Walter Benjamins Essay Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, das 1935 im Exil in Paris veröffentlicht wurde, ist vielleicht am bekanntesten durch das Nachwort und die These, der Faschismus ästhetisiere die Politik (genauer: den Krieg), während der Kommunismus die Kunst politisiere. Jedoch werden auch seine anderen Ideen, formuliert wie das Programm eines Manifestes, in den Literatur-, Kultur-, Film- und Kunstwissenschaften bis heute heiß diskutiert.
Die gegenwärtige Ausstellung AURA in der galerie probst in Zusammenarbeit mit der ARTCO Gallery Berlin möchte dieses Essay in einen zeitgenössischen Kontext transportieren und das Spannungsfeld zwischen Kunst, die nicht reproduziert werden kann und Kunst, die ohne ihre technische Reproduktion nicht existiert, erkunden.
Die Aura ist eine „einmalige Erscheinung einer Ferne“, die Sinneswahrnehmung von Dingen, die uns umgeben. Sie kann, anders als Optisches oder Akustisches nicht reproduziert, sondern ausschließlich erlebt werden. Kunst müsse deshalb in einem bestimmten Raum-Zeit-Kontext betrachtet werden, in ihrem Hier und Jetzt. Fotografie und Film sind aber anders, denn anders als eine Skulptur oder ein Gemälde, besitzen sie kein Original. Sie existieren nur wegen ihrer technischen Reproduzierbarkeit.
Heute, 90 Jahre nach Erscheinen des Essays, wird die Reproduzierbarkeit von Kunstwerken auch dafür genutzt, kapitalistische Interessen zu verfolgen. Durch die Kommodifizierung von berühmten Gemälden, Skulpturen usw. in Form von unterschiedlichsten Merchandising-Artikeln werden Museumsbesucher, Touristen und Kunstfans allesamt zum Kauf animiert.
Doch die technische, massenhafte Reproduktion von Kunstwerken hat auch eine starke positive Seite, die bei Benjamin überhaupt nicht vorkommt: Kunst wird demokratisiert. Durch unzählige Abbildungen, digitalisierte Sammlungen, Ausstellungskataloge und auch durch Merchandising werden Werke, die über Jahrhunderte nur einem kleinen, elitären Kreis zugänglich waren, vielen Menschen enthüllt. Dadurch wird der Weg zu Kulturtraditionen erleichtert, was Personen sowohl in ihrer eigenen Identität bestärken als auch als Kommunikationsplattform für interkulturellen Austausch dienen kann. Mithilfe einer wachsenden Demokratisierung und Erreichbarkeit wird auch das Interesse einer breiteren Gesellschaftsschicht geweckt, sich mit Kunst, Tradition und Kultur auseinanderzusetzen, zu sammeln und schlussendlich auch zu reisen, um die originalen Einzelstücke und ihre Aura zu erleben.
Mit drei unterschiedlichen künstlerischen Positionen lädt die Ausstellung dazu ein, der Aura von Kunstwerken zu begegnen und sich über die Möglichkeiten, positive und negative, technischer Reproduzierbarkeit eigene Gedanken zu machen und sich auszutauschen.
Dana László Da Costa
Dana László da Costa (1993) wird für ihre Kunst von den lateinamerikanischen Tropen inspiriert. Sie ist in einem sehr ländlichen Teil von Brasilien geboren und aufgewachsen, weshalb sie schon früh eine besondere Beziehung zur Natur aufbaute. Seit 2015 studiert sie an der Burg Giebichenstein Hochschule in Halle textile Künste, seit 2022 ist sie dort Meisterschülerin. Dana László da Costas Werke sind Auseinandersetzungen mit ihrer Heimat, der Umwelt und der Faktur von Textilien. Die Wolle für ihre Arbeiten wird von Hand mit Naturfarben gefärbt, die sie selbst herstellt. Als Pigmente dienen Pflanzen und andere Stoffe aus Lateinamerika, etwa die Rinde des Brasilienbaums. Mithilfe der Tuftmaschine kreiert sie texturale und farbenfrohe Collagen, die Wandteppichen nicht unähnlich sind. Auch in ihren Seidenmalereien sucht die Künstlerin nach Möglichkeiten, die vielfältige Natur ihrer Heimat und ihre Erinnerungen zeigen, die durch die Farben in ihren Werken aufbewahrt werden. Sie stellte bereits in verschiedenen Städten aus, u.a. in Leipzig, Hamburg, Antwerpen und jetzt erstmalig in Berlin aus. 2018 erhielt sie den DAAD-Preis für hervorragende Leistungen ausländischer Studierender.
Johanna-Maria Fritz
Johanna-Maria Fritz (1994) studierte Fotografie an der Ostkreuzschule und lebt offiziell in Berlin. In Wirklichkeit reist sie aber das gesamte Jahr umher, momentan wechselt sie zwischen der Ukraine und dem Nahen Osten. Ihre fotografischen Werke nehmen Gruppen in den Blick, die am Rande der Gesellschaft leben, vor allem Frauen und Menschen in Kriegs- und Konfliktzonen. Sie ist Teil der Ostkreuz Agency seit 2019, ihre Arbeiten wurden in vielen Zeitschriften, etwa der ZEIT und im Spiegel veröffentlicht. Johanna-Maria Fritz erhielt viele Preise, dieses Jahr den World Press Photo Award für ihre Serie Kakhova Dam: Flood in a War Zone zu den Folgen des Dammbruchs in Kakhovka, Ukraine von 2023 und den BNL BNP Paribas Award für ihr Diptychon „Gaza, Palestine“, Teil ihrer Serie Like a Bird, in der sie die Zirkuskultur in islamisch geprägten Ländern dokumentiert.
Ganna Ki
Ganna Ki (*1986) beschäftigt sich mit Ausdruck innerer Emotionen durch Malerei, Skulptur und Performance. Ihre Werke entstehen wie von selbst; die Intuition, das Unterbewusste verleiten ihren Körper in einen meditativen Zustand, um das auszudrücken, was tief in einem schlummert. Ihre Intutive Painting Series entstand im Frühling 2022, nachdem dem Ausbruch des Angriffskriegs auf die Ukraine und thematisiert künstlerischer Ausdruck, Freiheit der Form und das kollektive Bewusstsein. Die in Zaporizhzhia in der Ost-Ukraine, geborene Künstlerin hat einen Master-Abschluss in Linguistik und kam nach Deutschland, um ihr Studium in Medien- und Kulturwissenschaften zu vertiefen. Ganna Ki untersucht in ihrer Arbeit das kollektive Unterbewusstsein und lädt Betrachtende ihrer Kunst ein, sich selbst mit den eignen Emotionen auseinanderzusetzen, in eine eigene Traumwelt einzutauchen und sich mit ihrem eigenen Unterbewusstsein zu verbinden. Sie setzt sich für die Solidarität mit der Ukraine ein und stellte bereits international aus, etwa in der Schweiz, Polen, Deutschland und Tschechien.
AURA – im Spannungsfeld zwischen reproduzierbarer und einzigartiger Kunst
Datum: 14.06.2024 – 31.08.2024