Kunstleben Berlin Kolumne von Jeannette Hagen. Documenta fifteen – mittlerweile ist es drei Wochen her, dass ich dort war. Eigentlich wollte ich direkt nach meinem Besuch etwas schreiben, nun fällt es mir immer noch schwer, meine Gedanken zu sortieren. Darum sieh es mir nach: Auch das hier ist ein Versuch. Und das, was ich schreibe, ist absolut subjektiv. Und der einzige Grund, warum ich mich darauf einlasse, statt der Redaktion zu sagen, dass bitte ein*e andere*r Autor*in das Thema übernimmt, ist, dass ich ahne, dass die documenta fifteen möglicherweise genau das erreichen will: einen Bruch mit gängigen Konzepten und Mustern, auch mit jenen, die sich in meinem Kopf eingenistet haben und die mir zuflüstern, was Kunst ist, was Kunst bewirken soll, wie Kunst zu sein hat.
Um es auf den Punkt zu bringen: Noch nie war mir Kunst so fremd. Noch nie zuvor bin ich durch Räume gegangen, in denen Kunst zu sehen war, und habe mich so ausgeschlossen gefühlt. Noch nie hat mich der Gedanke daran, mich darauf einzulassen, derart ermüdet. Und ich schreibe nicht über das in allen Medien präsente Problem der antisemitischen Darstellungen. Sie wären eine eigene Betrachtung wert. Und trauriger Weise überdecken sie etwas, von dem ich immer noch nicht so richtig weiß, wie ich es zusammenfasse.
Harter Aufprall
Vielleicht muss ich noch vorneweg anmerken, dass ich vor dem Besuch in Kassel auf der Art Karlsruhe war. An einem Ort also, wo der Kunstbetrieb mit allem aufwartet, was ihm eigen ist: gefällige Kunst zum Erwerb bestimmt. Nichts was aufregt, nichts Politisches, dafür für alle sichtbar der Marktwert der Künstler:innen, der sich darin ausdrückt, dass zum Beispiel zwei fast identische Werke unterschiedlicher Künstler preislich gut 7000 Euro auseinanderliegen. Das mag nicht so auffallen, wenn der Preis des teuren Bildes bei 100.000 liegt, bei 8000 Euro fällt es schon auf.
Jedenfalls hätte der Aufprall in Kassel kaum härter sein können, von einer Messe, über die man schlendert, hier und da ergriffen, hier und da verwundert, hier und da abgeneigt ist, hin zu einer Ausstellung, die man schwer fassen kann, wenn man vorab oder hinterher nicht Unmengen an Literatur dazu gelesen hat. Ich meine nicht den Gedanken, dass die Probleme des globalen Südens in den Fokus gerückt werden, ich meine auch nicht den Kollektivgedanken oder der Wunsch, Ausstellungsräume zu Lernorten oder Wohnzimmern zu machen. Konzeptionell ist das klar.
Klar ist auch, dass die documenta nicht bekömmlich im Sinne einer Messe ist, das erwartet auch niemand, aber sollte sie nicht wenigsten so gestaltet sein, dass man als Besucher:in tief genug eintauchen kann, auch wenn man sich vielleicht nicht zum klassischen Bildungsbürgertum zählt? Damit sind wir auch gleich bei meinem größten Kritikpunkt an der documenta, dass sie genau das bedient, was sie eigentlich kritisiert: Sie macht Kunst elitär. Nicht, weil man sie sich nicht leisten kann, sondern weil vermutlich die meisten, die die unterschiedlichen Ausstellungsorte besucht haben, mit vielen Fragezeichen abgereist sind, die dann am Ende dazu führen, dass so eine documenta sich auch nur in die Reihe der Events eingliedert, die man eben als Bürger:in des reichen Nordens konsumiert. Dabei bleibt man der Satellit, der mit dem Feuilleton der FAZ unterm Arm um einen Kunstmarkt kreist, der einem fremd ist und bleibt. Der irgendwie permanent mit sich selbst beschäftigt zu sein scheint. Der zwar Lumbung sagt, aber am Ende die Gäste im Regen stehen lässt.
Mehr Voyeur als Zuschauer
Auch ein Punkt, den ich befremdlich fand: zum Zuschauer von Prozessen gemacht zu werden, die sich nicht erschließen, weil der Besuch lediglich einen winzig kleinen Ausschnitt eines Ganzen präsentiert, das ich nicht zusammensetzen kann, weil ich das Davor und das Danach nicht kenne. In manchen Räumen kam ich mir vor wie eine Putzfrau, die morgens in ein Büro kommt, in dem die Nacht zuvor ein unglaublich wichtiges Meeting mit einem Brainstorming stattgefunden hat. Überall sind Stifte verstreut, ist irgendwas an Wände gekritzelt, stehen halbleere Gläser auf Tischen und liegen Pizzakartons mit Resten auf dem Boden und man weiß nicht so recht, was denn jetzt eigentlich die Kunst ist – die Pizzareste oder das Gekritzel an der Wand. Man müsste mindestens eine Woche bleiben, um wirklich einzutauchen und zu verstehen. Prozesse statt Artefakte ist eine gute Idee, aber es bleibt am Ende ein Ausschluss jener, die nicht Teil des Systems sind, sondern nur vorbeilaufen und das Gefühl haben, zu stören oder gar Voyeur zu sein.
