Die virtuose Zeichentechnik der deutschen Künstlerin Maike Freess, die aus einer schier unerschöpflichen Quelle der Phantasie schöpft, hat eine anziehende, fast schon brutale Kraft.
Es ist nicht mehr das bloße ästhetische Vergnügen, den Betrachter dazu zu drängen, sie anzuschauen. Maike Freess arbeitet mit verschiedenen Medien: Fotografie, Skulptur, Video und Installation.
Doch ihr Hauptgebiet bleibt zweifellos die Malerei, durch diese Verbindung erreicht sie eine Art Hyperrealismus.
Männer, Frauen und Kinder werden in ihrem intimsten Zustand porträtiert, in Räumen, in denen alles gewährt wird, wie in der Schwebe in dem einen irdischen Moment zwischen Wachsein und Schlummern, wo “Schönheit” und “Proportionen” nur Ansatzpunkte sind. In
ihrem zeichnerischen Prozess beginnen sich die Sujets zu verwandeln, als würde etwas Verborgenes und Verdrängtes enthüllt, etwas insgeheim Gewünschtes, das Fiktion und Realität vermischt.
Sie kommt nicht zum Surrealismus, weil ihre Arbeit das Gefühl vermittelt, durch eine Art poetische Vision erzeugt zu werden. Hinter ihren Figuren verbirgt sich eine tiefgründige psychologische Arbeit.
Freess stellt kein spezifisches Thema dar, mehr die Erinnerung an einen Traum, in dem Bewusstes und Unterbewusstes, Subjektives und Universelles zu einer Einheit verschmelzen.
Maike Fress beschreibt als Hauptthema ihrer künstlerischen Forschung das Individuum in seiner unvollkommenen, begrenzten und instabilen Natur, die Beziehung zu sich selbst, zu seiner
Umgebung, zu anderen Menschen und zur Gesellschaft: die Ambiguität der menschlichen Psyche. Arthur Schopenhauer schrieb: “Das Gedächtnis ist kapriziös und bizarr, wie ein junges Mädchen: Jetzt leugnet es unerwartet das, was es hundertmal zugestanden hat, nur um es zurückzugeben, wenn man aufhört, darüber nachzudenken.” In der Reihe “Die Erben – Die Erben” spielt Maike Freess auf genetische Veranlagungen an, auf jene unerwünschten Begabungen, die uns von unseren Vorfahren übertragen wurden, um unseren Lebensweg zu bewältigen. Wir müssen uns unseren Ursprüngen, unseren Vorvätern, bei jeder Veränderung der Umstände stellen, um zu verstehen, wer wir sind und wo unsere Möglichkeiten liegen. Eine kontemplative Arbeit, die uns zu einem genetischen Code zurückbringt, der eng mit unserem inneren Selbst verbunden ist. Marcel Proust sagte: “Wir können alles in unserem Gedächtnis finden: Es ist eine Art Apotheke, ein chemisches Labor, in dem wir zufällig hier ein beruhigendes Medikament oder dort ein gefährliches Gift in die Hände bekommen”. Durch Weisheit und Erfahrung werden wir fähig, aus unserem Unterbewusstsein die richtigen Instrumente zu erhalten, um dem, was vor uns liegt, zu begegnen. Die existentielle Erfahrung wird dank der Erinnerung zum Leben.
„Ein Loch ist immer da, wo etwas nicht ist.“ Kurt Tucholski
Auf phylogenetischer Ebene funktioniert der Mensch, indem er u.a. aus für ihn positiven Elementen seine Motivation schöpft. Negatives, schlechte Erinnerungen werden weggedrückt, zugusten der positiven Begebenheiten, Erinnerungen und Geschichten.
Dies dient vor allem dazu, besser zu leben und zu überleben. Dieser Mechanismus unseres menschlichen Daseins, das Negative zu Gunsten des Positiven zu verschieben, ist fest determiniert. Bewertungen von Dingen und Erlebnissen, für Zurückliegendes, (Historisches) werden insofern korrigiert, repariert, manipuliert. Geschichte zu eliminieren oder zu manipulieren, erweist sich zunächst als eindeutiger Vorteil für das Hier und Jetzt. Damit entsteht allerdings ein proportional falsches Bild.
Der Zustand, den wir im Moment des Ereignisses erleben, hat in der Wirkung und Entfaltung eine ganz andere Qualität als in der Rückschau. So scheint die Chance auf objektive Reflexion kaum möglich. Den Blick auf Erlebtes wiederum bewusst zu korrigieren, zu manipulieren oder auch zu reparieren erschafft einen Kontext, der mit dem beschriebenen Mechanismus noch zusätzlich verschmilzt. Unter diesen Voraussetzungen ist der Gedanke naheliegend, dass jede Erinnerung schon eine Korrektur der Wirklichkeit darstellt. Daraus generiert sich umgekehrt der Wunsch, unsere Erinnerung in der Weise zu korrigieren, dass eine bessere Nähe zur Realität möglich wird.
