VERANSTALTER Berliner Festspiele. Gefördert durch den Hauptstadtkulturfonds.
ÖFFENTLICHE FÜHRUNGEN:
Sonntags 14:00 Uhr (ohne Anmeldung)
€ 3 zzgl. Eintritt p. P. € 8
ANGEMELDETE FÜHRUNGEN:
Für Gruppen: Führungen in deutscher Sprache (60 min.)
Erwachsene: 65 € zzgl. Eintritt p. P. 8 €
Schulklassen: 45 € zzgl. Eintritt p. P. 6 €, Eintritt frei bis 16 Jahre
Führungen in anderen Sprachen zzgl. 10 €
Lunchführungen: MI 13:00, 07.05., 04.06. und 02.07.2014
WORKSHOPS:
Öffentliche Workshops:
Workshops für Schüler ab 5 Jahre, keine Gebühr, Anmeldung empfohlen, begrenzte Teilnehmerzahl
SO, 13:00: 06.04., 27.04., 18.05., 15.06., 06.07.2014
Angemeldete Workshops:
Für Schulklassen frei buchbar
BERATUNG UND ANMELDUNG FÜR FÜHRUNGEN:
MuseumsInformation Berlin
Tel +49 30 24749 888
Fax +49 30 24749 883
museumsinformation@kulturprojekte-berlin.de
www.museumsdienst-berlin.de
Über die Ausstellung
PM
Modernismus ist das Urgeschöpf der aufgeklärten Menschen,
er ist die ultimative Betrachtung über den Sinn des Daseins und
das Elend der Realität, er hat ein wachsames Auge auf GesellschaH
und Macht, er geht keine Kompromisse ein, er kooperiert
niemals. Ai Weiwei 1997
(zit. n. „Ai Weiwei – Der verbotene Blog”, Galiani: Berlin 2011)
Trotz aller unfassbaren Anfeindungen in seinem Land hat sich Ai
Weiwei entschlossen, seine weltweit größte Einzelausstellung im Martin-GropiusBau
in Berlin durchzuführen. Auf 3000 qm in 18 Räumen und im spektakulären
Lichthof zeigt er Werke und Installationen, die eigens für den Martin-Gropius-Bau
entstanden oder noch nie in Deutschland gezeigt wurden.
„Evidence” nennt er seine Ausstellung, nach jenem Wort, welches
uns aus amerikanischen Krimiserien bekannt ist: der Beweis, möglichst
gerichtsfest. Es ist eine politische Ausstellung, die Ai Weiwei für Berlin in seinem
einfachen und schönen Studio am dörflichen Stadtrand von Peking entwarf.
Ai Weiwei ist Künstler, Architekt und Politiker. Kaum eines seiner Werke kommt
ohne versteckte Anspielungen aus, sei es auf die binnenchinesischen Verhältnisse,
sei es auf das große Thema ,China und der Westen’. Man muss die historischen
und politischen, oft ironischen Botschaften in seinen Werken lesen, die er
gleichsam wie eine Flaschenpost in die Welt schickt.
Ai Weiwei ist einer der berühmtesten Künstler weltweit, und doch
steckte die chinesische Staatsmacht ihn illegal für 81 Tage in die Zelle eines
Geheimgefängnisses (81, 2014), in der 24 Stunden Licht brannte und die er nie
verlassen durfte, Tag und Nacht beobachtet von zwei Wärtern. Die Handschellen
wie jene, in denen er während der Haft an einen Stuhl gefesselt war, bildete er in
edler, höchst kostbarer Jade nach (Jade Handcuffs, 2013).
Willkürliche Verhaftungen und Korruption tagtäglich, das ist es
was chinesische Bürger erleben. Ai Weiwei will das nicht hinnehmen. Er fordert
Redefreiheit, Gewaltenteilung, Mehrparteiendemokratie. Und er nutzt die
unendlich variierbare Formensprache der Konzeptkunst, um eben dies
auszudrücken in einem Land, in dem Meinungsfreiheit nicht existiert.
Er ist auch in China einer der berühmtesten Künstler. Chinesische
Regierungspropaganda versuchte in den letzten Jahren, ihn aus dem öffentlichen
Bewusstsein zu entfernen. Er darf in keinem Museum Chinas ausstellen. Flugs
machte Ai Weiwei das Internet zu seiner Dauerausstellung: hervorragend seine
mittlerweile verbotenen Blogs wie auch sein aktueller Auftritt auf lnstagram.
