Zum Abschluss ihres zehnjährigen Bestehens zeigt die Galerie alexander levy, die im Januar 2012 gegründet wurde, „The Unexpected Universe: Traces of the Anthropocene“. Ausgewählte Arbeiten aller vertretenen Künstler*innen bilden einen Querschnitt durch das Galerieprogramm, das im letzten Jahrzehnt systematisch entwickelt wurde. Im Fokus stehen gesellschaftspolitische, ökologische und technologische Themen, wobei insbesondere die zukünftige Beziehung von Mensch und Natur in den Vordergrund rückt. Gemein ist den Arbeiten die meist konzeptuelle und abstrakte Annährung. Immer wieder ist dabei das Motiv der naturgegebenen oder menschgemachten Grenze zu erkennen.
Explizit wird dies beispielsweise in der Videoarbeit „Delineation“ (2021) von Mischa Leinkauf aufgegriffen. Darin führt der Künstler den abstrakten und gleichsam gewaltvollen Akt der Grenzziehung ad absurdum: Auf einem breiten Screen laufen langsam und gleichmäßig Drohnenaufnahmen der Grenzanlagen zwischen Israel und Ägypten, Israel und Jordanien, sowie zwischen Nord- und Südkorea ab. Sie zeugen nicht nur von der teilweise brachialen Unterbrechung der Landschaft, sondern ergänzen sich – im Loop abgespielt – zu einer ewig fortlaufenden, nicht enden wollenden und geradezu verbindenden Linie.
In der Collage „Transmutation“ (2023) von Nik Nowak wird der politische und territoriale Konflikt, um das Ausloten ethischer Grenzen erweitert: Im Hintergrund sind Helikopter zu sehen, die im Vietnamkrieg von US-Amerikanischen Streitkräften zur psychologischen Kriegsführung gegen die Vietkong eingesetzt wurden. Mit Lautsprechern ausgestattet, ließen sie unheimliche Aufnahmen von vermeintlich umherirrenden, ruhelosen vietnamesischen Seelen ertönen, die zur Kapitulation auffordern. In Kombination mit dem zum mobilen Lautsprecher umfunktionierten Auto im Vordergrund, das auf die Subkultur des Car-Tuning verweist, bilden die ausgewählten „Soundskulpturen“ das Spektrum und künstlerische Forschungsfeld ab, das Nowak auf die Funktion von Sound als Identitätsquelle und gesellschaftsprägendem Element untersucht.
Von naturgegebenen Grenzen hingegen, sowie der Neigung des Menschen diese zu überschreiten, zeugt die neueste Arbeit „Bäume ohne Grenzen“ von Julius von Bismarck. 2022 versetzte der Künstler eine heimische Lärche aus dem Safiental und pflanzte sie weit über der natürlichen Baumgrenze auf dem Tomülpass an. Der einzelne Baum markiert dabei symbolisch den schon heute spürbaren Einfluss des Menschen auf die Natur. Als lebende Hypothese zeigt er an, wie sich diese Alpenlandschaft zukünftig durch die menschbedingte Erderwärmung verändern könnte. Der nicht wenig ironische Titel macht den Baum schließlich zum Akteur, von dessen Wirken und Hilfe am Ende auch die Zukunft des Menschen auf diesem Planeten abhängt.
Auch Fabian Knecht nimmt in der letzten Ausführung seiner „Isolations“-Serie, die durch den Einfluss des Menschen geformte oder gar zerstörte Natur in den Blick. 2022 installierte er einen „White Cube“ im Harz, wo der Wald durch Hitze und Borkenkäfer besonders starken Schaden genommen hat. In der Installation „Isolation (Waldstück)“ sind demnach eben keine Bäume zu sehen, sondern Baumstümpfe, totes Geäst, Gräser, Blumen und neue Sprösslinge, die sich die brache Fläche allmählich erobern.
Während in den Arbeiten von Julius von Bismarck und Fabian Knecht der indirekte Einfluss des Menschen auf die Natur sichtbar wird, richtet Colin Snapp seinen Fokus immer wieder auf das Phänomen des globalen Tourismus und untersucht die Spuren und Schäden, die kollektive Bild- und Erinnerungskultur und die sozialen Verhaltensweisen, die er hervorbringt. In „Delta“ (2016), einer Serie von Drucken, kombiniert der Künstler idealisierte und als Reiseziele beworbene Landschaften mit Werbung der Fluggesellschaft Delta. Die Bildschöpfungen führen symbolisch vor, wie nahezu unberührte Orte für den Tourismus erschlossen, gelabelt und global zugänglich gemacht werden, während sie in der Folge ihre Ursprünglichkeit verlieren.
Auch Sinta Werner nimmt mit ihrer Serie „Enjambement (Zeilensprung)“ (2020) einen Ort ins Visier, der unmittelbar mit dem Reisen verbunden ist: das Flugfeld. Die Künstlerin hat den Charakter des Übergangs, des Transits, der ihm innewohnt und mit Erwartungen oder Traumvorstellungen verbundenen ist, auf bildnerischer Ebene herausgearbeitet: Und so verbinden sich in ihren Arbeiten – bedingt durch Werners Eingriff in den Reproduktionsprozess der fotografischen Aufnahmen – Realität und Illusion, Markierungen auf den Start- und Landebahnen mit mystisch wirkenden Lichtstrahlen zu geometrischen Kompositionen.
