Die Gruppenausstellung Matrixial Spaces, die im Rahmen des Europäischen Monats der Fotografie in Berlin in der Galerie Luisa Catucci gezeigt wird, versammelt sieben einzigartige fotografische Positionen, die sich intensiv mit dem symbolischen weiblichen Blick und der damit einhergehenden psychologisch-mütterlichen Dimension des kreativen Prozesses auseinandersetzen. Dieses Konzept basiert auf Bracha L. Ettingers Theorie des Matrixialen Blicks, die in den 1990er Jahren als Gegenstück zu den phallozentrischen Sichtweisen von Psychoanalytikern wie Freud und Lacan entstanden ist.
Die Matrix (von lateinisch matrix, “Gebärmutter”) fungiert nach Ettinger als psychologisch-philosophisches Konstrukt in metaphorischer Anlehnung an die Gebärmutter, um die Ursprünge des ethischen Verständnisses und der menschlichen Beziehungsfähigkeit zu erörtern. Das Konzept des inneren Raums, dem Kunst und Fotografie letztlich entspringen, ist damit eng verbunden. Kreativität kann als fruchtbare Verschmelzung einer äußeren, haptischen Realität mit einer inneren, emotionalen verstanden werden, die zum Kunstwerk führt.
Ettinger definiert das Prinzip der Empfängnis und der Abstammung letztlich als weiblich, was zur Matrix als übergreifendes psychologisches Schema führt. Darauf aufbauend formuliert sie die Theorie einer symbolischen, weiblich-mütterlichen Begegnungssphäre, der man erst im Mutterleib ausgesetzt ist. Folglich betrachtet sie Ästhetik und Kreativität vor allem im Sinne von Mitgefühl, Respekt, Fürsorge und Verantwortung füreinander. Das Prinzip der Matrix geht nicht von einer Abgrenzung des Selbst aus, sondern propagiert eine Wahrnehmung der Toleranz und des Miteinanders: das friedliche Miteinander von Ich und Nicht-Ich, wie sie es nennt. Laut der Kunsthistorikerin und Kulturanalytikerin Griselda Pollock bietet Ettingers Theorie der Matrix eine Alternative zur “Vorstellung des diskreten und singulären Subjekts, das durch die Festlegung von Grenzen gebildet wird, die es von einem ozeanischen oder undifferenzierten Anderssein der Welt unterscheiden […].”
Vor dem Hintergrund von Ettingers Theorie beschäftigen sich die ausgestellten Arbeiten mit dem kreativen Prozess und dieser inhärent symbolisch-femininen Wahrnehmung (die nicht unbedingt an ein biologisches Geschlecht gebunden ist) und bewegen sich dabei zwischen Kunst, ästhetischer Theorie, Philosophie und Psychologie.
Annegret Soltau nutzt ihren eigenen Körper als Material, um sich mit den Grundfragen der menschlichen Existenz auseinanderzusetzen: »Ich nehme mich selbst zum Modell, weil ich mit mir am weitesten gehen kann.« Im Zentrum der präsentierten Arbeiten steht der Faden, der sich rot durch ihr Lebenswerk zieht. In der Fotoperformance »Selbst« 1–21 (1975/2022) zeigt sie Bild für Bild, wie ihr Gesicht immer weiter von einem schwarzen Faden eingesponnen wird, bis es fast ganz dahinter verschwindet. Ihr Werk ruft die Arbeit einer Spinne ins Gedächtnis; im schwarzen Netz schwingt etwas Raubtierhaft-gefährliches, eine Art Ausgeliefertheit mit, aber auch der zärtliche, kittende Vorgang des Webens. »Der Faden bedeutet aber auch etwas Verbindendes, Reparierendes, was die Risse zusammenbringt und hält. Die Risse im Lebenslauf bleiben sichtbar wie die Falten als Lebensspuren.« Dieser Aspekt von Brutalität und Heilung tritt in der Arbeit »In mir SELBST« 2 und 3 (2010) noch deutlicher hervor. Annegrets Arbeit oszilliert – wie eine Geburt – zwischen mütterlicher Zärtlichkeit und brachialer Gewalt.
