Galerie Burster: All I Want

In Zeiten von Turbokapitalismus, Krisen, Existenzängsten, Amazon-Wishlists und überfüllten Kaufhäusern, tut es vielleicht gut, auch in diesem Jahr kurz innezuhalten und sich nüchtern anstelle der Frage was will ich? oder was brauche ich?, die Frage was tut mir gut? zu stellen. Immerhin besteht die Möglichkeit, sich dabei selbst zu überraschen.

Die in der Gruppenausstellung All I Want gezeigten Arbeiten der Medien Malerei, Fotografie und Skulptur zielen zwar nicht darauf ab, Antworten zu geben – im Gegenteil, ein eindeutiges Rezeptionsangebot wird man vergeblich suchen. Dennoch liefert jedes der gezeigten Werke auf seine eigene Art Impulse, Perspektiven und mögliche Herangehensweisen, sich mit solch grundlegender Frage auseinanderzusetzen – oder die Möglichkeit, sich den Sorgen unserer komplexen Gegenwart einen Moment gedanklich zu entziehen.

Christian Augusts abstrakt expressive Farblandschaften bewegen sich im Spiel aus intuitiv und im schnellen Duktus gesetzten Farbverläufen und zeichnerischen Gesten. Seine intensiven Farbwelten leuchten und sprudeln, diffus, organisch und im Wechsel aus laut und leise, rau und glatt auf der Bildoberfläche und wirken dabei so ätherisch, dass man in das Bild hinein fassen möchte um auszuprobieren, wo der Farbdunst aufhört und das Material beginnt.

Bei Digital Natives der ersten Stunde dürften Christian Bärs Malereien eine nostalgische Sehnsucht hervorrufen. Besonders jene, auf denen Striche – genauer noch: bestimmte Strichführungen – zu sehen sind, die unmittelbar an frühe Computergrafikprogramme wie Microsoft Paint erinnern. Mit aller Deutlichkeit zeigen seine Arbeiten technisch und ästhetisch die intermediären Verschränkungen unserer Gegenwartskultur, in der die einstige gedankliche und tatsächliche Trennung von digitalen und öffentlichen Räumen, von Immateriellem und Materiellem mittlerweile obsolet geworden ist – vielmehr ist alles unauflösbar miteinander verkoppelt. (Annekathrin Kohout)

Während Alex Feuerstein in seiner neuesten kleinformatigen Arbeit Mond #1 in erdiger Farbpalette kunstgeschichtliche Referenzen und heutige Perspektiven auf die (abstrakte) Landschaftsmalerei miteinander vereint, zeigt Bram Braam, der sich von der rauen Umgebung Berlins inspirieren lässt, in Berlin Hieroglyphs #3 seinen persönlichen Blick auf urbane Landschaften und Fassadenfragmente, die ein Narrativ über die rasante und ungebremste Entwicklung der Stadt eröffnen.

Vertrocknete Zimmerpflanzen als Sinnbild des alltäglichen Scheiterns in den eigenen vier Wänden. So blicken wir auf die eben noch erstandenen Gewächse traurig herab, wenn sie ob aus Zeitmangel oder wegen fehlender Fürsorge Tage später vor sich hinwelken. Diesem trivialen Geschehen hat sich Finja Sander in ihrem Arbeitszyklus Einfriedung angenommen. Innerhalb einer einwöchigen Performance im Frühjahr dieses Jahres umsorgte Sander zahlreiche vertrocknete Gewächse, die sie zuvor aus verschiedenen Berliner Haushalten gesammelt hat. In einem von ihr konzipierten Laboratorium wurden diese schließlich aufgebahrt und archiviert. Drei großformatige, fotografische Arbeiten zeigen ausgewählte Exemplare, gebettet auf tiefblauem Velours – eine davon wird in der Ausstellung zu sehen sein. Sander provoziert eine Idealisierung, beinahe eine Fetischisierung des Scheiterns und stört den ewigen Kreislauf des unbedachten und deshalb oft frustrierenden Konsums um seiner Selbstwillen.

Nina Röder ist nicht nur eine sensible Beobachterin ihrer Umwelt, der reflektierte Konzeptionen und technische Perfektion in der Ausführung wichtig sind, sondern auch eine Kennerin theatralischer Mittel, die in Form von inszenierten Settings und performativen Strategien in ihre Kunst eingehen. Ein zentraler Punkt ihrer künstlerisch-weltanschaulichen Reflexion ist die Entfremdung der modernen Individuen von ihren natürlichen Voraussetzungen und ihren sozialen Lebensumständen sowie dessen Gegenstück: die Sehnsucht nach Heimat und Geborgenheit. (Dr. Kai Uwe Schierz)

Im ersten Augenblick nehmen wir Maria Schumachers Malerei Tender Nights als ein Meer aus chaotisch wirkenden Linien wahr, bis sich bei näherer Betrachtung eine geordnete Struktur erschließt. Die sich wiederholenden Linien fügen sich mal zu einem Raster zusammen, mal werden sie von anderen Linien durchkreuzt. Es entstehen Formen, Zeichen, Symbole, die den gesamten Leinwandraum einnehmen. Die Formen treten wie archaische Artefakte mit universalistischen Bezügen in Erscheinung. Manchmal wirken sie uns vertraut, manchmal fremd. Die Formen und Zeichen, die Schumacher hier abbildet, können je nach Verständnis verschieden wirken und sind vor allem multiperspektivisch. Schumacher gibt nicht vor, wie ihre Arbeiten gelesen werden sollen, sie lässt sie offen und damit auch die Interpretation. (Defne Kizilöz)

Abstrakt, geometrisch und tiefschwarz erstreckt sich Gary Schlingheiders MULTI PART PIECES SMALL BLACK mittig im Galerieraum. Schlingheider arbeitet meist großformatig, mit kraftvollen deckenden Farben und geometrischen, reduzierten Körpern. Mit einem Bezug zu kunsthistorischen Vorbildern wie den Minimalisten, Ellsworth Kelly oder Frank Stella lotet er die Grenzen zwischen Malerei und Bildhauerei neu aus.

All I Want

Künstler: Christian August | Christian Bär | Bram Braam | Alex Feuerstein | Nina Röder | Finja Sander | Gary Schlingheider | Maria Schumacher

Opening: Freitag, 9. Dezember 2022, 18 – 21 Uhr

Ausstellung: 9. Dezember 2022 – 14. Januar 2023

Galerie Burster

Beitragsbild: Nina Röder  Never touched a bird before  2022  fine art print  50 x 50 cm  ed. 5 + 2AP

Veröffentlicht am: 20.12.2022 | Kategorie: Ausstellungen, Magazin,

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