Caline Aoun: seeing is believing, Palais Populaire

Caline Aoun: "seeing is believing" bis 2.3.2020 im Palais Populaire
Caline Aoun: “seeing is believing” bis 2.3.2020 im Palais Populaire. Ganz selbstverständlich nutzen wir Google Maps, besuchen Dating-Plattformen oder speichern unsere Bilder in einer Cloud: Der Übergang vom analogen zum digitalen Zeitalter hat unsere persönlichen, ökonomischen und politischen Beziehungen radikal verändert. Der globale Datenfluss prägt nicht nur unsere unmittelbare physische Umgebung, sondern ganze Gesellschaftssysteme. Dennoch bleibt die Zirkulation und Verarbeitung dieser Daten für uns immateriell und abstrakt, nicht verknüpfbar mit unserer eigenen Lebenswirklichkeit.

Als „Artist of the Year“ der Deutschen Bank zeigt Caline Aoun in reduzierten Versuchsanordnungen, wie sich Daten materiell manifestieren, wie untrennbar reale und virtuelle Welt tatsächlich miteinander verbunden sind. Für Aoun gleicht die permanente Bilder- und Datenflut einem „Lärm“, der unser gesamtes Leben dominiert. Anstatt diesen medialen Lärm weiter zu verstärken, konzentriert sie ihn und gibt ihm eine materielle Dimension. Dies bezeichnet sie als einen Weg, „neue Erfahrungen, Formen von Stille, Leerstellen“ zu erzeugen, eine ästhetische Umgebung zu schaffen, die es ermöglicht, sonst kaum greifbare Zusammenhänge sinnlich zu erfassen und zu überdenken.
1983 in Beirut geboren, zählt Caline Aoun zu einer Generation junger libanesischer Künstlerinnen und Künstler, die nach dem Ausbruch des Bürgerkriegs 1975 im Ausland ihre Ausbildung absolvieren und heute die Kunstszene im Nahen Osten entscheidend mitprägen. Obwohl Aoun sich mit Phänomenen der Digitalisierung und des Internets beschäftigt, nutzt sie keine Hochleistungsrechner, Smartphones oder VR-Brillen. Sie arbeitet häufig mit einfachen Inkjet-Druckern, die sie nutzt, bis das System kollabiert und „unfreiwillig“ zunehmend immer reduziertere Bilder hervorbringt.
So entstand auch die Wandarbeit Contemplating Dispersions aus farbig bedruckten DIN-A3+-Blättern. Eine fast teerschwarze Fläche splittert sich immer mehr in rot-violett schimmernde Farbfelder auf. Das Ornament zersetzt sich dann in schmaler werdende Balken aus Hellblau, Türkis und Gelb. Doch während der Drucker versucht, den Auftrag schwarz bedruckte Seiten zu produzieren, zu erfüllen, leert sich die Patrone nach und nach. Schließlich bedient sich das erschöpfte Gerät aller verfügbaren Farbreste, und es bleibt nur noch Weiß, übersät mit Schlieren und Spuren der leeren Druckerköpfe.
Caline Aouns Arbeiten bilden nicht ab, sondern sind selbst das „handfeste“ Ergebnis eines vermeintlich „unsichtbaren“ Prozesses, den uns die Künstlerin ganz unmittelbar vor Augen führt. Der Ausstellungstitel seeing is believing ist also ganz wörtlich gemeint.
Das zeigen auch die vier reduzierten Brunnen von Infinite Energy, Finite Time, der zentralen Installation der Ausstellung. Aus jedem sprudelt eine Farbe, die im CMYK-Farbmodell eingesetzt wird: Cyan, Magenta, Yellow und Schwarz. Die Brunnen sind durch ein System durchsichtiger Schläuche miteinander verbunden und tauschen sich in kaum wahrnehmbarem Tempo aus. Zu Beginn der Ausstellung sprudeln noch reine Farben aus den Düsen, im Laufe der Zeit zerfließen sie aber zu einer trüben Brühe, die gerinnt, die Düsen verklebt und schließlich ganz eintrocknet und den Kreislauf unterbricht. Hier geht es um extremen Mangel und exzessiven Überfluss, Zirkulation und Anstauung.
„Meine Werke mögen ziemlich abstrakt sein“, sagt Aoun, „doch zugleich ähneln sie etwas sehr Realem.“ Ihre Ausstellung erzählt vom Zusammenbruch, von der Überforderung von Systemen. Sie hat dabei eine klare Botschaft: dass der Lärm aufhören muss, dass wir Raum für Kontemplation brauchen, um neue Systeme und zu uns selbst zu finden.
Die Ausstellung im PalaisPopulaire ist die erste große Einzelpräsentation der libanesischen Künstlerin in Deutschland.
Artist of the Year – Aktuelle Positionen im Fokus:
Wie die Unternehmenssammlung ist auch „Artist of the Year“, die Auszeichnung der Deutschen Bank, ganz der Gegenwart verpflichtet. Es gilt neue, spannende Positionen einem breiten Publikum bekannt zu machen. Auf Empfehlung des Deutsche Bank Global Art Advisory Council – mit den renommierten Kuratoren Victoria Noorthoorn, Hou Hanru, Udo Kittelmann und dem 2019 verstorbenen Okwui Enwezor – ehrt die Bank vielversprechende internationale Künstlerinnen und Künstler, die bereits ein künstlerisch wie auch gesellschaftlich relevantes Werk geschaffen haben. Wichtig ist, dass die beiden Schwerpunkte der Sammlung Deutsche Bank einbezogen sind: Arbeiten auf Papier oder Fotografie. Daneben gibt es im Haus immer ein umfangreiches Vaeranstaltungsprogramm.
Nach Wangechi Mutu (Kenia/ USA), Yto Barrada (Frankreich / Marokko), Roman Ondák (Slowakei), Imran Qureshi (Pakistan), Victor Man (Rumänien), Koki Tanka (Japan), Basim Magdy (Ägypten) und Kemang Wa Lehulere (Südafrika) ist nun Caline Aoun (Libanon) „Artist of the Year“ der Deutschen Bank. Im Unterschied zu vielen anderen Auszeichnungen ist „Artist of the Year“ nicht mit einem Geldpreis dotiert, sondern steht für die Philosophie der Deutschen Bank, über eine finanzielle Förderung hinaus seit 40 Jahren weltweit Zugang zu aktueller Gegenwartskunst zu ermöglichen – sei dies durch ihre Kunstsammlung, durch Ausstellungen oder Kooperationen. Höhepunkt ist die Einzelausstellung des „Künstlers des Jahres“ in Berlin, früher in der Deutsche Bank KunstHalle, heute im PalaisPopulaire, die anschließend an weiteren internationalen Standorten präsentiert wird. Zur Ausstellung erscheinen ein ausführlicher Katalog und eine exklusive Edition der Künstlerin oder des Künstlers. Zudem wird eine Auswahl von Arbeiten für die Sammlung Deutsche Bank erworben.

Datum: 15.11.2019 – 3.03.2020

PalaisPopulaire

Veröffentlicht am: 30.01.2020 | Kategorie: Ausstellungen,

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