Die galerie burster präsentiert mit love is not love die erste Einzelausstellung von Christian Bär. Bei Digital Natives der ersten Stunde dürften einige Malereien von Christian Bär eine nostalgische Sehnsucht hervorrufen. Besonders jene, auf denen Striche – genauer noch: bestimmte Strichführungen – zu sehen sind, die unmittelbar an frühe Computergrafikprogramme wie Microsoft Paint erinnern. Die Einzigartigkeit der frühdigitalen Strichführung zeichnete sich dadurch aus, dass sie ungewollt kritzelig war, einzelne Linien grundlos unterbrochen wurden, ja dass diese wie die ersten Versuche einer Zeichnung aussahen, die niemals eine werden, sondern an der Schnittstelle von Kunst und Prokrastination verbleiben würde.
Digital Natives stehen vor einem Gemälde wie Neo-Cowboy von Christian Bär also wie Caspar David Friedrichs Mönch vor dem Meer: sehnsüchtig in eine verloren geglaubte Weite blickend. Denn wenn die 90er-Jahre-Ästhetik der digitalen Strichführung auf etwas verweist, dann auf eine Zeit, in der der Cyberspace noch unergründet und weitgehend unbesiedelt war; als sich mit seiner Nutzung noch Möglichkeiten und Utopien aufspannten und eine demokratische Hoffnung verbunden war.
Nun bleibt es aber natürlich nicht bei dieser Referenz auf frühdigitale Zeiten, die außerdem in gegenwärtigen Apps wie Snapchat ohnehin eine Renaissance erfährt, wo über jedes nur denkbare Bild gekritzelt werden kann. Vielmehr ist die Strichführung in den Arbeiten Bärs mehrfach transformiert: farblich, in der Größe, vor allem aber in der Materialität lassen sie das Schwelgen in den Anfängen des Informationszeitalters schnell hinter sich. Seine Arbeiten sind aber keinesfalls rein postdigital, denn die Übertragung in Öl auf Leinwand erfolgt immer im Wechselspiel mit dem iPad: Schichten, die auf der Leinwand entstehen, werden digitalisiert und jene, die digital entstehen, auf die Leinwand übertragen. Auf dem iPad liegt das Bild nicht als Ganzes, sondern in einzelne Ebenen aufgeteilt vor. Für ein Grafikprogramm ist das auch üblich, für die Entstehung einer Malerei hingegen außergewöhnlich – vor allem für eine Malerei, die visuell an den Abstrakten Expressionismus anschließt und nicht, wie man bei auf diese Weise zusammengesetzten Gemälden vermuten würde, an den Konstruktivismus.
Dieses Spannungsverhältnis zwischen gestischer Anmutung und tatsächlicher Konstruiertheit ist den Bildern nicht nur inhärent, sondern auch anzusehen. Denn auf die fertiggestellten Malereien hat das Arbeiten auf verschiedenen Ebenen einen interessanten Effekt: Sie gehen im Bild nicht ineinander auf, sondern bleiben als solche sichtbar, ja werden gewissermaßen zu separaten Figuren, die sich zueinander verhalten. Indem sie übereinander liegen, sind einige Ebenen sichtbarer als andere, Zustände früherer Schichten werden verdeckt oder bleiben sichtbar. Violette gestische breite Pinselstriche verbergen teilweise grüngelbe grafische Kreise und werden selbst von schwarzen Kritzeleien überlagert. So werden die Bedingungen des eigenen Schaffens stets präsent gehalten und mitthematisiert.
Die praktische Verschränkung digitalen und analogen Arbeitens, die Christian Bärs Bilder durch die verschiedenen Typen von Strichen und Strichführungen auch ästhetisch prägt, ist wiederum Ausdruck einer Entwicklung, die generell festzustellen ist. Anders als es oft vermutet wurde, führt die Digitalisierung nahezu sämtlicher Bereiche des Lebens nicht dazu, dass die analoge, materielle, haptische Welt an Bedeutung verliert. Ganz im Gegenteil: Die einstige gedankliche und tatsächliche Trennung von digitalen und öffentlichen Räumen, von Immateriellem und Materiellem ist mittlerweile obsolet geworden – alles ist vielmehr unauflösbar miteinander verkoppelt. Mit aller Deutlichkeit zeigen die Arbeiten von Christian Bär technisch und ästhetisch diese intermediären Verschränkungen der Gegenwartskultur.
–– Annekathrin Kohout
Christian Bär (*1989 in Stuttgart, lebt und arbeitet in Leipzig) studierte von 2010 – 2015 an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig bei Prof. Ingo Meller. 2015 erhielt er sein Diplom mit Auszeichnung. Seine Arbeiten waren bisher in zahlreichen nationalen und internationalen Einzel- und Gruppenausstellungen zu sehen und sind ebenso in privaten und öffentlichen Sammlungen vertreten, u.a. der Sammlung Hildebrand, G2 Kunsthalle Leipzig, Staatliche Kunstsammlung Dresden und Kunstmuseum Reutlingen. 2020 erhielt Bär die Kulturförderung des Freistaates Sachsen.
Christian Bär – love is not love
12. Februar 2023 – 26. März 2023