Valentina Murabito – La donna del mare
Valentina Murabito entführt bei 68projects by KORNFELD in eine faszinierende Welt, in der Mythologie, Natur und Fotografie auf außergewöhnliche Weise verschmelzen.
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space notation II – Eine Gemäldekollektion von Bernhard Paul
von Alexander F. Müller (2022)
Wenn man die Worte Space und Notation auf sich wirken lässt, so denkt man zunächst einmal an den Raum, vielleicht sogar den unendlichen Welt-Raum und dann an den Versuch diesen zu notieren, festzuhalten, quasi den Versuch Raum zu definieren.
Tatsächlich stammt der Begriff allerdings aus der Neuen Musik, der klassischen Musik der Nachkriegszeit. Damals in den 50ern und 60ern, versuchten Komponisten sich mit allen Mitteln von den Vorkriegstraditionen zu verabschieden. Gerade deutsche KomponistInnen und KünstlerInnen die unter dem Trauma der „entarteten Kunst“ gelitten hatten, wollten nun endlich aus den steifen akademischen Gepflogenheiten ausbrechen.
Die Space Notation stellt einen solchen Versuch dar. Ein klassisches Notenbild besteht aus Tonhöhen, Tonwerten, Vorzeichen etc., die alle fein und übersichtlich in Takten angeordnet sind. Seine Intention ist es, ein Stück so genau wie möglich mithilfe dieser Parameter zu bestimmen, um eine möglichst exakte Aufführung durch den/die Interpreten/in zu gewährleisten. Dieses enge Geschirr wurde von vielen KomponistInnen beinahe wie eine der Partitur inhärente Diktatur empfunden und so experimentierten viele mit einer Mischform zwischen freier Improvisation und der Festlegung zumindest einer zeitlichen oder räumlichen Abfolge von Ereignissen. Hier kommt die Space Notation ins Spiel: sie steckt mithilfe von bestimmten Zeichen und einem Zeitstrahl einen Raum ab und lässt dem Interpreten den Freiraum, wann er innerhalb dieses Zeitfensters seinen Klang spielt. Wer solche Partituren gesehen hat, stellt schnell fest, dass sie stark Zeichnungen oder graphischen Malereien ähneln.
Der Maler Bernhard Paul ist dafür bekannt, dass er sich von Werken der Neuen Musik und auch der zeitgenössischen Musik inspirieren lässt. So hat er bereits Gemälde zu Kompositionen von Steve Reich, John Cage, Wolfgang von Schweinitz, Georg Friedrich Haas und vielen anderen geschaffen. Für die Kollektion „space notation II“ präsentiert er Bilder aus den Serien „agens“ und „prelude“.
Die breit angelegte Serie „agens“ interpretiert er die Musik des deutschen Komponisten Heinz Winbeck (1946-2019). Interessanterweise ist Heinz Winbeck nicht dafür bekannt mit der bereits genannten Space Notation experimentiert zu haben. Man zählt ihn zu einer Gruppe von Komponisten, die sich in den Nachkriegsjahren der „Neuen Einfachheit“, einer Bewegung entgegen der zunehmenden Komplexität der musikalischen Parameter hin zu einer progressiven, aber schlichten Klangsprache, verschrieben hatten. Diese Musik lebt von langgezogenen flächigen Momenten, die bisweilen kräftige Klangausbrüche präsentiert, stets aber in breiten und lebendigen Farben denkt.
Bernhard Paul übersetzt diese Klangflächen in visuelle Flächen: Farbtupfer, die er nach dem Auftragen geradezu akribisch miteinander verwischt, so dass von ihnen nur noch ein Hauch der ursprünglichen Farbkraft übrig bleibt, lassen eine gespenstisch ausgewaschene Farblandschaft entstehen. Die Verwischungen hinterlassen dabei leichte vertikale wie horizontale Konturen und bieten dem betrachtenden Auge elegante Akzente, die die ansonsten homogene Fläche verstecken würde. Paul folgt dabei ähnlich Winbecks „Neuer Einfachheit“ stets einem dezenten Farbkatalog, der selten mehr als fünf Farbtöne beinhaltet. So erreichen seine Bilder eine äußerlich optische Ruhe und stecken dennoch voller treibender Lebendigkeit.
