Von A nach B und wieder zurück.
Hyper-Barock trifft Preussisch-Blau
20 Jahre nach der ersten Zusammenarbeit unter dem Titel Hyperbarock stellen Anna Vonnemann und Bettina Semmer noch einmal ihre großformatige Bilder gegenüber. Der Gegensatz könnte kaum größer sein: auf der einen Seite großformatige Blumenstillleben in altmeisterlicher Technik, auf der anderen gestisch aufgetragenes Dunkelblau mit gelegentlich eingestreuten Landschafts- oder Figurelementen.
Vonnemanns überbordende Blumen lassen auf den ersten Blick an Barock denken, sind jedoch streng durchkonzipiert. Darauf deuten die Symmetrien und Wiederholungen, die den malerischen Duktus analysieren und die Fähigkeit der menschlichen Hand unter Beweis stellen, ein maschinengleiches Abbild zu erzeugen. Dazu muss der malerische Duktus sich zurückhalten, wie es üblich war, bevor die Allaprima-Malerei sich durchgesetzt hat.Die Sinnlichkeit der Blumenpracht, die unsere Herzen erfreut und die Stimmung in jedem Raum aufzuhellen vermag, steht im Gegensatz zu dieser konzeptuellen, analytischen Strenge. Sorgfältige Rapporttechnik auf vielen Leinwänden oder die Spiegelung im neuesten Werk lassen Rosen zum Klischee werden und doch: wir kommen nicht umhin, ihre vergängliche Schönheit zu bewundern.
Überbordend sind auch die blauen Flächen von Bettina Semmer, die jedoch im Gegensatz zu Vonnemann jede mögliche Bewegung der Hand und des Zufalls in sich tragen: ihre Programmatik ist das Unendliche, sowohl des Raumes als auch der Möglichkeiten. Die Bilder greifen bewusst nicht auf keinerlei Stilistik zurück, sind mal abstrakt, mal figürlich. Man fällt quasi ins Ungewisse wie in eine tiefe See oder in den Deep Space hinein; nur die Körperdrucke halten uns im Hier und Jetzt fest, erinnern uns an unsere fragile menschliche Existenz. Das tiefblaue Universum ist ebenfalls an den Barock gebunden: Preussich Blau, auch als Berliner Blau (und Varianten als Milori und Pariser Blau) gehandelt, wurde im Jahr 1709 in Berlin durch Zufall erzeugt. Fortan ersetzte das erste chemisch hergestellte Pigment als günstig herzustellende Farbe teure Farbstoffe wie Ultramarin. Semmer begann die Preussisch Blau-Serie, als mit dem Krieg in der Ukraine das atomare Säbelrasseln lauter wurde. Das Pigment kann nämlich radioaktives Caesium im Körper binden. So wurde der Körper zum Pinsel, die preussischblauen Drucke entstanden. Eine WEiterentwicklung der chemischen Verbindung führte zur Cyanotypie und zur Entwicklung des Giftgases Zyklon-B.
Folglich sind die Serien von Vonnemann und von Semmer auf ihre jeweilige Art ein Memento Mori und eine Feier des Lebens angesichts tödlicher Bedrohungen.