Zwar kann er in seinem Studio arbeiten, doch vor seinem Tor sind
ein Dutzend Überwachungskameras angebracht. Ironisch kommentiert er das,
indem er an diesen rote Laternen anbrachte und sie in Marmor nachbildete
(Marble SurveiJJance Comeras, 2010). Das Handeln der Staatsmacht wird Teil
seiner Konzeptkunst. Zwar darf er in China reisen, doch jeder seiner Schritte wird
von Undercoveragenten überwacht. Seinen Pass hat man ihm entzogen, ins
Ausland darf er nicht reisen.
Unter den Werken und Installationen, die im Martin-Gropius-Bau
zu sehen sind, findet sich die goldene Kopie jener Zodiac-Skulpturen (Golden
Zodioc, 2011), die einst von Chinesischen Handwerkern in Bronze gegossen und
von den Europäern Castiglione und Benoist entworfen wurden (um 1750). Sie
waren Teil einer Art Sonnen- und Wasseruhr und befanden sich in einem vom
Kaiser in Auftrag gegebenen Gartenabschnitt voller Gebäude im europäischen Stil.
1860, nach dem Ende des Zweiten Opiumkrieges, wurde der gesamte Garten von
beutegierigen Engländern und Franzosen, die Peking erobert hatten, um ihren
Opiumhandel in China durchzusetzen, geplündert und in Brand gesteckt. Einige
der bronzenen Zodiac-Figuren gelangten damals nach Europa und hielten, als sie
2008 auf einer Auktion der Kunstsammlung von Yves Saint-Laurent in Paris
auftauchten, die chinesische Welt in Atem. Ai Weiwei bestreitet, dass diese
Bronze-figuren wie die Regierung behauptet, nationale Schätze Chinas seien,
vielmehr sieht er sie als globale Schätze.
Wenn Ai Weiwei für die Ausstellung im Gropiusbau die
umstrittenen pazifischen Diaoyu-lnseln (Diaoyu /s/ands, 2014) in Marmor,
gebrochen in einem Steinbruch nahe Peking, nachbilden lässt – aus eben jenem
Marmor, den die Kaiser von China einst für die Verbotene Stadt und die heutigen
Machthaber für das Mao-Mausoleum nutzten, dann übersetzt er einen heute die
Welt bedrohenden politischen Konflikt in künstlerische Form.
Es sind diese raschen Umsetzungen in Kunst von aktuellen
politischen Ereignissen und Fragen, die einige der wichtigsten Installationen des
Künstlers kennzeichnen. Die verdrehten Armierstähle, welche an das schreckliche
Erdbeben in Sichuan (Forge, 2008-2012; Forge bed, 2008-2012) und seine 80.000
Toten erinnern, und damit an Misswirtschaft und Korruption. So sein großes Werk
„1800 Milchpulverdosen”, das er erstmals 2013 in Hongkong zeigte – ein
Kommentar zu jenem Skandal, durch den Kinder in China wegen nachlässiger
Kontrollen durch verseuchtes Milchpulver vergiftet wurden.
Oft sind es auch antike chinesische Materialien, die Ai Weiwei
einsetzt. Er spricht gelegentlich davon, dass er die Affekte des Betrachters durch
kontradiktorische Elemente hervorlocken will. Etwa wenn er alte Keramikgefäße
der Han-Zeit (202 BC – 220 AC) in Autolack taucht, in Farben wie sie bei
deutschen Luxusautos in Peking derzeit sehr beliebt sind (Han Dynasty Vases with
Auto Point, 2014).
Mit Serialismus, den es schon in alten buddhistischen Tempeln gab,
wie mit Minimalismus, der gedanklich bereits in der Song-Zeit (960-1126) sichtbar
war, geht er spielerisch um, transferiert die ihm geläufigen Etyme chinesischer
Kunst in die heutige Universalsprache global agierender Konzeptkunst.
2008 wurde Ai Weiwei von der Stadtregierung von Shanghai
eingeladen, ein großes Studio zu errichten. Doch als es fertig war, ließ die
Regierung es – willkürlich – in nur einem Tag abreißen. Weil der Künstler es
gewagt hatte, die Regierung zu kritisieren. Ai Weiwei aber kreierte aus den Resten
seines Studios ein Kunstwerk: „Souvenirs from Shanghai” (2012), bestehend aus
dem Schutt des Studios.
Im spektakulären Lichthof des Gropiusbaus montiert der Künstler
6.000 einfache hölzerne Stühle (Stoo/s, 2014), wie sie auf dem Land seit der MingZeit
(1368-1644), seit hunderten von Jahren also, Verwendung finden. Ein eindrucksvoll ästhetisches, pixelartiges Werk entsteht. Diese Stühle, so Ai Weiwei, seien Ausdruck einer Jahrhundert alten Ästhetik des ländlichen China.