Loreal Prystajs gezeigte Arbeiten (2018–2023) sind tief im Surrealismus und dem archetypischen Symbolismus der Psychoanalyse verwurzelt. Dabei spielt der weibliche Körper und das Domestische eine entscheidende Rolle. Indem Loreal sich als erotisches Requisit inszeniert, verwandelt sie das vertraute Zuhause in eine Bühne, auf der das Innenleben der Frau von damals und heute im Rampenlicht steht. Als Verkörperung des Hauses erobert sie sich das entfremdete Zuhause zurück und streift mit ironischem Augenzwinkern die Fesseln ab, die der Frau von Geschichte und Gesellschaft angelegt wurden.
Teri Varhols episches Werk »Homo Normalis« (2018) wird in dieser Ausstellung erstmals gezeigt. Ein ganzes Jahr lang dokumentierte sich die Künstlerin mithilfe einer Polaroidkamera selbst – mit einer strengen Einschränkung: Nur ein Bild pro Tag erlaubte sie sich, um die Essenz des Tages und ihrer selbst einzufangen. Keine zweiten Versuche. Das Resultat ist eine zutiefst verletzliche, ehrliche Arbeit, die im starken Gegensatz zu den Illusionen der modernen Selfie-Kultur steht. Der Betrachter wird zum Voyeur und Vertrauten; die Künstlerin zum Symbol des echten, unmaskierten Selbst.
Imogen-Blue Hinojosa versetzt den Betrachter in eine alternative Welt zwischen Autobiografie und Fiktion. In ihrer Arbeit verwebt sie Fotografie und Bewegtbild, Textilien und narrative Texte, um Intimität, Trauma und den künstlerischen Bühnenraum als Konfrontationsort der Fassungslosigkeit zu erforschen. In ihrer gezeigten Videoarbeit »Kameha-Mija!« (2019) beweist sie besonderen Mut und stellt sich den Straßen, in denen sie sich regelmäßig der Transphobie ausgesetzt sah. Selbstbewusst, ohne die Kamera aus dem Blick zu lassen, tanzt sie sich durch ihr Umfeld. Die beiden Fotografien, die das Video ergänzen, sind eher melancholischer Natur und behandeln den Wunsch nach Akzeptanz und einem angstfreien Leben.
Karina-Sirkku Kurz zeigt einen Auszug aus ihrer Arbeit »Supernature« (2015–2019), in der sie den Körper als formbares, skulpturales Objekt begreift. Ein wichtiger Kontext ist die ästhetisch-plastische Chirurgie – eine hochinvasive Veränderung des körperlichen Erscheinungsbildes nach spezifischen ästhetischen Vorstellungen. Gedanklich knüpft sie hier an das Buch »Our Strange Body« (2014) der niederländischen Philosophin Jenny Slatman an. Darin argumentiert Slatman an der Schnittstelle von Medizin und Geisteswissenschaften, dass »[…] das, was wir unseren eigenen Körper nennen, immer auch eine befremdliche Dimension beinhaltet. Und dass wir genau wegen diesem Element an Fremdheit in uns erst in der Lage sind, Fremdes in uns aufzunehmen und uns radikalen körperlichen Veränderungen anzupassen.«
Nina Röders Serie »Bath in Brilliant Green« (2015–2017) eröffnet mit ihrer melancholischen Bildsprache eine poetische Perspektive auf Hilflosigkeit und Verlust. In assoziativen Arrangements von Porträts, Landschaften und Stillleben – oft in Dunkelheit gehüllt –, schafft sie Assoziationen des Loslassens. Inszenierte Bilder von bleichen Körpern, oft in performativer Korrelation mit der umgebenden Natur, hinterfragen den Sinn des menschlichen Daseins. Ihre Arbeiten »Her« und »Him« könnten unter anderem im Kontext der Absurdität des menschlichen Ursprungs gelesen werden.
Elena Helfrechts Arbeit “A Lament” (2018) aus der Serie ” Arbeit »A Lament« (2018) aus der Serie »The Origin of Touch« (2016–2020) setzt sich mit den Fragen nach Ursprung und Definition von Bewusstsein auseinander. Die großformatige, silbrige Druckoberfläche ist sowohl Kunstwerk als auch Spiegel: Im schwarzen Abgrund der Felswand begegnet der Betrachter sich selbst und wird Teil der Bildwelt. Als Inspiration dienten jene Momente, in denen man zu lange vor dem Spiegel steht und versucht, die eigene Existenz zu begreifen, bis alles in Surreale kippt. Je mehr man das eigene Dasein zu fassen versucht, desto schneller rinnt die Antwort durch die Finger.