Wem gehören Lebensgeschichten und wer darf sie wie erzählen? Diese Frage zieht sich als roter Faden durch die in dieser Ausstellung zusammengeführten Graphic Novels gelebt von Patricia Vester, Luchadoras – Kämpferinnen von Paola Reyes und Steffi Wassermann sowie Widerstand – Drei Generationen antikolonialer Protest in Kamerun des Vereins Perspektivwechsel. Gegen den Strich beleuchtet die in den grafischen Erzählungen aufgezeigten Perspektiven des antikolonialen Erinnerns und Widerstands.
gelebt – Das kurze Leben der Bililee Ajamé Machbuba“
Die Graphic Novel gelebt von Patricia Vester erzählt die Geschichte von Bilillee Ajamé Machbuba. Sie zeigt auf, wie die gewaltsam verschleppte Bilillee von dem preußischen Fürsten Pückler in eine gewaltdominierte Beziehung gezwungen wurde, deren brutale Realität und Unrechtsmatrix bis heute romantisch verklärt dargestellt wird. Aus der Perspektive einer betroffenen Schwester und Trauernden wird die postkoloniale Verstrickung und Geschichtsverzerrung grafisch aufgearbeitet.
gefunden – Intervention und Wandmalaktion
Patricia Vester präsentiert im Rahmen der Ausstellung die Wandmalaktion gefunden. Die Aktion erweitert das Wandgemälde der Verschwundenen im Hof des Haus Schwarzenberg, Sitz der Galerie neurotitan, um die Portraits von zu Kolonialzeiten verschleppten Kindern. Diese Kinder hat sie auf Gemälden im Archiv der preußischen Schlösser und Gärten gefunden. Um ihre Geschichten zu dekolonisieren, löst sie sie symbolisch aus den Goldrahmen, in denen ihre Geschichten bis heute sozusagen feststecken, und fügt sie als zu Kolonialzeiten gewaltsam Verschwundene dem Wandbild im Hof des Haus Schwarzenberg hinzu. Zusätzlich wird das Gemälde „Parade unter den Linden“ (1839), auf dem eines der Kinder als Diener am preußischen Hof dargestellt ist, partizipativ neu kontextualisiert. Diese Intervention thematisiert die Verschleppung von Kindern an den preußischen Hof und verlagert den Diskurs über koloniale Geschichte in den öffentlichen Raum.
Patricia Vester
Patricia Vester, geboren in Potsdam, ist Künstlerin, Illustratorin, Autorin, Diversity Trainerin und Aktivistin für BIPoC (Black, Indigenous People of Colour). Sie konzipiert rassismuskritische Bildungskonzepte und engagiert sich für ein dekoloniales Lernen. Ihre Arbeiten unterstützen Schwarze Gemeinschaften und sozialpolitische Projekte und zielen darauf ab, marginalisierte Perspektiven sichtbar zu machen.
Luchadoras
Die Graphic Novel „Luchadoras – Kämpferinnen“ von Paola Reyes und Steffi Wassermann begleitet den Lebensweg von zwei Aktivistinnen aus Kolumbien und Honduras. Die Ausstellung stellt die Kämpfe einer der Protagonistinnen ins Zentrum: Melissa Martínez lebt auf Roatán, einer Insel vor der honduranischen Karibikküste. Tourist*innen aus dem Globalen Norden verbringen hier ihren Urlaub und genießen die weißen Sandstrände und teuren Ferienressorts. Melissas Leben ist geprägt vom Kampf um die Rechte der afro-indigenen Garífuna. Gemeinsam kämpfen sie gegen den Raub ihres angestammten Landes, für ein selbstbestimmtes Leben und gegen das Verschwinden. Denn die Kultur der Garífuna droht zu verschwinden und mit ihr Menschen, die sich für die Rechte der Gemeinschaft einsetzen.
Paola Reyes
Paola Reyes, in Honduras geboren und in Berlin lebend, engagiert sich in sozialen Bewegungen und Projekten zur Menschen-, Kultur- und Umweltrechtserhaltung.
