Heimat bedeutet für Jeanno Gaussi Arbeit. Sie muss sich die Orte aneignen, an die es sie verschlägt. Die Dinge zähmen, die ihr begegnen.
Im Alter von vier Jahren floh die Künstlerin mit Verwandten aus Kabul, ihre Mutter traf sie erst Jahre später in Delhi wieder. Der Einsamkeit und Isolation, der Unveränderbarkeit der Umstände, die ihre Kindheit prägten, begegnete Gaussi mit der Errichtung einer komplexen imaginären Welt. Ein Baum im Park, ein medizinisches Skelett in einer chaotischen Wohnung, wurden zu geliebten Freunden, achtlos Weggeworfenes wie verheißungsvolle Schätze gesammelt.
Mit Imaginary Friends greift Gaussi auf diese Fähigkeit, im Unvertrauten Mikroeinheiten des Heimeligen zu schaffen, zurück. Ein Umzug von Berlin nach San Francisco konfrontierte die Künstlerin erneut mit dem Gefühl der Fremdheit und Unsichtbarkeit. Mit Objekten und Materialien, die sie auf den Straßen von Bayview und dem angrenzenden Mission District fand, schuf die eine Gruppe von Figuren, die nun erstmals als Gesamtformation gezeigt werden.
In ihren früheren Arbeiten wie Dreams on Wheels (2015) setze Gaussi sich intensiv mit traditionellen Handwerkstechniken aus Indien und Afghanistan auseinander, um die Suche nach Identität und die damit verbundenen sozialen und kulturellen Prozesse fassbar zu machen. Für Imaginary Friends erlernte sie die Knüpftechnik Makramee, die ursprünglich aus Nordafrika stammt, in der Hippiezeit überaus populär war und nicht nur in Kalifornien aktuell eine Renaissance erlebt.
In akribischer Handarbeit entstanden so sehr persönliche Objekte, die – je nach Blickwinkel – anrührend, tragisch oder humorvoll wirken können. Der Zugang bleibt dabei nicht auf migrantische Erfahrungswelten beschränkt, Gaussis Figuren können ebenso als Kommentar zur Sinnsuche in Überflussgesellschaften gelesen werden indem sie zeigen, dass erst die Beschäftigung mit den Dingen ihnen Wert verleiht.
Imaginary Friends
27. April bis 10. Juni 2017
Leipziger Strasse 47 / Jerusalemer Strasse
10117 Berlin