All das ist schade, denn eigentlich ist der Gedanke, der hinter allem steckt, wunderbar. Schließlich geht es darum, den Kunstmarkt aufzubrechen, Gewinne gerecht zu verteilen, endlich all jene auch zu bedenken, die viel leisten, aber kaum sichtbar sind. Nicht jede*r Künstler*in hat eine Galerievertretung, nicht jede*r wird für das, was er/sie tut, in irgendeiner Form entlohnt, geschweige denn, dass Künstler*innen in der Lage sind, Projekte in der Heimat finanziell zu unterstützen. Zudem haben es Künstler*innen aus Schwellenländern oder grundsätzlich aus dem globalen Süden nach wie vor schwer, im starren westlichen Kunstmarkt einen Platz zu finden. Das was gut ist, wird aber auch gleich zur nächsten Hürde, denn Kollektive vermischen die Begabten und die weniger Begabten, die Innovativen und die weniger Innovativen. Alles wird zu einem Brei aus dem niemand herausragen soll. Das, was auf einer Messe sichtbar ist – die Einordnung von Künstler:innen in einen Markt, verwischt sich im Lumbung-Konzept zu einem Brei und so sehr ich den Hype um einige Künstler:innen verachte, so sehr glaube ich, dass es tief in uns Menschen verwurzelt ist, Lichtgestalten zu produzieren, um zu ihnen aufzuschauen. Dass das ambivalent ist – keine Frage. Ich verstehe also grundsätzlich das Anliegen und die Gedanken hinter allem und ich hatte mich wirklich auf Innovation darauf, berührt und angestoßen zu werden, gefreut.
Fürs Publikum?
Und ja innovativ ist es, dass vom Kaufpreis, der sich zusammensetzt aus Produktionskosten und dem gängigen Marktwert, 30 Prozent an einen großen Topf gehen, der von der Lumbung-Gallery verwaltet wird. Die Künstler*innen und Kollektive bekommen 70 Prozent und können selbst entscheiden, wie sie das Geld aufteilen.Nur wäre es schön gewesen, jemand hätte mir gesagt, dass es an manchen Objekten einen QR-Code gibt, dass man – was auf der documenta sonst nicht üblich, weil es ja keine Messe ist –, auch Objekte kaufen kann. Ich war nicht die einzige, die davon nichts, aber auch gar nichts mitbekommen hat.
Auch die kollektive und jenseits von Hierarchien laufende Organisation ist gut gedacht, nur zeigt sich gerade dann, wenn Probleme auftauchen, eben auch ihre Schwachstelle – irgendwie will niemand so richtig verantwortlich sein.
Aber ich will auch nicht alles in einen Topf werfen, das wäre unfair – es gab Werke, die sich durchaus erschlossen, bei denen man auch auf Anhieb die Systemkritik und das, was dahintersteckte, verstand. So wie das, was The Nest Collective aus Nairobi mit „Return to Sender“ zeigt (siehe Bilder) oder die bekritzelten Säulen des Fridericianiums. Da muss ich mich nicht einlesen – da sehe ich auf Anhieb, dass es ein Aufschrei ist und uns der Spiegel vorgehalten wird. Und wie eingangs geschrieben, liegt es ja auch bei mir, mich mit dem, was ich nicht verstehe, auseinanderzusetzen und vielleicht meine Klischees darüber, wie so eine documenta zu sein hat, schon aus beruflichen Gründen zu hinterfragen. Ich bin dazu gern bereit, fürchte allerdings, dass das die meisten Besucher*innen eher nicht machen und dass damit eine Chance vertan wurde.
Am Ende steht für mich die Frage, für wen so eine Veranstaltung gemacht ist – für das Publikum oder für die Künstler*innen. Im Falle der documenta fifteen würde ich für letzteres plädieren, denn für mich ist eine publikumsorientierte Ausstellung eine, bei der Kunst und Publikum für einen Moment eine Beziehung eingehen, in einen Dialog treten. Das war für mich auf der documenta nicht oder zumindest kaum möglich.
Pingback: Kolumne: Interview Martin Heller über die documenta fifteen - Kunstleben Berlin - das Kunstmagazin
Vielen Dank für diesen Artikel! Leider ist genau das eingetroffen, was ich vermutet hatte, als ich die Vorbereitungen zur Documenta las.
Ich hatte versucht, Positives in diesem Format der Documenta zu sehen – war offen für neue Wege und Experimente, wollte mich darauf einlassen – ehrlich.
Leider war das Vorhersehbare, das (für mich) Offensichtliche passiert.
Ich bedaure es sehr, dass eine (ehemals weltweit) so wichtige Kunst-Austellung bzw Kunst-Platz für solch radikale Experimente (miss)braucht wird. Auch schon die vorherige Documenta begab sich auf Wege, die nicht der Kunst galt.
Es geht m.E. den Machern leider nicht mehr um (die)Kunst – Ich habe den Eindruck, dass sie der breiten Öffentlichkeit so die Möglichkeit beraubt haben Kunst zu begegnen , nicht bekanntes zu erleben und dafür Interesse und Verständnis zu entwickeln.
Experimente und neue Formate sind wichtig und bereichernd – nur sollten m.E. dafür andere bzw neue zu schaffende Kunst-Veranstaltungen genutzt werden!