Ai Weiwei führt mit uns im Westen ein Gespräch über China. Seine
Konzeptkunst war (und ist), als er nach seine Rückkehr aus New York 1993 damit
begann, revolutionär für China, ein Land, das den Künstlern bis dahin nur
bestimme Ausdrucksformen gestattete. Wer Formen kontrolliert, der kontrolliert
auch Inhalte. Ai Weiwei widersteht der Kontrolle, er führt auf seine Weise einen
Diskurs über freies Reden und Schreiben. Ais Vorbilder sind Marcel Duchamp, Andy
Warhol, wie auch Giorgio Morandi.
Aber Ai sieht sich auch in der Tradition des Chan (Zen)Philosophen
Hui Neng (638-713). Er sieht in ihm den radikalen Verfechter des
ungebundenen Ausdrucks, jemanden der sich gegen die konfuzianischbuddhistische
Orthodoxie seiner Zeit auflehnte. Noch in der Kulturevolution (um
1969) zerstörten die Roten Garden seinen Tempel im Süden Chinas, wo er heute
(wieder) verehrt wird.
Ein umfangreicher Katalog gibt vertiefend Auskunft, mit Artikeln
von Uta Rahman-Steinert über den Umgang Ai Weiweis mit der Tradition, von
Wulf Herzogenrath über die künstlerisch en Herangehensweisen des Künstlers, von
Klaus Ruitenbeek über das Chinesische im Werk von Ai Weiwei und von Th omas W.
Eller über die materiale Rhetorik ästhetischen Widerstands.
Biografie
Ai Weiwei wurde am 18. August 1957 als Sohn von Gao Ying
und des chinesischen Dichters und Regimekritikers Ai Qing (1910-1996) geboren. Ai Ging wurde im Zuge der Regierungskampagne gegen sogenannte
„rechte Abweichler” in die Provinz Xinjiang im Nordwesten Chinas verbannt, wo Ai Weiwei bis zur Rehabilitierung seines Vaters durch die Regierung und Rückkehr der Familie nach Beijing 1976 aufwuchs.
1978 schrieb sich Ai Weiwei an der Filmakademie in Beiijing ein und studierte dort unter anderem mit den chinesischen Regisseuren Chen Kaige und Zhang Yimou. Im selben Jahr war er Gründungsmitglied der avantgardistischen Künstlergruppe Stars, die eine chinesische Kunst nach staatlicher Leitlinie ablehnte. Ihre Ausstellung im National Art Museum in Beijing hatte eine überwältigende Besucherresonanz.
Von 1981 bis 1993 lebte Ai in den USA, vor allem iin New York City, wo er ze itweise an der Parsons School of Des ign studierte. Er beschäftigte sich in dieser Zeit vor allem mit Fotografie, Performance, Konzeptkunst und Dadaismus und machte Bekanntschaft mit Allen Ginsberg, Jasper Jo hns und Andy Warhol; die prägende Leitfigur wurde für ihn Marcel Duchamp.
1993 kehrte Ai wegen der Erkrankung seines Vaters nach Beijing zurück. Neben seiner künstlerischen Tätigkeit entwickelte er sich zu einem der Organisatoren der oppositionellen chinesischen Kunstszene. 1994 war er Mitbegründ er und künstlerischer Leiter der Galerie China Art Archives
& Warehouse für experimentelle Kunst in Beiijing. Seine Publikationen ( Black Cover Book, 1995; White Cover Book, 1995;Grey Cover Book, 1997) s ind Aufrufe zu einer neuen, radikalen und politisch engag ierten Kunst. 2000
kuratierte er zusammen mit dem einflussreichen Kurator und Kunstkritiker Feng Boyi die Ausstellung Fuck Off in Shanghai, die sich als kritische Alternativ e zur 3. Shanghai Biennale verstand.
1999 entschloss sich Ai Weiwei, im Nordosten von Beiijing, in Caoc hangdi, ein eigenes Studio zu bauen – der Beginn seiner Arbeit als Architekt. Unter anderem kuratierte er 2002 das Projekt Jinhua Architecture Art Park, für das 16 Architekten aus der ganzen Welt bauten. In Jinhua war
sein Vater geboren worden, der Park wurde zu seinem Gedächtnis errichtet. 2003 gründete Ai sein eigenes Architekturstudi o FAKE Design in Beijing. 2003 bis 2008 war er für die Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron als künstlerischer Berater für das neue Olympiastadion in Beijing beteiligt, da s er später scharf als megaloman kritisierte. Ebenfalls in Zusammenarbeit mit Herzog & de Meuron kuratierte Ai das nicht realisierte Architekturprojekt
Ord os 100, eine Wohnsiedlung mit 100 Gebäuden, entworfen von 100
Architekten aus aller Welt, die in der Nähe der Stadt Ordos iin der Inneren Mongolei gebaut werden sollte.
