Kein deutsches Medium, das nicht darüber berichtet hätte. Denn dass sich Oury Jalloh vor 16 Jahren in einer Gewahrsamszelle des Polizeireviers in Dessau-Roßlau selbst anzündete und binnen weniger Minuten verbrannte, glaubt nicht nur kaum jemand – es ist auch durch mehrere wissenschaftliche Gutachten und Rekonstruktionsversuche des Brandhergangs eindrücklich widerlegt. Ohne Fremdeinwirkung ist Jallohs Tod schlicht nicht erklärbar. Doch dass die Polizisten, die den Mann aus Sierra Leone inhaftiert hatten, ihn eigenhändig angezündet haben könnten, wurde in den Untersuchungen nicht einmal erwogen. Die Generalbundesanwaltschaft sah ebenso wie andere Behörden keinen Anfangsverdacht für einen möglichen Mord aus fremdenfeindlicher Gesinnung. Also blieb der Fall im Ungewissen und erschien zunehmend als juristische und behördliche Farce, die von der deutschen und internationalen Presse entsprechend kommentiert wurde. Eine Verfassungsbeschwerde zu dem Vorgang liegt derzeit beim Bundesverfassungsgericht.
Die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh e.V. streitet seit 2005 für die Aufklärung und Wahrheitsfindung in dem Fall. Mario Pfeifer arbeitet mit der Initiative zusammen, um im Rahmen seines Projektes ein neues Brandgutachten zu erstellen, dass die Erkenntnisse bisheriger Versuche und Experimente aufgreift und praktisch weiterdenkt.
Kern des Geschehens in diesem Projekt ist die Zelle 5 selbst, in der Jalloh zu Tode kam. Gutachter rekonstruierten sie viermal, um den offiziell bescheinigten Brandhergang nachzuvollziehen und zu beweisen. Was nicht gelang. Ohne Zuhilfenahme von Brandbeschleuniger war das Bild, das Raum und Körper nach dem Feuer abgaben, nicht ansatzweise erklärbar. Da man aber eine äußere Einflussname durch Dritte von vornherein ausgeschlossen und auf der These bestanden hatte, es sei Selbsttötung gewesen, wurde Brandbeschleuniger in die staatsanwaltlichen Versuche gar nicht erst einbezogen. Einzig die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh e.V. führte 2013 Brandversuche mit Brandbeschleunigern in Irland durch. Ergebnis: ein Brandbild wie im Falle Oury Jallohs ist auf Brandbeschleuniger zurückzuführen. Kurz: Dass jemand den Migranten mit Benzin übergossen und angesteckt haben könnte, war nie Teil der Erwägungen und wurde nie unter Realbedingungen seitens der Behörden/ Staatsanwaltschaft ausprobiert.
Pfeifer wird mit seinem Projekt die bisherigen Experimente reflektieren und eine fünfte und originalgetreue Rekonstruktion der Zelle erstellen. Sie wird einem weiteren, diesmal international renommierten Experten für Brandforensik die Möglichkeit bieten, einen Hergang zu simulieren, der dem Brandbild des Tatorts und dem Zustand des Opfers möglichst nahekommen soll, wenn nötig auch unter Einsatz von Brandbeschleuniger.
Pfeifers neue Zelle 5 wird bei KOW zunächst demonstriert. Nach Abschluss des Verbrennungsexperimentes und damit einhergehender Dreharbeiten wird schließlich das umfangreiche Projekt in der Galerie präsentiert werden.
Neben dieser Zelle 5 zeigt KOW zum Gallery Weekend 2021 eine neue Videoarbeit Pfeifers, die einer kleineren Fallstudie gleichkommt. Sie widmet sich dem Feuerzeug, mit dem Oury Jalloh sich angezündet haben soll und welches später angeblich im Brandschutt gefunden wurde. DNA-Spuren Jallohs fehlen indes auf dem Feuerzeug, als Beweismittel ist es zweifelhaft. Pfeifers Video eröffnet damit das Feld der Widersprüchlichkeiten im Fall Oury Jalloh, die seine Ausstellung bei KOW entfalten und in Teilen vielleicht aufklären wird.