Eine Kolumne von Ludwig Graf Westarp. Die Malerin Tatyana von Leys beschäftigt sich in ihren Werken mit dem Menschen. Trans- und Posthumanismus sind für sie ultimativ wichtige philosophische und kulturelle Bewegungen, von denen sie hofft, dass diese mehr Anklang und Einzug in das kollektive Denken finden. Der Transhumanismus strebt danach, die Grenzen menschlicher Möglichkeiten intellektuell, physisch und psychisch durch den Einsatz technologischer Verfahren zu erweitern.
Dafür können Künstliche Intelligenz (KI), Kognitionswissenschaften, Robotik, Informations- und Nanotechnologie sowie Biotechnologie genutzt werden. Dem Transhumanismus zur Folge hat die Menschheit sogar die „Verpflichtung zum Fortschritt“.
Die Wurzeln dieser philosophischen Denkströmung liegen dabei im Renaissance-Humanismus und dem Zeitalter der Aufklärung. Der entscheidende Gedanke ist, dass die menschliche Spezies dazu in der Lage ist, über sich selbst hinauszuwachsen. Schon im Jahr 1989 schreibt der transhumanistische Philosoph FM-2030 in seinem Buch Are You Transhuman?:
„Transhumane sind die erste Manifestation einer neuen Art von evolutionären Wesen. Sie ähneln darin den ersten Hominiden, die vor vielen Millionen Jahren die Bäume verließen und begannen sich umzuschauen. Transhumane haben nicht notwendigerweise das Ziel, die Evolution höherer Lebensformen zu beschleunigen. Viele von ihnen sind sich ihrer Rolle als Übergangsform der Evolution gar nicht bewusst.“
Auf Max More geht dann folgende moderne Definition zurück:
„Transhumanismus ist eine Kategorie von Anschauungen, die uns in Richtung eines posthumanen Zustands führen. Transhumanismus teilt viele Aspekte mit dem Humanismus, einschließlich eines Respekts vor Vernunft und Wissenschaft, einer Verpflichtung zum Fortschritt und der Anerkennung des Wertes des menschlichen (oder transhumanen) Bestehens in diesem Leben. […] Transhumanismus unterscheidet sich vom Humanismus im Erkennen und Antizipieren der radikalen Änderungen in Natur und Möglichkeiten unseres Lebens durch verschiedenste wissenschaftliche und technologische Disziplinen […]“
Mit dieser äußerst wichtigen und hochaktuellen Thematik beschäftigt sich von Leys in ihren zwei Serien:
Die eine Serie nennt sie “Posthuman Studies after Ingres – Mme. de Rothschild in transition”, diese “Bricolage” nach dem berühmten französischen Maler Jean-August Dominique Ingres aus dem 19. Jahrhundert benannt und posthumanen Denkern wie Rosi Braidotti, Donna Haraway und anderen gewidmet. Für jede Leinwand verwendet Frau Leys das gleiche Portrait als Vorlage. Laut von Leys ist die ganze Serie dabei als Ausdruck eines poetischen Sarkasmus zu verstehen: Endzeitstimmung, eine Epoche geht zu Ende und der Mensch entwickelt sich zu einer neuen Spezies. Der humanistische Mensch ist einem nomadischen Subjekt gewichen. Es ist eine Hommage an die Kunstgeschichte und die Evolution in eine vollkommen neue Zukunft.
In der anderen Serie “Transhumane Verstrickung” geht es ebenso um die Veränderung des Menschenbildes: „Zum ersten Mal in der Geschichte haben wir die Möglichkeit in die Evolution einzugreifen und den Menschen nicht nur technisch, sondern auch genetisch zu verändern. Daher kommt in dieser Serie eine neue Körperlichkeit zum Ausdruck: Manchmal wächst der Busen im Gesicht, manchmal steckt der Kopf verkehrt am Körper, ein anderes Mal kann man ihn nur mehr erahnen. Das bisher Gewohnte ist in Auflösung begriffen“, wie von Leys es beschreibt.
Seit etlichen Jahren beschäftigt sich die aus Österreich stammende Künstlerin, die in Nizza studierte, mit ethischen Fragen im Kontext Trans- und Posthumanismus und setzt diese intensive Beschäftigung auch künstlerisch um. Wissenschaft, Kunst und Philosophie rücken dabei immer näher zusammen…
Was an der Kunst von Tatyana Leys so faszinierend ist, sind ihre bildhaften Beschreibungen des Wechsels in ein neues Paradigma. Sie beutet die abendländische Kunst noch einmal so richtig aus und überträgt sie in die Zukunft des Trans- und Posthumanismus, poetisch und sarkastisch wie sie sagt. Es sind die verschiedenen Ebenen, die sie daran interessieren. Auf der einen Seite das langsame Medium der Malerei, auf der anderen Seite die Idee der unheimlichen Beschleunigung zu einem veränderten Menschenbild. Dabei sprechen ihre Arbeiten die idolhafte Repräsentation des Weiblichen an. Sie selbst bezeichnet sich als Transhumanistin. Sie will zum Nachdenken anregen und die unterschiedlichen Thematiken in ihren Bildern verarbeiten.
Es wird hinterfragt, ob es sich beim Transhumanismus, tatsächlich um “die gefährlichste Idee der Welt” handelt, wie sie der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama beschreibt, während der US-amerikanische libertäre Wissenschaftsautor Ronald Bailey “diese Bewegung als das kühnste, mutigste, visionärste und idealistischste Bestreben der Menschheit” sieht.
Von Kritikern wird dem Transhumanismus vorgeworfen, auf technologische Entwicklungen zu setzen, ohne dabei ethische Aspekte hinreichend zu berücksichtigen. Einige Denker sind auch der Ansicht, dass die Menschheit bereits transhuman sei, weil der medizinische Fortschritt uns bereits signifikant verändert habe.
Kuratorin Dr. phil. Lily von Fürstenow schrieb über die „Series Posthuman Studies after Ingres“: Die Posthuman Series entspricht einfach dem Zeitgeist und bringt den kanonischen Werken von Ingres eine neue Dimension.