Als verzerrtes Echo realer Vorbilder lassen sich auch die Papiercollagen verstehen, die Vicky Uslé seit 2008 fertigt. Die Künstlerin schichtet Fragmente monochromer Papiere übereinander und stellt im Kombinieren von Negativ- und Positivformen, im Wechsel zwischen Vorder- und Hintergrund assoziative Bezüge zu gebauter und natürlicher Umwelt her. Ihre reduzierten Ansichten legen nicht zuletzt das kollektive Bildgedächtnis und visuelle Erfahrungen offen, die uns weltweit verbinden: So scheint dort die Sonne hoch im Zenit über den Dächern der Stadt, während in einer anderen Collage ein schwerer, monumentaler Häuserblock die Sicht auf die Landschaft versperrt.
Mit ihrer Videoarbeit „Blast Furnace No.2“ (2022) nimmt Su Yu Hsin reale Begebenheiten ebenfalls als Anlass, um auf imaginärer Ebene eine Bewegung über Ländergrenzen hinweg und schließlich durch Zeit und Raum nachzuzeichnen. In ihrer semifiktionalen Erzählung treffen drei zentrale Elemente aufeinander: ein Hochofen, der von Deutschland nach China umgezogen wird; das Material Eisen, das im Hochofen geschmolzen wird, weit vor unserem Sonnensystem entstanden ist und heute den Kern der Erde bildet; und die Protagonistin Lin, die als Dolmetscherin die Demontage des Hochofens begleitet und einen unvollendeten Science-Fiction-Roman hinterlässt. Sie träumt von einer Lösung für eines der dringlichsten Probleme der Menschheit – saubere und erneuerbare Energie.
Die Arbeit „Blaue Sonne“ (2022) von Felix Kiessling, mit dem Alexander Levy noch vor der Gründung der eigenen Galerie die erste Einzelausstellung realisierte, lässt ebenfalls einen astrophysischen Hintergrund erahnen. Tatsächlich hat sich der Künstler immer wieder mit dem Weltraum auseinandergesetzt. Mit „Blaue Sonne“ entfernt er sich jedoch bewusst vom realen Referenzraum, um das Konzept, das seiner Werkserie „Anti-Sonne“ (seit 2016) zugrunde liegt, weiter zuzuspitzen. Mehr als der Titel der Arbeit, ihre kreisrunde Form und das von ihr abstrahlende Licht lassen keine Assoziation zu dem Stern zu, der das Leben auf der Erde ermöglicht. Die abstrakte Lichtinstallation – ein blaues Objekt mit grünem Schein – führt vielmehr ins Reich der Imagination: Dem ein oder anderen mag sie als Warnung vor künftigen, apokalyptischen Zuständen erscheinen.
Ein Untergangsszenario lässt sich auch in der Fotoarbeit „6 hours, 36 minutes and 5 seconds to midnight“ (2022) von Ella Littwitz erahnen. Der für gewohnt so befriedende Blick in den Himmel wirkt bedrohlich. Die Künstlerin hat ihn mit einer Multispektral-Kamera aufgenommen und diese wiederum mit Filtern bestückt, um eben jene Lichtfrequenzen einzufangen, die für das menschliche Auge und die handelsübliche Kamera unsichtbar bleiben. Die Fotografie ist Teil eines neuen Werkkomplexes, der sich existenziellen Fragen widmet, die das Leben der Künstlerin in unmittelbarer Vergangenheit bestimmt haben. Darauf lässt auch der Titel schließen: Er zeigt die vom Moment der Aufnahme verbleibende Zeit bis Mitternacht an und zitiert dabei die bereits 1947 symbolisch entworfene Doomsday Clock. Letztere gibt an wieviel Zeit dem Menschen bis zum selbstverschuldeten Untergang bleibt. Aktuell sind es 100 Sekunden bis Mitternacht.
Die Skulpturen von Gereon Krebber eröffnen schließlich den Ausblick auf eine Welt nach unserer Zeit. Die gebrauchten Eimer aus dem Atelier des Künstlers führen plötzlich ihr Eigenleben: Bei den so lebendig wirkenden „Hittis“ (2016-2022) handelt es sich um Knäuel aus Klebeband, die in einem Bad aus Wachs oder Giessharz gedeihen. Sie bezeugen Krebbers Freude daran, seinen Arbeiten – ganz nach dem klassischen Bildhauermythos – Leben einzuhauchen und nicht zuletzt durch ihre Titel einen komisch-tragischen Charakter zu verleihen.
Text by Lydia Korndörfer
Beitragsbild: Julius von Bismarck, Bäume ohne Grenzen (Sommer 2022) I Trees Without Borders (Summer 2022), 2022; Archival pigment print on Photo Rag Baryta 150 x 226 cm
The Unexpected Universe: Traces of the Anthropocene
Mit Julius von Bismarck, Felix Kiessling, Fabian Knecht, Gereon Krebber, Mischa Leinkauf, Ella Littwitz, Nik Nowak, Colin Snapp, Su Yu Hsin, Vicky Uslé und Sinta Werner
13. Januar 2023 – 11. Februar 2023