Ihre investigativen Recherchen führten die Künstlerin Lisa Glauer in das städtische Grenzgebiet zwischen San Diego und Tijuana. Dort wird derzeit eine Stahlbarriere errichtet, um Menschen, die versuchen zu migrieren, buchstäblich abzuschotten. Die zunehmende Undurchdringlichkeit der Grenze und die hohe Bevölkerungsdichte, sowie die massive industrielle Aktivität in dem Gebiet stören den natürlichen Wasserfluss.
Darüber hinaus wirkt sich die wachsende militärische und industrielle Produktion nachteilig auf die Umwelt und die regionale Bevölkerung aus. Untersuchungen des Scripps Institute zeigen, dass die menschliche Muttermilch in der Region San Diego/Tijuana die am stärksten verunreinigte der Welt ist.
Das Sammeln von menschlicher Muttermilch beleuchtet den Prozess, der zwischen zwei Menschen geschieht; die Milch fließt von einem Individuum zu einem anderen, um dieses zu erhalten und ist dabei unsichtbar. Die Milch an diesem Schnittpunkt aufzugreifen macht sie sichtbar und damit weitgehend öffentlich.
Für Glauer’s experimentelle Zeichnungen mit Milch durchquert sie zwei scheinbar widersprüchliche Bereiche: Die Muttermilch wird benutzt, um technische Zeichnungen zu erstellen. Letztere können als nüchtern und quantifizierbar angesehen werden, während erstere natürlich und amorph ist. Muttermilch bedeutet Liebe, Pflege, Wachstum und Intimität; sie wird durch einen einfühlsamen Prozess erzeugt, bei dem der Körper bereitwillig lernt, Milch als Reaktion auf physische Stimulation durch körperlich abhängige, schutzlose Nachkommen zu produzieren.
Die Arbeit Landing Strip for the Milky Way ist das zentrale Element der Ausstellung und gibt ihr gleichzeitig ihren Namen. Die zwei Schichten Transparenzpapier dieser skulpturalen Installation teilen den würfelförmigen Raum der Galerie diagonal und bilden, ergänzt durch Klammern, Muttermilch, Neonlicht und Holzbalken, den Landing strip for the Milky Way. Die Installation wurde bereits 2017 von Jan Verwoert kuratiert an der Graduiertenschule der Universität der Künste Berlin gezeigt
Eine weitere Arbeit, White Love, umfasst zehn rechteckige Graphit- und Milchzeichnungen von Waffen. Auf weiß gerahmtes Papier aufgetragen und nebeneinander ausgestellt, nehmen sie die geräumigen, hohen Wände der Galerie ein. Sie erinnern an die minimalistischen Konstruktionsobjekte und den von ihnen geschaffenen Raum von Dan Flavin’s Industrieskulpturen.
Aufgrund ihrer natürlichen Beschaffenheit – sie werden mit Milch gezeichnet/gemalt – „verschwinden“ die White Love Bilder. Erst das Bügeln des Materials lässt die Objekte – ein Revolver und einzelne oder versammelte Menschen – hervortreten. Der Gegensatz zwischen dem Unsichtbaren und dem Sichtbargemachten steht in Verbindung mit der ständigen Anwendung von Gewalt in politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Kontexten, sowie deren gelegentlicher Sichtbarkeit in Form von spektakulären und belebenden Einzelaktionen.
Die Verwendung von kontaminierter Muttermilch als Material in Verbindung mit einem Verbrennungsprozess ist der Versuch der Künstlerin, die Aufmerksamkeit auf dringende intersektionale, globale, gesellschaftspolitische und ökologische Fragen zu lenken.