Die Ausstellung beleuchtet die Scherben vom eigenen Haushalt bis hin zur deutschen Geschichte und fragt, wie Scherben mit positiver oder negativer Symbolik verbunden sind: Was machen Scherben mit dem Glück? Können Scherben unser Leben beeinflussen? Macht es glücklich, etwas zu zerschlagen? Oder etwas zu reparieren? Können Scherben böse Geister vertreiben? Stehen Scherben für das Ende oder einen Neuanfang?
Künstlerische Positionen
Cornelia Renz
Ausgangspunkt für die Arbeit ‚Salon L. Faig, Jerusalem‘ ist das Foto einer Jugendfreundin ihrer Großmutter in Palästinensischer Tracht, dieses führte zu einer Recherche zu den engen Verbindungen der deutschen Templer- gemeinschaft im Britischen Mandatsgebiet Palästina zur NSDAP. Die Recherche-Ergebnisse können die Betrachter*innen lesen,
unter Trockenhauben und auf Frisörsalon-Mobiliar der Zeit sitzend, während sie sich im Spiegel reflektieren.
Aiga Müller
(1944–2011) war 1993–2002 Mitglied im Verein der Berliner Künstlerinnen 1867. Aiga Müller verstand sich als Malerin, ihre Gemälde, setzen sich wie ein Patchwork aus mehreren Bildflächen mit unterschiedlichen Motiven zusammen. Doch ihre charakteristischsten Arbeiten sind die so genannten Scherbenobjekte: Skulpturen, Büsten und Reliefs mit mosaikartigen Oberflächen aus Scherben und Fundstücken wie Keramik, Glas, aber auch aus Muscheln und Knöpfen. Das Material, „Reste des Alltags“, sammelte und grub Müller an ihren geheim- gehaltenen Fundorten um Berlin aus. Einzelne Fundstücke präsentierte sie zuweilen auf neutralem Untergrund als Ergebnisse ihrer Ausgrabungen. Sie bezeichnete sich selbst als Schatzsucherin und als „Archäologin der Gegenwart“. (Text nach Friederike Berger)
Lioba von den Driesch
‚O Tod, du dunkler Meister, zerbeiss mir nicht wie Glas das Hirn‘ 1980/2023 Dieses Zitat aus H.C. Artmanns Gedicht: O Tod Du dunkler Meister” war mein Mantra im Kampf gegen die Magersucht. Artmanns Gedicht ist eine große Beschwörung des Gottes “Tod”, ein Totentanz. Die Hirn-marternden Gedanken- schleifen und die rauschhafte Euphorie und Todessehnsucht der Magersucht finden unter diesem großen Schirm sicher Platz, auch wenn sie eher aus Angst vor dem Leben, als vor dem Tod gemacht sind.
Lena Guimont
Einige Menschen glauben an Symbolik, andere nicht. Ich interpretiere das Bild als Wachstum oder Neuanfang. Die Doppelbelichtung symbolisiert den Mut, neuen Lebenslagen in die Augen zu schauen.
Rachel Kohn
Die Arbeiten von Rachel Kohn bewegen sich oft zwischen verschiedenen Möglichkeiten der Perzeption. Auf den ersten Blick scheint es sich um harmlos unbeschwerte Situationen zu handeln, die sie in Szene setzt, doch bei näherer Betrachtung gibt es oft einen Kipppunkt, der das Bild ganz anders lesbar macht. Im inneren Kreis der sich fröhlich drehenden Arbeit „Karussell“ befindet sich ein Scherbenmeer, in das man lieber nicht hineinfallen sollte.
Eine kahlköpfige weibliche Figur hält eine Spiegelscherbe in den Händen und sieht sich an, während eine andere eine Schüssel mit schmutzigem Geschirr vor sich hält, das ihr jederzeit aus den Händen und zu Boden fallen könnte.
Daniela Fromberg
Die Arbeit ohne Titel besteht aus einem Insektenkasten, in dem sich zarte Porzellanscherben übereinander schichten. Sie erinnern an natürliche Strukturen wie Blätter oder Kokons und sind erkennbar als Fragmente einer größeren Abformung. Im schützenden Schaukasten entfalten sie ein wesenhaftes Dasein.
Fides Becker
Eine zerbrochene Tasse, Scherben auf dem gefliesten Boden…
Eine Bildtafel mit dem Titel „Wut“ aus der Serie „Die sieben Todsünden“. Allegorie ohne Figur. Ein Widerspruch in sich. Gegenstände als Metapher für menschliche Gefühle. Wut als Erregungszustand, Aggression. Nicht das Gefühl selbst kommt zum Ausdruck, sondern das
Resultat als eine sorgfältige inszenierte Handlung. Auch die Wut selbst ist ein Resultat, sie stammt aus Frustration. Wut ist zerstörerisch. Sprichwörter und Aberglaube: Die Kausalität soziokulturell konnotierter Annahmen lässt sich empirisch nicht nachweisen. Malerei als empirische, kulturanthropologische Forschung.
Susanne Ahner
Impact (Glück) 2013/2023
Welche Energie ist erforderlich, um etwas zu zerbrechen? Was hält Dinge (oder Menschen) zusammen? Ist Glück vielleicht „nur“ die Fähigkeit, eine Situation anzunehmen und damit weiter zu gehen, statt mit großer Energie Vergangenes zu bewahren, oder Zerbrochenes zu kitten? Hat das Kitten von Scherben überhaupt Auswirkungen auf das Glück?
Die japanische Kintsugi-Technik verspricht genau das…
Wie in einer Explosionszeichnung werden die Scherben der Dinge auf Tabletts arrangiert. In der Vorstellung entsteht ein Bild der Energie, vielleicht ein Bild des Ganzen – etwas Neues, vielleicht eine eigene Erinnerung, eine Geschichte…
Anja Teske
Momente der Ekstase
Bei diesen Fotografien sieht man nicht, was passiert ist. Aber man spürt, dass etwas passiert sein muss. Fotografien mit Personen in ihrer Küche, als sie Geschirr zerschlagen haben. Es entstehen Bewegungen, die nicht geplant sind und den Moment der Emotionen festhalten.
In Gesichtern und Körperhaltung zeigen sich Empfindungen vom Erschrecken bis zur Überraschung und Erleichterung. Manchmal auch eine Ambivalenz zwischen Schreck und Befreiung. Durch das Zerschmeißen erlebt die Person einen Verlust, aber gleichzeitig ist sie auch befreit von den Dingen, die jetzt weg sind. Es ist, als werfen sie einen Teil ihrer Geschichte hinter sich, wie in der griechischen Tradition, wo bei Festen die schlechten Geister vertrieben werden. Energie wird freigesetzt. Die Modelle sind erst skeptisch, entdecken den Spaß und dann wird es zum Tanz.
Ausstellung: Bringen Scherben Glück?
1. Oktober 2023 – 12. November 2023
Verein der Berliner Künstlerinnen 1867