Persons Projects | Helsinki School freut sich, Niko Luomas Einzelausstellung “For Each Minute, Sixty-Five Seconds” zu präsentieren. Die Auswahl an Arbeiten seiner Adaptations-Serie zeigen seine Faszination für Neuinterpretation von Werken aus der Kunstgeschichte, die entweder ihn selbst oder unser kollektives Verständnis von Kunst beeinflusst haben. Luomas umfangreiche, gleichnamige Publikation mit dem Hatje Cantz Verlag wird zum selben Zeitpunkt präsentiert, was Anlass ist, die “Adaptations” erstmalig zusammen mit seinen unzähligen und zuvor noch nie ausgestellten Zeichnungen und Skizzen zu zeigen.
Niko Luoma ist Vorreiter im Bereich der fotografischen Abstraktion und eine Schlüsselfigur der Helsinki School Bewegung. Sorgfältig arbeitet er mit dem analogen Prozess, sodass seine geometrischen Kompositionen keiner weiteren digitalen Manipulation bedürfen. Seine Herangehensweise ist methodisch und Bildkompositionen sind sorgfältig geplant, dennoch kann er sich dem endgültigen Ergebnis nie sicher sein, bis es gedruckt wird. Luomas Fotografien finden ihre kontextuellen Wurzeln darin, wie er Einflüsse des Kubismus und Konstruktivismus kombiniert, um daraus seinen eigenen Abstraktionsstil zu entwickeln. Er bricht mit gängigen Wahrnehmungs- und Interpretationsweisen und schafft so seine eigene visuelle Sprache mit den Mitteln der Fotografie.
Der Titel “For Each Minute, Sixty-Five Seconds” spielt eine zentrale Rolle in der Ausstellung, angelehnt an die Vorstellung von Licht, das auf die Oberfläche eines Fotofilms trifft. Zeit steht in Luomas Vorgehen nicht für Geschwindigkeit, sondern für Dauer, denn die ist notwendig, damit der Film das Licht absorbieren kann, dem Luoma ihn immer wieder aussetzt. Der sich wiederholende Prozess, das gleiche Negativ immer wieder zu nutzen, um eine Auswahl gefilterten Lichts zu sammeln, macht es ihm möglich, Licht zu formen und damit den Raum zu füllen. Sein Fokus liegt eher darauf, was sich im Inneren der Kamera abspielt als auf dem, was vor ihr passiert.
In der Werkauswahl zeigt sich Luomas Begeisterung für den Kubismus: Angefangen mit “Les Demoiselles d’Avignon” (1907) von Pablo Picasso, über Jacques-Louis Davids Meisterwerk “La mort de Socrate” (1787), William Turners wegweisenden, lichtgefluteten Werke der 1820er Jahre, bis hin zu den ikonischen Swimmingpool-Gemälden von David Hockney aus den 1960er Jahren. Auch Hockney wirft eine kubistische Sichtweise auf, die jener gleicht, die Picasso vor über hundert Jahren populär machte. Luomas Adaptations sind nicht als direkte Interpretationen zu verstehen, vielmehr als Erweiterungen der Wahrnehmung dieser Werke. „Ich wähle die Werke anhand ihrer formalen Qualitäten aus und danach wie diese zu mir sprechen: Die Ausrichtung der Linien sowie die darin enthaltenen Elemente sind essenziell“, so Luoma. Er analysiert die ausgewählten Kunstwerke und fertigt Skizzen an, in denen er das Bild entsprechend seiner Perspektivlinien und Kontrapunkte aufteilt. Dabei entsteht eine potenziell willkürliche Reihe geometrischer Figuren. Luomas Kompositionen werden durch ein lineares Raster zusammengehalten und folgen der vertikal-horizontalen Ausrichtung gerader Linien und reiner Spektralfarben. Adaptations spielt mit der Wahrnehmung der Betrachtenden und fordert unsere Fähigkeit zum Wiedererkennen heraus, wenn wir in diesen von der Kunstgeschichte inspirierten, farbigen Fotografien finden sollen, was uns bekannt erscheint.
Niko Luoma abstrahiert Gemälde, indem er lediglich den Spuren des Originalbildes folgt, die Realität auf ihre reinste, grundlegendste Struktur reduziert und so konventionelle Darstellungsformen in Frage stellt. Er nutzt Wiederholungen und Überschneidungen, um Bilder auf einzelne Formen herunterzubrechen, sie neu anzuordnen und so das ursprüngliche Bild zu dekonstruieren. So macht er nicht nur auf die Zweidimensionalität des fotografischen Mediums aufmerksam, wenn er die tradierte Perspektive der Post-Renaissance hinter sich lässt und alle Elemente physischer Realität ausschließt, sondern legt ein zusätzliches Augenmerk auf die Verwendung von Primärfarben: Er erkundet ein Spektrum von Farbtönen und untersucht komplexe Geometrien, die passgenau zusammen- und übereinandergelegt werden, um ein dynamisches Wechselspiel zwischen Oberfläche und Tiefe der Fotografie zu kreieren. Die Betrachtenden werden einem üppigen Feld geometrischer Farben und Muster überlassen.
Und doch abstrahiert Luoma nicht nur den sichtbaren Inhalt des Originals, sondern ebenso die Emotionen, die mit diesem assoziiert werden. In “Self-Titled Adaptation of Study of Henrietta Moraes (1969)” von 2019, basierend auf Francis Bacons Gemälde, ist die Fotografie so expressiv, dass sie sich wie Teil einer musikalischen Bewegung anfühlt. Luomas Fotografien strahlen die Transluzenz eines vielschichtigen Gemäldes aus, das sich in einem eigenen musikalischen Rhythmus bewegt. Luoma nähert sich seinem Werk wie ein Maler, erfühlt es jedoch vielmehr wie ein Musiker – fast könnte man meinen in seinen Arbeiten Eigenschaften des Jazz zu erkennen: „Zuerst komponierst du ein Thema, dann gehst du zur Improvisation und dem Unbekannten über, und schließlich wieder zurück zum Thema, um den Auftritt abzuschließen.“
Niko Luoma wurde 1970 in Helsinki geboren, lebt und arbeitet zwischen Helsinki und Triest, Italien. Nach seinem Studium an der School of the Museum of Fine Arts, Boston (1998) und der New England School of Photography, Boston (1995), beendete Luoma 2003 seine Studien an der Aalto University School of Arts, Design and Architecture, wo er seither unterrichtet. Seine Arbeiten wurden weltweit ausgestellt, unter anderem im Museum Weserburg, Bremen; Borusan Contemporary, Istanbul; EMMA Museum, Espoo; Landskrona Museum, Landskrona; The Stenersen Museum, Oslo oder dem Finnish Museum of Photography, Helsinki. Er ist in zahlreichen internationalen Sammlungen vertreten, wie bei Borusan Contemporary, der Miettinen Collection oder der Sammlung der Europäischen Zentralbank.