Ist es nicht faszinierend, wie schnell sich der Mensch arrangiert und das, was zunächst vielleicht noch Entsetzen hervorgerufen hat, schleichend als „normal“ akzeptiert? Seit über einem Jahr wütet Corona weltweit. Stand 15.03.2021 haben rund 119,8 Millionen Menschen ihr Leben verloren. Nur zum Vergleich: An Krebs sterben pro Jahr weltweit ungefähr 9-10 Millionen Menschen.
Der Tod ist allgegenwärtig – allerdings für die meisten nur als Zahl. Dass wir in den letzten Monaten Tage hatten, an denen allein in Deutschland über 500 Menschen an Covid-19 gestorben sind, lockt kaum jemand hinter dem Ofen hervor. Würde ein Unglück mit so vielen Toten passieren, wäre das anders. Dann herrschten Betroffenheit, Trauer und Bestürzung.
Wäre das nicht ein Thema für die Kunst? Waren sich Kunst und Tod, Kunst und Leben nicht schon immer besonders nah? Ist es nicht an der Zeit, den Tod künstlerisch in unsere Leben zu holen, ihn wieder aus seinem Verschlag heraus zu malen, zu zeichnen, zu tanzen, zu singen, zu illustrieren?
Der Umgang mit dem Tod
Der Umgang mit dem Tod ist in unserer Gesellschaft äußerst merkwürdig. Er findet öffentlich quasi nicht statt. Man könnte auch sagen: Er hat bei uns keine Lobby, keine Kultur. Hier stirbt man abgeschirmt und leise. Das gilt auch für die Toten der Pandemie. Hier und da hat mal eine Zeitung die ein oder andere Geschichte veröffentlicht. Aber mehr auch nicht. Das war mal anders und ich plädiere dafür, dass Künstler*innen wie so oft eine Vorreiterrolle einnehmen und daran rütteln.
Unser Umgang mit dem Tod wirft Fragen auf. Besonders jetzt. Spielt es eine Rolle, dass er überwiegend ältere Menschen getroffen hat? Liegt es daran, dass wir Lockdown-müde sind? Interessiert uns der Tod nicht, weil wir ausblenden, dass wir selbst sterben könnten? Allein die Tatsache, dass so viele Menschen im letzten Jahr ohne ihre Angehörigen, fern ab von Zuneigung und Gemeinschaft gestorben sind, sollte uns aufrütteln.
Wirklich leben kann nur der, der den Tod als Teil des Lebens akzeptiert. Francois de la Rochefoucauld, ein französischer Adliger sagte einst: „Der Sonne und dem Tod kann man nicht ins Gesicht blicken“. Ich denke, wir sollten es wagen. Die Kunst sollte es wagen, denn sie kennt diese Barrieren nicht, kann uns dorthin führen, wo es schmerzt, ohne dass wir uns die Augen verbrennen.