Alles steht still. Mit Vollbremsung wurde unsere Welt gestoppt. Nachdem wir einmal aus den Satteln gehoben wurden, sind wir mittlerweile wieder auf unsere Positionen zurückgerutscht, also vielmehr sind wir ins Home-Office gezogen. Weil alles so irreal erscheint, drinnen und draußen, schauen wir uns vorsichtig um, wie es den anderen so geht. Als die Tage anfangs noch mit Veranstaltungsabsagen im 20-Minutentakt gefüllt waren, takten sich mittlerweile die Telefonate und Onlinekonferenzen so ein … Und immer noch lesen wir alle ständig die neueste Presse. Es gibt bereits Artikel, die von unserem Leben nach Covid-19 sprechen. Ehrlich gesagt bin ich jedoch noch lange nicht fertig mit dem Jetzt – geschweige denn mit dem, was vor der Corona-Krise war. Da besteht noch Analysepotenzial – wann wenn nicht jetzt?
Eingleisig. Allenthalben propagierte die komplette Berichterstattung in einer Sprache, die einseitig gelenkt war – und ihren Zweck erfüllte, Alarm und den Katastrophenfall zu signalisieren. Als ich mein Unwohlsein, auch zu den nun verschlossenen innereuropäischen Grenzen, am 18. März öffentlich kundtat, wurde ich verbal an die Wand gedrückt, alternativlos auch dies. Gestern dann bemerkt sogar der Vorstandsvorsitzende von Axel Springer, Dr. Mathias Döpfner (zum Beitrag…), dass Journalisten schon dazu bereit sein müssten, die Ereignisse kritisch zu besprechen. Im Grunde war mir recht schnell klar geworden, dass der Nationale Pandemieplan keine Gegenstimmen zulässt. Eine heikle Situation: ohne Panik ausbrechen zu lassen, müssen Politiker dem Volk erklären, warum die innereuropäischen Grenzen geschlossen werden, alle Ökonomien komplett heruntergefahren werden und Kontaktverbote notwendig sind. Aber die vielen Freunde und freien Journalisten? Dass wir medizinisch keine Experten sind und auf eben derer Rat, die Virusverbreitung einzudämmen, angewiesen sind, steht außer Frage, aber einen kritisch-konstruktiven Austausch zu den Geschehnissen, insbesondere den massiven Einschränkungen unserer Grundrechte, habe ich schmerzlich vermisst. So hatte ich Social Distancing nicht verstanden. Nachdem am 15. März 2020 in Österreich die Ausgangssperre verhängt wurde, erschien Montagmorgen in der Berliner Zeitung ein Artikel mit dem Untertitel „Isolation erhöht die Konzentration. Das ist gut für die Kreativität und setzt Ideen frei.“, was ich zu diesem Zeitpunkt nicht nur als blanken Hohn empfand, sondern auch grundsätzlich nicht so unterschreiben würde.
Menschlich. Denn nicht ohne Grund sind Kulturschaffende wie Kunstliebende ständig an Kunstorten versammelt gewesen. Wir Menschen brauchen das. Und die Kunstszene lebt davon. Beeindruckend finde ich all die guten Initiativen, die in diesen Tagen entstehen, um kreativ Strategien für neue Formen von Arbeit und Zusammensein zu entwickeln. In virtuellen Chaträumen treffen sich Gruppen zu Konferenzen, Diskussionen oder Unterricht, Kunsträume und Galerieausstellungen können online in 360°-3D-Rundgängen besucht werden, Podcasts, Klassikkonzerte sowie Yoga-Sessions vervielfältigen sich rasch. Atelierbesuche werden über Skype realisiert. Inwiefern es nun finanzielle Unterstützung durch Bund und Länder geben wird, die freie Kreativszene sowie unser geschätztes kulturelles Leben aufzufangen, bleibt abzuwarten, aber in jedem Fall werden wir gemeinsam neue Sphären – Tools und Räume – erfinden.
Kunstszene – gestern – heute – morgen? Freiheit wird wahrscheinlich noch einmal eine andere Wertigkeit bekommen, nicht nur physisch, sondern auch mental: Wir wissen jetzt noch nicht, wie lange dies andauern wird, aber sicher werden bereits während des Shutdowns die in sich gefestigten Künstler weitermachen, weil Künstler um der Kunst willen schaffen – und nicht für die Verkäuflichkeit. Ich verbinde mit der Krise auch Hoffnungen auf einige Veränderungen danach: Unter anderem sind mir Ausstellungsbeteiligungen für das Renommee, im Gegenzug unvergütet, schon immer ein Dorn im Auge. Zum Klempner geht ja auch keiner und sagt: “Hier müsste ein neues Klosett eingebaut werden, kannst du dir dann auch in deine berufliche Vita schreiben, Stiftung XY, Geld gibt’s nicht.” Jetzt fallen dazu auch Museumsrundgänge, Kunstkurse, Kuratorisches, andere Einnahmequellen weg… Es bleibt also zu überlegen, wie man einerseits die Kunstschaffenden abfängt – vom Staat unterstützt und/oder privat initiiert. Und wie es andererseits gelingen kann, genau diese sozialen Begegnungen über die Kunst alternativ zu beleben, weil bei uns Besucher*innen ja auch ein großes Defizit entsteht. …Dazu denke ich an die Galerien – so eine grandiose Arbeit, die sooo viele dort leisten! Das darf nicht einfach so wegkonsumiert werden. Vielleicht führt diese Katastrophe ja insgesamt zu mehr Wertschätzung und neuen Formaten?
Mit der Kunst verhält es sich eben anders als mit uns sonst bekannten Produkten – der Erfolgsmessung sollte das Werk an sich dienen, ob es stark ist, und nicht, wie viele bereits verkauft wurden. Es führte vor allem für Künstler, aber durch das Überangebot auch für Betrachter und junge Sammler, schon oft zu einem Dilemma, Businessstrategien der anderen Märkte auf die Kunstwirtschaft anwenden zu wollen. Vielleicht wird es nun künftig eine neue Selbstwahrnehmung geben, auf beiden Seiten? Kunst muss frei entstehen – nicht marktrelevant. Kunst als Lebenshaltung ist lebendig, vielfältig, schöpferisch, überzeugt, couragiert. Immer aus sich selbst heraus – das ist die Leistung der Kunstschaffenden in unserer Gemeinschaft.
Eine enorm bereichernde Entdeckungsreise wird es für uns, wenn sich jeder nur etwas Zeit nimmt – mein erster Rat an Sammler. Es ist wichtig, eigenverantwortlich Räume oder Plattformen zu finden, die uns darin bestärken, selbst eine Meinung zu bilden. Während der momentanen Zwangs-Entschleunigung haben wir alle die Chance, uns noch einmal auf neue Wege zu begeben.
Bleibt gesund, miteinander verbunden – und begeisterungsfähig!
Jana Noritsch
Beitragsbild Ausgebremst Klee, Paul – Drei Häuser (1922) Edition Berggruen 1948 – Eigentum Jana Noritsch
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