krise, Topos und U-Topos. Jedes Bildinszeniert so auch die mögliche Wendung zu einem vorsichtigen, einfühlsamen, zukunftsgerichteten Tun.
Claudia Chaseling bedenkt in ihrem bildnerischen Kosmos immer auch die poröse Grenze, das komplexe Spannungsverhältnis von Ethik und Ästhetik, ihre Verbindung, aber auch ihre Polaritäten und Differenzen. Durch die Freiheit ihrer Vorstellungskraft, durch die ungeschönte und doch so schöne Darstellung unserer Realität entstehen Bilder, die kategoriale Trennungen in Schwingung versetzen, verflüssigen, Störstellen im Selbstverständnis der Moderne illuminieren. Wie das Echo, das verändert, fragmentiert, selektiert, geraten hier Wahrnehmung und die Begriffe, mit denen wir die vormals relativ stabile Welt beschrieben haben, ins Wanken: es ist so, als ob in diesen Bildern permanent materielle und energetische Flüsse miteinander in Wechselwirkung treten: Und dieses Ineinander öffnet sich zu der seherischen Aufgabe, den Menschen als Teilnehmer an Netzwerken sehr unterschiedlicher Handlungsträger, die Pflanzen, Tiere, Landschaften, Ressourcen, Atmosphären und Dinge umfassen, einzusehen.
In vielfacher Brechung reflektiert diese vielschichtige Malerei aber auch die Gabe der Kunst, das Schreckliche in Ästhetisches zu überführen und so die Wahrnehmung jeweils und in aller Freiheit auf Erkenntnisgewinn und Erkenntnisverlust zu überprüfen. Vielleicht erreichen wir nur so, in und durch die Kunst, ein neues Staunen über das Wunder Erde: Was können wir tun, was müssen wir wissen, um der Verantwortlichkeit für die Bewohnung und Geschäftsführung der Erde gerecht zu werden?
Text Dr. Dorothée Bauerle-Willert
24 April – 25 Juni 2021
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