Seit Anbeginn seiner Laufbahn als Künstler befasste Alexander Iskin sich mit Transformationen – Metamorphosen und Wandlungen – sowie mit verschiedenen Wirklichkeiten (d.h. der physischen und der virtuellen Realität). Den Raum zwischen diesen nannte Iskin Interrealität, seine darauf gründende Kunstrichtung Interrealismus.
In seiner siebten Ausstellung bei SEXAUER bringt Iskin nun zusätzlich zur virtuellen und physischen Realität die Welt der Spiritualität und der Geister in seine Malerei. In den letzten Jahren verschmolz die digitale Welt zunehmend mit der physischen. Diese zunehmende Verschmelzung weckte bei Iskin Assoziationen zu spiritistischen Schriften des 19. Jahrhunderts.
2022 arbeitete Iskin als Pollock-Krasner-Stipendiat in New York. Dort machte er Bekanntschaft mit der spiritistischen Lehre des Pestalozzi-Schülers Hippolyte Léon Denizard Rivail, besser bekannt als Allan Kardec. 1857 veröffentlichte dieser sein „Buch der Geister“. Kardec postulierte neben der physischen Welt eine Welt der Multidimensionalität und der Geister. Diese könnten sich, so Kardec, als Seelen inkarnieren und zwischen den Dimensionen wandern (Metempsychose).
In USE THE EXIT AS AN ENTRANCE entfaltet sich Iskins Interrealismus zu einer Erkundung dreier Dimensionen: der materiellen, der virtuellen und der spirituellen, verwoben mit Erzählungen aus mesopotamischen, hinduistischen und jüdischen Mythen sowie Familienerzählungen.
Und um die Pointe vorwegzunehmen: Die künstlerische Multidimensionalität der Ausstellung zwischen Physis und Spirituellem, verbunden mit Mythen, dient Iskin als Versuch, einen geschützten Raum zu finden jenseits aller Gegensätze, Antagonismen, Dichotomien, Freund-Feind-Schemata und Schwarz-Weiß-Bilder der aktuellen, emotional aufgeladenen Diskurse. Dabei ist Iskins Suche nach Pluralität, Licht und Hoffnung immer auch verwoben mit seiner Biografie und Familiengeschichte.
Alexander Iskin war zwei Jahre alt, als seine Eltern in den neunziger Jahren als jüdische Kontingentflüchtlinge von Moskau nach Deutschland übersiedelten. Sein Großvater mütterlicherseits wiederum war während des zweiten Weltkriegs vor den Deutschen aus der Ukraine (Cherson) nach Moskau geflohen, sein Großvater väterlicherseits von Litauen (Vilnius) nach Russland, seine Großmutter mütterlicherseits aus Charkiv (Ukraine), ebenfalls vor den Deutschen. So wurde Deutschland innerhalb zweier Generationen vom Fluchtgrund zum Zufluchtsort. USE THE EXIT AS AN ENTRANCE.
In den letzten Jahren arbeitete Iskin an den unterschiedlichsten Orten. Jeder Ort prägte auch die jeweilige Werkserie, an der Iskin arbeitete. In seinem letzten Atelier in München arbeitete Iskin direkt in der Leopoldstraße, der boulevardartigen Verlängerung der Prachtstraße Ludwigs I. In seinem Atelier hatte Anfang des vergangenen Jahrhunderts bereits die Münchner Bohème gefeiert. Feuchtwanger, George, Fanny zu Reventlow oder auch Franz Marc, auf Einladung des Schriftstellers und Übersetzers Karl Wolfskehl.
Der Ausstellungstitel USE THE EXIT AS AN ENTRANCE spiegelt Iskins vielfältige Arbeitswelten wider und ermutigt dazu, nicht nostalgisch auf das Vergangene zu blicken, sondern offen auf das Kommende zu schauen und die Zukunft positiv zu gestalten. Ein wenig scheint im Ausstellungstitel auch Nietzsches Gedanke der Ewigen Wiederkunft anzuklingen, letztlich basierend auf einem zyklischen Denken, das bereits vor Entstehung der abrahamitischen, monotheistischen, linear-historischen und exklusiven Religionen in einer polytheistischen und animistischen Welt bestanden hatte. In diesem zyklischen Denken wird keine Erlösung (von außen) erwartet, vielmehr muss ein jeder immer wieder einen neuen Ausgang als Eingang für sich finden. Aussteigen gilt nicht. Jedem Ende wohnt ein Anfang inne.
Übrigens:
Als Iskin Anfang des Jahres 2024 die Retrospektive von Marina Abramović in der Royal Academy in London besuchte, bat ihn abends ein Wachmann, das Gebäude zu verlassen und erklärte: YOU CAN USE THE ENTRANCE AS AN EXIT. Iskin wäre gerne noch geblieben. So wurde er gezwungen, das Gebäude zu verlassen, aber er verwandelte die Aufforderung zum Austritt in den Titel seiner Ausstellung – USE THE EXIT AS AN ENTRANCE.
Alexander Iskin “USE THE EXIT AS AN ENTRANCE”
15.03.2024 – 25.05.2024
Vernissage: 15.03.2024 18:00
SEXAUER Galerie