Der Umgang mit dem ideellen Erbe spielt in diesem Zusasmmenhang ebenso eine bedeutende Rolle: Das Moment der Konfrontation und der Annahme des Erbes, die wachsende Beeinflussung durch Erbe, der Umgang mit demselben, d.h. man kann seiner Prägung sozial und genetisch nicht entrinnen, man kann sich nicht entziehen. Das Erbe kann zur Last, zur Bürde oder auch zum Geschenk werden. Gibt es dabei also die absolute individuelle Freiheit? Natürlich nicht, höchstens eine Annäherung. Eine gewisse Determinierung jedes Einzelnen ist vorgegeben. Theater of Soliloquy verstehe ich als kulminatives Ensemble, als finalen Hybrid. Zeichnungen, größtenteils auf schwarzem Papier zeigen Körperhüllen, Körperfragmente menschlicher Wesen.
Dabei geht es mir keinesfalls um reale Abbilder, sondern ausschließlich um das Dahinter, um unser Innenleben mit allen Besonderheiten, Attitüden, dem Unvollkommenen, Abwegigen im Alltäglichen, Unzulänglichkeiten oder auch gesellschaftlicher Normen.
Mich beschäftigt das menschliche Dasein aus psychologischer Perspektive. Ich suche eine Form psychologische Räume darzustellen, Der ‚gedachte Raum‘ ist meine Basis. Ich will unser ganz persönliches Drama, unser inneres Theater herausstellen. Aufgeladene Innenwelten und Ambiguitäten, Unbeschreibbares, Unsichtbares werden sichtbar gemacht.
Ich operiere mit der Verbindung des “Inneren” und des “Äußeren” sowohl auf materiellerals auch auf psychologischer Ebene. Psychische Räume werden nach außen gestülpt und werden zu konkretisierten, unheimlichen “Innen” räumen.
Ich suche eine Verbindung zwischen “innen” und “außen” sowie einen Übergangsort zu schaffen, wo der mentale und physische Raum miteinander korrelieren und eine neue Realität bilden. Mir geht es um ein existenzielles Prinzip.
Momente des Nicht-Jetzt, psychologische Leerstellen und Leeräume, Wartezeiten auf etwas Neues, auf das Eigentliche, das Besondere interessieren mich dabei. Das Unbewusstsein nimmt hier seinen eigenen Platz ein.
Dabei sind mir alle Mittel der Verzerrung, Übertreibung ins Surreale oder der Mutation recht. Es ist immer das Seltsame, das die Routine in unserem Blick durchbricht.
In meinen Zeichnungen verwende ich schwarze bzw. weiße cut-Elemente. Auch Schnitte, Spalten, Öffnungen, Verletzungen im Papier entstehen. Sie geben den Blick ins Innere frei, bzw. überlagern, trennen oder verschieben ihre Objekte.
Sie stehen für die zweite doppelte Ebene, die permanent präsent sind, die parallel zu unseren Gedanken existiert und nicht benennbar ist. Diese “verborgenen Orte” beschreiben das Ungewisse, das Unbeschreibbare, die Zwischenräume zwischen den realen Dingen.
Diese schwarze oder weißen Schnitte, Risse, Spalten oder Löcher transportiere ich ebenso in den realen Raum als dreidimensionale Zeichnung.
– Raumzeichnungen / architektonische Eingriffe (Cuts):
Nicht ich schneide die cuts, sondern cuts schneiden den Raum. Ähnlich wie auf den Zeichnungen durchqueren schwarze Linien, Spitzen und Kanten auch Wände und Boden. Sie entspringen einer unvorhersehbaren Quelle, um sich dann im Nichts wieder aufzulösen.
Der Organismus “Raum” soll dabei wie in einen künstlichen Tiefschlaf versetzt werden. Präzise Eingriffe sollen den “Kreislauf” stören, rekonstruieren und refigurieren. Diese ‚cuts‘ -Schnitte, Risse, Verletzungen, Dekonstruktionen, Überlagerungen/Überblendungen, Kaschierungen- stehen für das Leere, das Unerkannte, das Unbekannte, das Unvorhersehbare, das uns permanent im Leben kreuzt. Wie schwarze Löcher oder blinde Flecken kennzeichnen sie das, was wir mit Logik nicht verstehen können.
Diese Lücken und Löcher zwischen den Dingen sind letztlich signifikanter als das visuell an einem Ort Anwesende, weil sie die Wahrnehmung immer wieder neu aktivieren.
Maike Freess