Die Serie „agens“ (lat.: die antreibende Kraft) unterteilt sich in zwei Gruppen: die bereits beschriebene Technik nennt der Künstler „agens silent“, gleichzusetzen mit etwa „stillem Drängen“. Eine weitere nennt sich „agens particular“, hier erweitert Bernhard Paul die „agens silent“-Technik indem er auf die genannte Weise Flächen komponiert, die dann durch abschließend vereinzelte Pinselstriche veredelt werden. Die Wirkung ist phänomenal: der ausgewaschene feinflächige Hintergrund und die nun nachträglich hinzugefügten Farbpartikel stehen für zwei völlig verschiedene Dimensionen: es scheint, als sitze man in einem Zug und beobachte Regentropfen auf einer Fensterscheibe, während im Hintergrund die vorbeirasende Landschaft verschwimmt. Hier versteht man, wie Paul „Space Notation“ denkt: er definiert zwei völlig unterschiedliche Räume – das Innen und das Außen. Was bei Winbeck äußerlich wie eine von langen Tönen gestreckte Klangfläche operiert, entpuppt sich beim genauen Hinhören als eine von wilden Tonkaskaden flirrende Farbeinheit vieler Instrumente. Bei Bernhard Paul sind es die inneren lebendigen Verwischungen die dennoch als Fläche fungieren und nun mit äußerlich aufgetragenen einzelnen Farbmomenten, dem Raum eine weitere Dimension verleihen.
Die Ausstellung „space notation II“ beinhaltet auch Bilder einer weiteren Geschwisterserie mit dem Titel „prelude“ und „interlude“. Hierfür steht die Musik der amerikanischen Harfenistin Zeena Parkins (*1956) und des ebenfalls amerikanischen Komponisten John Cage (1912-1992) Modell.
Beide ähneln sich in ihrem Ansatz von Komposition und Improvisation indem Cage bei seinen Stücken für präpariertes Klavier tatsächlich mit Space Notation arbeitet und dem/der Pianisten/in den Freiraum lässt wann er/sie bestimmte Klänge spielt. Parkins ist für ihre breit gefächerten Improvisationen bekannt, bei der sie ihre Harfe auf ganz ähnliche Weise wie Cage (z.B. mit Gläsern, Filz, Nägeln u.a.) präpariert und mithilfe von elektronischen Effekten eine ätherische Klangwelt erzeugt. Der entscheidende Aspekt hierbei ist, dass beide den Nachhall, sei es den der angezupften Harfensaite oder der angeschlagenen Klaviersaite, bewusst manipulieren. Ein Klang wird also wie ein Farbton in den Raum gesetzt und im Anschluss durch entweder elektronische Verfremdung oder einen resonierenden Gegenstand eingetrübt.
Bernhard Paul greift diese Idee bei „prelude“ und „interlude“ in Verbindung mit seiner Verwischungstechnik aus der „agens“-Serie auf. Bei „prelude“ setzt er auf klare vertikale Farbstreifen, die er dann durch gezieltes horizontales Verreiben gleich einer nachträglichen Entfremdung eintrübt. Es entsteht ein scheinbar dreidimensionales Wellenrelief von anmutiger Dynamik, das den präparierten Klängen von Zeena Parkins‘ Harfe sehr nahe kommt.
Einen Schritt weiter geht Paul in der „interlude“-Reihe: hier nimmt er ein solches Wellenrelief und addiert nun eine weitere Schicht aus einer horizontalen Kette von Farbtupfern, die wie die Anschläge eines Klaviers zunächst deutlich miteinander verknüpft sind und die dann vertikal nach unten ausbleichen und im farbigen Nachhall verschmelzen. Es entsteht wiederum der räumliche Effekt des Innen und Außen, den der Künstler bereits in „agens particular“ entwickelt hat. Besonders deutlich wird bei der „interlude“-Reihe der Kontrast zwischen horizontalem und vertikalem Verwischen, was die mehrdimensionale Idee noch klarer zum Vorschein bringt.
Bernhard Paul gelingt es dank dieser ausgefeilten Techniken visuelle Räume entstehen zu lassen, die gleichermaßen koexistieren können ohne dabei miteinander in Konkurrenz zu treten und die dennoch sichtbar getrennte Einheiten definieren. Ganz intuitiv fängt er den Klang seiner musikalischen Vorlagen ein, um ihn dann wie die Präparation eines Instruments durch einen nachträglich eingetrübten Farbhall verschwimmen zu lassen. Das Symmetrische, Geordnete, die „Taktstriche“ verbleichen somit zu Hologrammen und lassen eine fast frei improvisierte Landschaft von fesselnder Intensität zurück.
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