Die Perspektiven in den Bildern von David Schnell haben sich verändert: Was einst der Blick vor sich sah, der von allen Raumkanten geführte, strenge Sog mitten in die strahlende Welt hinein, eine Ansicht aus dem zentralen Auge der Betrachtenden, das wird nun abgelöst durch eine Schau von oben hinab. Vom Turm, von der Pyramidenspitze, von einer am Himmel kreisenden, unerbittlichen Kamera?
Eine dem menschlichen Blickwinkel enthobene Observation, wie sie die Maschinen vornehmen. Es ist der Blick des Engels der Geschichte. Und vor diesem Auge verwandeln sich die verlassenen Orte – wir selbst nehmen diesen nichtmenschlichen Blick hier ein – in Zustände, die den Grundwahrheiten von Raum und Zeit nicht mehr gehorchen. Das Gefüge entkleidet sich. Elemente gesellen sich dazu, verlieren ihre Dichte, wandeln sich um. Und: Je mehr sich unsere Augen den Oberflächen der bemalten Leinwand nähern, umso mehr entzieht sich das, was wir gerade noch als geometrisch organisiert wahrgenommen hatten. Wir geraten in luzide Untiefen und schwebende Schächte, aus denen die Erdanziehungskraft höchstselbst ausgezogen ist. Das architektonisch Bestimmte fügt sich nicht mehr, es schwindet oder vertieft sich in eigensinnig verlängerte, weit in den Raum hineingetriebene Fluchten und Kammern, die ihre Funktionen vor uns verbergen, sich im Zustand der Verlassenheit wie wucherndes Kristall gebärden.
Es bilden sich reflektierende Flächen aus raumlosen Platten. Als leuchtende Elemente blättern sie von den Kubaturen ab, steigen und schweben einem Urstand oder einem Endknall entgegen, von dem keiner, der auszog, etwas wusste. Die Verbindungen innerweltlicher Ordnung sind gesprengt. Eine von Menschenhänden und der Schwerkraft erlöste, interferierende, gelockerte Materie. Wir sehen, dass sich in der Malerei von David Schnell „die unmittelbare Wirklichkeit der Dinge auflöst und ihre Elemente zur Verwirklichung [malerischer] Ziele verwendet werden – ohne Rücksicht auf irgendwelche Unantastbarkeiten…“ – genauso wie der Mensch am Ende der von ihm so bezeichneten Neuzeit „die unmittelbare Wirklichkeit der Dinge auflöst und ihre Elemente zur Verwirklichung seiner Ziele verwendet – ohne Rücksicht auf irgendwelche Unantastbarkeiten, wie sie sich aus dem früheren Menschen- und Naturbild ergaben.“
Text von Bertram Haude, Auszug