Als würden sich hier Teile zu einem Ganzen zusammenfügen. Doch beim Durchschreiten der Räume wird rasch deutlich, dass Weis die unterschiedlichen Arbeiten zwar mit minimalistischer Strenge und konzeptueller Klarheit entwickelt, sie aber ganz bewusst im Status der Vorläufigkeit angehalten hat.
Schon von der Straßenseite erkennen die Besucherïnnen das Leuchten eines monumentalen Polyeders (Parts, 2021), mit dem der Künstler auf ein Sinnbild der Moderne, Albrecht Dürers Kupferstich Melencolia I aus dem Jahr 1514, anspielt. Dort repräsentiert ein Rhomboeder die Kostbarkeit der Geometrie, weil seine Form berechenbar, aber nicht regelmäßig ist. Weis benutzt diese Idee wie eine Gebrauchsanweisung und klappt die Form zuerst auf, um sie dann zu einem neuen Objekt wieder zusammenzufalten. Die Teile lassen sich also rekombinieren, aber ergeben sie einen Sinn? Bei Dürer liegt die Antwort in der Vielfalt der Zeichen, die er in seinem berühmten Kupferstich versammelt, der Sanduhr, dem schlafenden Hund, der Himmelsleiter und anderen mehr. Sie alle entwickeln einen Sinn, doch sie finden niemals zu einer konsistenten Erzählung zusammen. Darin lag die ungeheure Modernität der Melencolia, in der revolutionären Anerkenntnis einer Welt, die nur noch aus Teilen besteht. In den Werken der Ausstellungen scheinen diese Teile als grandiose Splitter der Moderne auf, etwa in Gestalt des Maßsystems Modulor, das der Architekt Le Corbusier seinen Bauten seit Mitte der 1940er Jahre zugrunde legte und das von Albert Weis auf seine Lochblechfaltungen angewendet wird.
So sind es bei Weis gerade die kleinen Bewegungen, die die Welt aus den Angeln heben wie in der hoch aufragenden Arbeit revolution, die aus zwei identischen, blank polierten Aluminiumtafeln besteht. Sie stehen leicht geneigt an der Wand, die eine in einem Winkel von 5°, die andere in einem Winkel von 14°. Diese Differenz genügt, um ganz unterschiedliche Perspektiven auf den begrenzten Raum und seine Betrachterïnnen zu eröffnen. In seiner Spiegelung wird das Vorhandene kenntlich.
Ein solcher Mechanismus trifft auch auf die ortsspezifischen Wandarbeiten aus Aluminiumklebeband zu (silver). Dazu faltet Weis einen Papierbogen in der Größe der Wand zu einer geometrisch geformten Schichtung zusammen, die er mit dem Band großzügig auf der Wand fixiert. Das weiche Aluminiumband schmiegt sich in alle Vertiefungen der Wandoberfläche hinein und bricht das einströmende Tageslicht an jeder noch so kleinen Unregelmäßigkeit, während es über dem gefalteten Papier seine metallene Glätte bewahrt.
Nicht zufällig fühlt man sich in der Ausstellung Parts an die Diskussionen um die Qualitäten des Ausstellungsraumes als solchem erinnert, vor allem an Georges Batailles Feier des Museums als „riesenhafte[r] Spiegel, in dem der Mensch sich endlich von allen Seiten anschaut.“ (1929) Demgegenüber steht seit den 1970er Jahren die Auffassung vom Museum als Forum gesellschaftlicher Prozesse, als contact zone. Die besondere Qualität der Arbeiten von Albert Weis ist, dass er mit seinem Konzept der Teile, die sich nicht zu einem Ganzen fügen, beide Ideen miteinander versöhnt.
– Markus Heinzelmann
ALBERT WEIS – parts
05 November 2021 – 29 Januar 2022