Steffi Wassermann
Steffi Wassermann, Projektkoordinatorin für das FDCL, Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika e.V., ist Journalistin und Aktivistin, die sich für die Vermittlung von Kämpfen gegen Kolonialismus und Unterdrückung einsetzt.
Widerstand – Drei Generationen antikolonialer Protest in Kamerun
Die Graphic Novel Widerstand – Drei Generationen antikolonialer Protest in Kamerun des Vereins Perspektivwechsel beleuchtet den Widerstand gegen koloniale Unterdrückung in Kamerun über drei Generationen. Die Graphic Novel macht verloren geglaubte Widerstandsgeschichten sichtbar und zeigt eindrücklich: „Die Gestaltung des öffentlichen Raums muss mit der Gestaltung des öffentlichen Bewusstseins anfangen. Den Autor*innen ist es gelungen, dem seit dem 19. Jahrhundert andauernden Widerstand in Kamerun ein würdiges Denkmal zu setzen.“ (Sharon Dodua Otoo, 2024)
Zeichner
Franky Mindja
Franky Mindja, bürgerlich Frank Edgard Mindja Mengouana, wurde 1994 in Yaoundé geboren. Nach einem Studium an der Kunsthochschule Institut de Formation Artistique (IFA) in Mbalmayo arbeitet er als Illustrator und Comic-Zeichner. Seine Arbeiten wurden unter anderem in Florenz ausgestellt.
Negro Illustrator
Negro Illustrator, bürgerlich Daniel Assako, wurde 1988 in Ebolowa geboren. Er begann 2008 professionell zu zeichnen und arbeitet seitdem in verschiedenen Bereichen wie Werbefilmen und Trickfilmen. 2017 war er am Film „Minga et la cuillère cassée“ beteiligt.
KÜNSTLER*INNEN und AUTOR*INNEN
Patricia Vester | Paola Reyes | Steffi Wassermann | Franky Mindja | Negro Illustrator
Verein Perspektivwechsel | Hilaire Djoko
AUSSTELLUNGSPROGRAMM
17.08. – 18 Uhr
Ausstellungseröffnung
Ausstellungseröffnung mit allen Beteiligten. Bei Getränken und Musik freuen wir uns, über die Ausstellung ins Gespräch zu kommen.
30.08. – Internationaler Tag der Opfer des Verschwindenlassens
– 10-18 Uhr
Wandmalaktion „Gefunden“
Patricia Vester erweitert das Wandgemälde der Verschwundenen im Hof des Neurotitan. Die Künstlerin ist bei der Veranstaltung Bis wir sie finden! anwesend und freut sich über Gespräche und Fragen.
– 19 bis 22 Uhr
Gedenken zum Internationalen Tag der Opfer des Verschwindenlassens
Bis wir sie finden! – Gedenken an gewaltsam Verschwundene in Kolumbien und die kollektiven Kämpfe der Betroffenen. Mit thematischen Inputs, audiovisuellem Material, kolumbianischen Arepas und Musik.
04.09. – 18 bis 19:30 Uhr
„Luchadoras – Kämpferinnen“, Graphic Novel-Lesung
„Luchadoras – Kämpferinnen“, Graphic Novel-Lesung mit den Autorinnen und Melissa Martínez (online Zuschaltung). Veranstaltung auf Spanisch und Deutsch, Verdolmetschung wird angeboten.
07.09. – 14 bis 18 Uhr
Tag des offenen Denkmals
Hilaire Djoko, Co-Autor der Graphic Novel Widerstand – Drei Generationen antikolonialer Protest in Kamerun wird vor Ort sein und Fragen zum Buch sowie zum antikolonialen Erinnern in Kamerun beantworten.
Schulworkshops
Im Rahmen der Ausstellung werden Schulworkshops angeboten. Interessierte Schulklassen und Lehrpersonal können sich für Terminvereinbarungen direkt bei uns melden. Weitere Infos unter: neurotitan.de
Barrierefreiheit: Ausstellungsräume mit Fahrstuhl erreichbar. Dafür bitte am Eingang anmelden, barrierefreie Toiletten im Vorderhaus (Mo-So 10:00 – 18:00 Uhr)