Wegen seines politischen und gesellschaftlichen Engagements war und ist er regelmäßig Repressalien durch chinesische Behörden und die Polizei ausgesetzt. Bei einem Polizeieinsatz im Zusammenhang mit Recherchen zum Erdbeben in Sichuan erlitt er Anfang August 2009 eine Hirnblutung. Im Herbst 2010 verfügte die Stadtverwaltung von Shanghai die Räumung des von ihm errichteten großen Ateliers, zu dessen Bau ihn die Stadt einst eingeladen hatte. Als Ai Weiwei daraufhin ein Fest ankündigte, um die Öffentlichkeit auf die geplante Zwangsräumung hinzuweisen, wurde er am 5. November 2010 für zwei Tage unter Hausarrest gestellt.
Anfang Dezember 2010 wurde Ai erstmals daran gehindert, aus der Volksrepubli k China auszureisen. Im April 2011 nahm ihn die chinesische Polizei auf dem Weg nach Hong Kong am Flughafen Beijing ohne Angaben von Gründen fest. Für 81 Tage war er in einem Geheimgefängnis eingesperrt, seine Zelle durfte er nicht verlassen. Nur auf großen internationalen Druck hin wurde er freigelassen. Nachdem Anfang November 2011 die chinesische Steuerverwaltung überraschend ankündigte, dass der Künstler 1,7 Millionen Euro Steuern nachzahlen sollte, ging eine hohe Summe auch anonymer Spenden, vor allem aus China, ein. Die Inhaftierung von Ai Weiwei durch die chinesische Polizei war der vorläufige traurige Höhepunkt im politischen Kampf des Künstlers für Demokratie und Meinungsfreiheit. Zur TED-Konferenz in den USA ließ Ai Weiwei im selben Jahr eine Videobotschaft verbreiten , die zeigte, mit welchen Mitteln die chinesische Regierung den Künstler, seine Familie und seine Mitarbeiter überwacht und einzuschüchtern versucht.
Zahlreiche internationale Kunstevents machten Ai Weiwei international bekannt: so 2009 die Ausstellungen Ai Weiwei: New York Photogrophs 1983-1993 (Three Shadows Photography Art Centre, Beijing, danach u. a. im A sia Society and Museum, New York, und Martin-Gropius Bau, Berlin), 2010 So Sorry (Haus der Kunst, München) oder Sunf lower Seeds (Tote Modern, London, danach u. a. Kunsthalle Marcel Duchamp, Cully, und Mary Boone Gallery, New York) und 2011Ai Weiwei, Circle of Anima/s/ Zodiac Heads (Pulitzer Fountain, New York, danach u. a. Los Angeles County Museum of Art, Los Angeles, und Somerset House, London), Arbeiten 2007 auf der documenta 12 und 2013 auf der Biennale in Venedi g, aber auch seine Arbeit als Kurator – etwa mit der grundlegenden Ausstellung im Jahr 2005
Mahjong: Contemporory Chinese Art from the Sigg Col/ection (Kunstmuseum Bern u. a.) und im Jahr 2009 mit The Stote of Things. Brusse /s/ Beijing ( Palais des Beaux-Arts, Brüssel, und National Art Museum, Beijing) .
Mit der virtuo sen Nutzung elektronischer Medien bei Internetprojekten wie #aif lowers, FakeCose.com, #aiwwLiveStream und mit seinem Blog, mit Videodokumentati onen seiner Ausstellungen sowie Aktionen und Projekten wie WeiWeiCam, ein Selbstüberwachungsprojekt mit ununterbrochener lnternet-Liveübertragung aus seinem Atelier und Wohnhaus, wurde Ai Weiwei zu einem global agierenden Künstler, der sämtliche Kommunikationsmittel nutzt und so über alle Grenzen präsent ist.
Die weltweite Anerkennung seiner Person und seiner Arbeit manifestiert sich auch in zahlreichen Preisen und Ehrungen, die nicht nur eine
Anerkennung seiner Kunst sind, sondern auch eine Würdigung seines
Eintretens für die Menschenrechte widerspiegeln.